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Ausgabe:

1984

Spalte:

356-357

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Burnett, Fred W.

Titel/Untertitel:

The testament of Jesus-Sophia 1984

Rezensent:

März, Claus-Peter

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Theologische Literaturzeitung 109. Jahrgang 1984 Nr. 5

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bei Lk 12,81' und 1 l,29f. So ergibt sich insgesamt eine zahlenmäßig
kleine Gruppe von lediglich fünf "kernel-sayings", an die sich die
Rückfrage nach Jesu eigener Rede vom Menschensohn zu halten hat
und die daher auch der Gegenstand der abschließenden Betrachtungen
sind (123-126). Gemeinsam ist diesen fünf Texten, daß sie alle aus
Q stammen, sich auf die zukünftige Aktivität des Menschensohnes beziehen
und eine einheitliche Konzeption seiner eschatologischen
Funktionen erkennen lassen. Entscheidend ist der durchweg direkt
oder indirekt vorhandene Zusammenhang mit dem eschatologischen
Gericht, das zugleich Rettung bedeutet. Aus der nachösterlichen Gemeinde
stammen demnach nicht nur die Menschensohn-Worte vom
irdischen Dienst, von Passion, Tod und Auferweckung, sondern auch
vom endzeitlichen Kommen des Menschensohnes auf den Wolken
des Himmels. So unterscheidet sich Jesu eigene Konzeption sowohl
von der jüdischen wie von der urchristlichen, wobei für Jesus selbst
der Menschensohn nicht eine personale Figur ist, sondern eine symbolische
Beschreibung seiner persönlich erwarteten Würde und Funktion
als Richter (125).

Der Vorzug der von H. entwickelten Lösung besteht darin, daß es
ihm unter Wahrung unaufgebbarer kritischer Einsichten gelingt, die
nachösterliche Menschensohn-Christologie in ihrem nichtapokalyptischen
Kern auf Jesus selbst zurückzuführen. Der „garstige Graben"
zwischen Jesu Selbstverständnis und der urgemeindlichen Christolo-
gie scheint kritisch überwunden. Abgesehen von der Frage nach dem
tatsächlichen Umfang der vermutlich authentischen Menschensohn-
Logien bleibt vor allem eine Schwierigkeit: in keinem der von H. als
authentisch angesehenen fünf Menschensohn-Worte identifiziert sich
Jesus erkennbar mit dem himmlischen Menschensohn-Richter, ganz
zu schweigen davon, daß die von H. postulierte Erhöhungserwartung
Jesu auch nur andeutungsweise zur Sprache käme. Gerade sie müßte
genauer beschrieben werden. Ist an Entrückung und Verwandlung im
Stil von Hen 70gedacht? Den Texten (namentlich Lk 12,8f) angemessener
scheint daher noch immer die Annahme, daß Jesus sein eigenes
irdisches Wirken auf geheimnisvolle Weise direkt an das himmlische
Wirken des Menschensohnes gebunden hat. Dies wäre ein Ausdruck
singulären Selbstverständnisses, für den es weder jüdische noch urchristliche
Analogien gibt.

Greifswald Günter Haufe

Stowers, Stanley Kent: The Diatribe and Paul s Letter to the Romans.

Chico, CA: Scholars Press 1981. XVII, 261 S. 8" = SBL Dissertation
Series, 57. Kart. $13,50.

Alle neueren Römerbrief-Kommentare machen auf die in diesem
Paulus-Briefgehäuft begegnenden dialogischen Stilelemente aufmerksam
(vgl. 2,1-5.17-24; 3,1-9; 6,1-3.15f; 7,7.13; 9,14f.l9-21;
11,1-3.11.17-24; 14,4.10) und bringen sie direkt oder indirekt mit
dem Stil der hellenistischen Diatribe in Verbindung. Grundlage dafür
ist bis heute die bereits 1910 erschienene Dissertation von R. Bultmann
: „Der Stil der paulinischen Predigt und die kynisch-stoische
Diatribe". Bultmanns Vergleich fußte auf dem Konsensus der intensiv
betriebenen Diatribe-Forschung seiner Zeit und gelangte zu dem
Ergebnis, daß die Anklänge an den Diatribe-Stil im Römerbrief
faktisch eine von Paulus nicht bewußt intendierte Auswirkung des
Stils seiner Missionspredigt darstellen. Das seitdem nicht wieder
monographisch behandelte Thema hat in der hier anzuzeigenden, von
A. J. Malherbe betreuten Dissertation die längst lallige, erheblich weiterführende
Neubearbeitung gefunden.

Der Autor setzt in einem ersten Kapitel (7-78) mit dem knappen
Referat über die Diatribe-Forschung vor und nach Bultmann und
über Bultmanns eigene Arbeit ein. Er zeigt, wie die jüngste Forschungsphase
zwar den radikalen Skeptizismus der Forschung zwischen
den beiden Weltkriegen hinsichtlich der Existenz eines allgemeinen
Diatribe-Stiles nicht mehr teilt, positiv aber kaum über die
ältere Hypothese hinausgekommen ist, daß es sich um einen Typ
volkstümlicher Propaganda handelt, mit der sich philosophische
Wanderprediger wie Bion direkt an die Volksmassen auf der Straße

wandten. Anknüpfend an die von O. Halbauer kurz nach Bultmann
(1911) gemachte Beobachtung, daß das griechische Wort äiutnhe in
den Quellen zuerst terminus technicus für den Bericht von einer Lehrstunde
bzw. Diskussion in der Philosophenschule ist, befragt der Vf.
die antiken Autoren (Teles, Bion, Epiktet, Musonius Rulüs. Dio von
Prusa, Plutarch, Maximus von Tyrus, Philo, Seneca) erneut nach dem
ursprünglichen sozialen Kontext der bei ihnen trotz aller individuellen
Differenzierung gemeinsam vorhandenen dialogischen Stilelemente
. Das Ergebnis sorgfältiger Einzelbeobachtungen lautet: der
ursprüngliche „Sitz im Leben" ist der philosophische Schulbetrieb
mit seinem Lehrer-Schüler-Verhältnis und seiner Diskussion im
Klassenzimmer.

Kapitel 2 und 3 untersuchen sodann formkritisch die dialogischen
Stilelemente in der Diatribe und im Römerbrief. Im einzelnen betriff)
das die Adresse an den fiktiven Gesprächspartner (79-1 18) und die
Einführung von Einwänden und falschen Schlüssen sowie ihre Zurückweisung
(119-154). Beide Phänomene werden jeweils hinsichtlich
ihrer formalen und funktionalen Merkmale analysiert. An dritter
Stelle vergleicht der Vf. Dialogdurchlührung und Exemplum in der
Diatribe und Rom 3,27-4, 25 (155-174). Alle drei Untersuchungsgänge
ergeben trotz der nicht zu übersehenden Selbständigkeit des
Apostels eine bemerkenswerte formale und funktionale Verwandtschaft
zwischen dem Diatribe-Stil und den entsprechenden Partien
des Römerbriefes.

So gelangt der Vf. abschließend (I 75-184) zu folgenden Ergebnissen
hinsichtlich des Verhältnisses „Paulus und die Diatribe": Die Diatribe
als ein Vortragstyp in der Philosophenschule, der erst sekundär
literarisch nachgeahmt wurde, hat nicht - wie Bultmann meinte - die
Missionspredigt des Paulus, wohl aber seine eminent schrift- und
praxisbezogenen Lehrvorträge innerhalb schon bestehender Gemeinden
beeinflußt und in der Verbindung mit spezifisch jüdisch-christlichen
Traditionen zur Ausbildung einer paulinischen „Schule" geführt
. Da Paulus solche über- und weiterführende Lehrunterweisung
auch in der römischen Gemeinde plant (Rom 1,11.13), stellt er sich
ihr nicht zufallig, sondern höchst bewußt in diesem Stil als Lehrer vor
(vgl. 15,1*4—16). Die dialogischen Elemente tragen dabei nicht polemischen
, sondern pädagogisch-didaktischen Charakter; sie behandeln
nicht konkret-situationsbezogene, sondern thematisch-typische
Aspekte, deren Erläuterung der Apostel für Anschauung und Verhalten
der Leser als wichtig ansieht. Eigene Erfahrung und der Blick auf
die konkrete Gemeinde wirken hier zusammen. Damit soll angedeutet
werden, daß die vom Vf. vertretene Interpretation auch für die Einzelexegese
erheblichen Nutzen abwirft. Verständlich wird vor allem,
warum unter allen Paulusbriefen nur der Römerbrief eine so breite
Verwendung dialogischer Stilelemente zeigt und nicht etwa der betont
polemische Galaterbrief. Selbst die zunächst recht kühn anmutende
Hypothese, die in Rom 16 von Paulus persönlich Gegrüßten seien
frühere „Studenten" seiner „Schule", gewinnt auf diesem Hintergrund
einige Wahrscheinlichkeit.

Die methodisch wie sachlich überzeugende Arbeit stellt sowohl für
die Diatribe-Forschung als auch für die Exegese des Römerbriefes
einen unbestreitbaren Fortschritt dar. Als solcher kann sie nur lebhaft
und dankbar begrüßt werden. Sie zeigt einmal mehr, wie formkritische
Untersuchung noch immer historisch, exegetisch und theologisch
in hohem Maße fruchtbar ist. Eine deutsche Übersetzung der
Arbeit scheint dringend erwünscht.

Greifswald Günter Haufe

Burnett, Fred W.; The Testament of Jesus-Sophia. A Redaction-
Critical Study of the Eschatological Discourse in Matthew. Washington
: University Press of America 1979. 467 S. 8'. Kart.
$ 16.75.

Die anzuzeigende Arbeit - eine von J. R. Donahue betreute Dissertation
- will, wie der Titel anzeigt, nachweisen, "that the 'apoca-
lyptic discourse' in Matthew (24,3-31) funetions as a Testament' of
Jesus, the Wisdom ofGod" (S. 29).