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Ausgabe:

1984

Spalte:

354-355

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Higgins, Angus J.

Titel/Untertitel:

The Son of Man in the teaching of Jesus 1984

Rezensent:

Haufe, Günter

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Theologische Literaturzeitung 109. Jahrgang 1984 Nr. 5

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sprunghafter Art Meditationen, biblische Geschichts- und Einlei-
tungsstofle sowie breite Analysen historischer, religionsgeschichtlicher
und psychologischer Provenienz aneinander. Die sorgfältige,
distanzierende Arbeitsweise von Romano Guardini (Tod des Sokra-
tes, 4. Aufl. 1956) wie auch die nüchterne Forschung von Theologen
zum Prozeß Jesu sind dem Vf. gewiß nicht unbekannt, mindestens
ihre Ergebnisse, aber sie sind ihm nicht zu eigen geworden. - Der
Schwerpunkt der häufig mit Emphase verfaßten Arbeit liegt in der
Behauptung, „alle Verbrechen, aller Rückschritt der Welt geht auf die
Rechnung eines verdorbenen Jesusbildes" (S. 29. u. ö.). Neben den
Schreibern der Evangelien ist Paulus daran schuldig, der den Tod des
sich selbst erniedrigenden Jesus zum Mythos von Sünde und Gnade
umgeformt hat (S. 327. 377. 632. 668). So ist es kein Zufall, daß in der
bar jeder Belegstelle, bar jeder Anmerkung, bar der Nennung moderner
Theologen hergestellten Arbeit lediglich die Namen Kant, Hegel,
Nietzsche und Renan erwähnt werden. - und auch das nur am Rande
(z. B. S. 189. 643). Das Resultat lautet am Ende: „Das Warten auf eine
Erlösung lähmt" (S. 696), während es heute auf die Befreiung und
Veränderung der Menschheit ankommt (S. 693. 694. 696. 713). Die
ursprünglich wohl religionsgeschichtlich-philosophische Gegenüberstellung
von Sokrates und Jesus ist demnach zu den Zeugnissen der
lateinamerikanischen Befreiungstheologie zu zählen.

Bremen Walter Nagel

März, Claus-Peter: „Siehe, dein König kommt zu dir .. ." Eine traditionsgeschichtliche
Untersuchung zur Einzugsperikope. Leipzig:
St. Benno Verlag 1981. XXXVI, 248 S. gr. 8" = Erfurter theologische
Studien, 43. Kart. M 23,-.

Die Einzugsperikope Mk 11,1-11 parr gehört zu jenen Evangelientexten
, deren traditions- und kompositionsgeschichtliche Analyse
nach wie vor strittig ist und bisher überhaupt noch keine monographische
Bearbeitung gefunden hat. Die vorliegende, aus der Schule
von Heinz Schürmann stammende detaillierte Untersuchung schließt
also forschungsgeschichtlich eine Lücke. Sie fragt gezielt nach „vorevangelischen
Fassungen" der Perikope sowie nach deren für sie bestimmenden
Kontext. Schon die „Einleitung" nennt die entscheidende
These des Autors, die dann Schritt für Schritt sehr besonnen
und mit ausgesprochenem exegetischen Spürsinn begründet und präzisiert
wird: „daß die Einzugsgeschichte möglicherweise ursprünglich
im Zusammenhang mit der Passionsgeschichte gestanden hat bzw.
dieser deutend zugeordnet war" (1).

„Voruntersuchungen" (3-18) sichern den Markus-Text als ältesten greifbaren
Einstiegspunkt für die traditionsgeschichtliche Rückfrage, indem sie
nachweisen, daß die Mattäus- und Lukas-Fassungen der Perikope allein auf
Markus fußen und keine von Markus unabhängige Sondervorlage erkennen
lassen. Das I. Kapitel (19-87) fragt sodann nach der vormarkinischen Gestalt
und Einordnung der Einzugsgeschichte. Der Autor gelangt zu folgendem Ergebnis
: Auf die Mk-Redaktion gehen V. 11 und die über Betfage hinausgehenden
Lokalangaben V. la zurück sowie sachlich geringfügige Spuren in den VV 8.9a,
die die Jesus Begleitenden im Sinne von IO,32a deuten. Schon die vormarki-
nische Einzugsgeschichte war also von Sach 9,9 her gestaltet und gehörte in den
Makrokontcxt der vormarkinischen Passionsgeschichte, wahrscheinlich sogar
als deren Einleitung, die die Passionsgeschichte von vornherein in das Licht der
Prophetie Sach 9.9 stellte. - Das 2. Kapitel (91-146) wendet sich dem komplizierten
Problem der Traditionsgeschichte der vormarkinischen Perikope zu.
Die Beobachtung von Brüchen und Spannungen innerhalb des Textes führt -
mit dem größeren Teil der Forschung - zu der Erkenntnis, daß die von der
Beschaffung des Reittieres handelnden und das Kyrios-Bekenntnis einbringenden
VV Ib—7b eine spätere, aus der hellenistischen Gemeinde stammende
Erweiterung darstellen. Da der Autor allerdings - hier liegt sein Proprium -
V. 7c und damit die Formierung der Einzugsgeschichte von Sach 9.9 her zur
frühesten Fassung des Textes rechnen möchte, sieht er sich zu der weiteren
Annahme genötigt, daß ursprünglich ein durch VV 1 b—7b verdrängter V X in
Kurzform die Beschaffung des Reittieres erzählte (vgl. Joh 12,14a). Die Frühfassung
der Einzugsgeschichte umfaßte also VV la.X.7c.8-IO und erweist sich

damit als entscheidend theologisch bestimmtes „Präludium" der Passionsgeschichte
, indem sie unter heilsgeschichtlichem Vorzeichen die vom Kreuzes-
titulus her die alte Passionsgeschichte bestimmende Königstitulatur durch das
EiTüllungszeichen (Eselritt) und die Jubelszene vor zelotischem Mißverständnis
bewahrt. Mit anderen Worten: die Einzugsgeschichte hat nie als Einzelperikope
existiert; sie ist von vornherein auf die Passionsgeschichte hin entworfen. Ihre
starke theologische Prägung gerade in der ältesten Fassung macht die historische
Rückfrage - mit R. Schnackenburg - „ziemlich aussichtslos" (134). Ihre
betonte Ausrichtung auf die Passion tritt in der jüngeren Traditions- und Re-
daklionsgeschichte zurück, ist aber auffälligerweise auch in der vorjohannei-
schen Fassung Joh 12,12-15 (12,16-19 sind johanneisch-redaktionell) noch
erkennbar, zumal dieser offensichtlich einmal die Salbungsgeschichte
Joh 12,1-8 unmittelbar vorausging. Das3. Kapitel(l49-182)wendet sich daher
logischerweise traditionsgeschichtlichen Beobachtungen zu Joh 12,12-19 zu,
die indirekt die Ergebnisse des 2. Kapitels bestätigen. Der Autor macht
wahrscheinlich, daß die vorjohanneische Fassung Joh 12,12-15 auf eine
Umgestaltung der Frühfassung Mk 1 !,la.X.7c.8-10 zurückgeht, die durch die
Verbindung mit der Salbungsgeschichte hervorgerufen wurde.

Die hier nur in ihren Ergebnissen skizzierte Arbeit gelangt ohne
Zweifel zu einem in sich schlüssigen Bild der traditionsgeschichtlichen
Entwicklung. Mehr kann nicht verlangt werden. Daß dieses
Bild hypothetisch bleibt, zeigt spätestens die Konsequenz, mit einem
V X operieren zu müssen. Der Gewinn scheint dem Rez. ein doppelter
zu sein. Einmal macht die Arbeit deutlich, wie hilfreich es für
die exegetische Analyse eines Erzählungstextes ist, wenn sie nicht von
vornherein unter dem Zwang historischer Rekonstruktion erfolgt.
Zum anderen fällt ein neues Licht auf das theologische Bemühen, das
hinter dem Makrokontext der vormarkinischen und vorjohannei-
schen Passionsgeschichte steht: hier ringt eine Gemeinde um die
rechte Bewältigung der Anklage, mit der ihr Herr hingerichtet worden
ist.

Greifswald Günter Haufe

Higgins, A. J. B.: The Son of Man in the Teaching of Jesus. Cambridge
: Cambridge University Press 1980. 177 S. 8' = Society for
New Testament Studies. Monograph Series, 39. Lw. £ 10.50.

Der Autor hat bereits 1964 ein viel beachtetes Buch zur Menschensohn
-Problematik vorgelegt ("Jesus and the Son of Man"). Die
neuerliche Monographie greift eine im letzten Kapitel jenes Buches
geäußerte These auf, um sie im einzelnen und in Auseinandersetzung
mit der seither erschienenen Spezialliteratur zu entfalten: Jesus erwartete
eine Rechtfertigung seiner irdischen Mission in Gestalt seiner Erhöhung
in die Gegenwart Gottes, verbunden mit den Funktionen des
Richtens und Herrschens, die schon an der jüdischen Menschensohn-
Konzeption hingen. >

Teil I der Arbeit diskutiert relativ ausfuhrlich neuere Beiträge zur
Menschensohn-Forschung (3-53). Im Ergebnis dieser Diskussion gelangt
H. zu der Auffassung, daß der aramäische Ausdruck bar nasha
erst unter dem Einfluß von Dan 7,13 seinen apokalyptisch-messia-
nischen Sinn erhalten hat. Teil II der Arbeit diskutiert verschiedene
Gruppen synoptischer Texte im Blick auf die Echtheitsfrage. H. wendet
sich zunächst jener Gruppe futurischer Menschensohh-Aussagen
zu, die J. Jeremias als „konkurrenzlos", d. h. bar jeglicher Parallelen
ohne den Menschensohn-Begriff selbst, bezeichnet und deshalb für
besonders altertümlich angesehen hat. Unter den insgesamt 10 Texten
hält H. nur Lk 17,24.26f.28a+30 für „genuine Äußerungen Jesu". An
zweiter Stelle untersucht er jene Menschensohn-Worte, die Parallelen
im Ich-Stil, d. h. ohne den Menschensohn-Begriff, haben (80-122).
Die Situation scheint ihm hier so kompliziert, daß weder J. Jeremias'
These von der durchgehenden Ursprünglichkeit der Ich-Worte noch
F. H. Borschs gegenteilige These von der durchgehenden Ursprünglichkeit
der Sprüche mit dem Mcnschensohn-BegrifT befriedigen
kann. Jeder fragliche Text bedarf einer individuellen Untersuchung.
Mit Echtheit rechnet H. unter den neun Texten (ohne Parallelen) nur