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Ausgabe:

1984

Spalte:

351-352

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Blank, Reiner

Titel/Untertitel:

Analyse und Kritik der formgeschichtlichen Arbeiten von Martin Dibelius und Rudolf Bultmann 1984

Rezensent:

Wiefel, Wolfgang

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Seite 1

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Theologische Lileralurzeilung 109. Jahrgang 1984 Nr. 5

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dertc und daher besonders hilfreiche, bis 1983 führende „Auswahlbibliographie
zur Sozialgeschichte des Urchristentums" (S. 331-348)
sowie „Stellenrcgister" zum biblischen und außerbiblischen antiken
Schrifttum (S. 349-364), die natürlich den Inhalt des Bandes besser
erschließen helfen. Leider sind einige Druckfehler zumal im 2. Aufsatz
stehengeblieben (für den Setzer bestimmte Hinweise, griechische
Wörter betreifend, aufS. 37 Z. 12 v. u. und S. 43 Anm. 12; der unausrottbare
„Origines" S. 43 oben; das römische „Reich" statt „Recht"
S. 42 Anm. 10, und der Verweis auf Anm. 26a statt 28: S. 50 Anm. 31
Ende). Eine sehr nützliche Neuerung dagegen (auf die im Vorwort zur
2. Aufl. nicht hingewiesen wird) ist es, daß nun die Seitenzahlen der
Erstveröffentlichung der Aufsätze jeweils am inneren Seitenkopf
notiert sind. So sind die Ergänzungen an sich begrüßenswert, wenn
sich auch bei Neuaullagen dieser Art immer die Trage stellt,
warum der Besitzer der I. Auflage dafür bestraft wird, daß er sich das
Buch gleich beim ersten Erscheinen gekauft hat... - Der neu aufgenommene
Aufsatz möchte an Hand zweier in der paulinischen Chri-
stologie gebrauchter Bilder (Christus als „Herr. . ., der freiwillig die
Position des Sklaven übernommen hat", und Christus als „.mystischer
Leib', an dem alle Christen partizipieren") Aspekte der Anwendung
wissenssoziologischer Fragestellungen auf Probleme der neute-
stamentliehen Christologie vorführen und dabei zeigen, wie bestimmte
Aussagestrukturen durch ihren Bezug auf soziologische Gegebenheiten
plausibel werden („Plausibilitätsstruktur" bzw. ,,-basis")
- was u. a. auch bedeutet, daß sie bei Veränderung der Struktur der
Lebenswelt neu adaptiert werden müssen oder aber unverständlich
werden. Nebenbei geht es Theißen auch mit dieser Fallstudie noch
einmal darum, zu unterstreichen, daß die Anwendung soziologischer
Fragestellungen in der Exegese nichts mit einer Reduktion religiösen
Glaubens auf ökonomisch-soziale Sachverhalte nach dem Schema
von Überbau und Basis zu tun hat. (S. 330, Z. 8, fehlt ein halbes Wort,
wohl ,,-prozessen".) Insgesamt bleibt der Band der bisher m. E. eindrucksvollste
Beitrag deutscher Exegese zur soziologischen Fragestellung
in der Bibel wissenschaft.

Naumburg Nikolaus Walter

Blank, Reiner: Analyse und Kritik der formgcschichtlichen Arbeiten
von Martin Dibelius und Rudolf Bultmann. Dissertation. Basel:
Reinhardt i. Komm. 1981.221 S. 8" = Theologische Dissertationen,
XVI. Kart. DM 38,-.

Kaum etwas unterscheidet die neutestamentliche Arbeit im deutschen
Sprachgebiet so stark von den Bemühungen in anderen Bereichen
, etwa dem angelsächsischen, aber auch dem skandinavischen,
wie die für die deutsche Exegese seit Jahrzehnten charakteristische
Dominanz der Formgeschichte. Sie hat befreiend gewirkt, aber auch
geschichtsfremden Konstruktionen den Weg geebnet. Für den Vf. der
vorliegenden Arbeit ist in solcher Einsicht ein Stück eigener biographischer
Erfahrung eingeschlossen. Er hat, wie der angefügte Lebenslaufausweist
, seine theologischen Studien in den USA begonnen und
sie dann in Basel abgeschlossen, wo er Schüler des aus Schweden kommenden
Neutestamentiers Bo Reicke wurde, dessen Skepsis gegenüber
der Formgeschichte bekannt ist. Von ihm angeregt, hat er etwas
unternommen, was sich schon Lietzmann (vergeblich) aus seinem
Schülerkreis gewünscht hatte: die kritische Nachprüfung der Prämissen
und des methodischen Vollzugs formgeschichtlicher Arbeit. Er
führt sie ausschließlich an den Protagonisten durch. Daß dabei der
Weg von M. Dibelius zu R. Bultmann führt, entspricht der historischen
Folge und der methodischen Logik.

Der Vf. versucht die Einseitigkeit der Konzeption von Dibelius von verschiedenen
Fronten her anzugehen (S. 11-78). Er hinterfragt die grundsätzlichen
Prämissen: das Schema von der Naherwartung zur Weltförmigkeit, den
behaupteten Anteil der hellenistischen Gemeinde an Bekenntnis- und Tradi-
lionsbildung, die fehlende Differenzierung in dem als „Sitz im Leben" tragenden
Begriff der Predigt. Er unterwirft ferner das Gerüst der Gattungsbestimmungen
in prinzipiellen und exemplarischen Auslührungen der Nachfrage,
wobei er eingehend Paradigma (Modell: Mk 10,35-45), Novelle (Exempel:
Mk 5,1-20) und Legende bzw. legendäre Weiterbildung (Beispiel: Mk 6,1-6
parr.) behandelt. Nachdrücklich wendet sich der VI gegen die Isolierung der
Perikopen voneinander und bevorzugt an Stelle der Annahme nachträglich
zusammengefügter Zyklen die Strukturierung des Stolfs durch tradilions-
geschichtlich vorgegebene Komplexe. Schließlich bezieht er auch die Verknüpfung
von Zwciqucllcnthcoric und Förmgeschichte in seine kritische Analyse
ein: „Markushypolhese" (im Anschluß an H J. Stoldt!) und Schriftlichkeit von
Q weiden entschiedenen Rückfragen unterzogen.

Dem differenzierteren Instrumentarium Bultmanns entsprechend führt der
zweite Teil die Analysen in umfangreicherer und verfeinerter Form, aber in den
gleichen Bahnen fort (S. 89-173). Dabei wirkt sich die Vertrautheit des Vf. mit
der angelsächsischen Forschung aus. E. P Sanders' oll übersehene Einwände
kommen zur Sprache (S. 1001). Die hier zur Kenntnis genommenen Forschungen
Jacob Neusners und Wayne S. Towners führen zu einer Neubewertung der
rabbinischen Analogien (S. 101-104). Entschiedener noch werden die prinzipiellen
Anfragen geltend gemacht. Sie richten sich gegen die schematische Aufteilung
in palästinensisches und hellenistisches Urchristentum, deren religionsgeschichtliche
Basis seit den Arbeiten von M. Hengel problematisch
geworden ist (S. 110; 144); gegen die dogmatische Verneinung des messiani-
schen Bewußtseins Jesu; gegen den fragwürdigen Umgang mit den Begriffen
„volkstümliche Überlieferung" und „Gemeindetheologie". Der Vf. hat gut
daran getan, der Kritik eigene Analysen (Mk 1,1-13: Mk 16.1-7) und Rekonstruktionen
(Passionsgeschichte) an die Seite zu stellen. Wie sehr er seinerseits
dafür ollen ist, die Fragestellung der Förmgeschichte positiv aulzunehmen, zeigt
der Versuch, die Passionsgeschichte von einem liturgischen Sitz im Leben herzu
verstehen.

Daß"bei der Behandlung der Gleichnisse Bultmanns Verhältnis zu
A. Jülichers Gleichnistheorie nicht untersucht wurde, ist schade, wie
denn überhaupt die forschungsgeschichtliche Ausgangsbasis nicht
deutlich genug ins Blickfeld tritt. Von H. Gunkel ist mehrfach die
Rede, nicht jedoch von den alttestamentlichen Anlangen Martin
Dibelius'. Vergebens sucht man den Namen seines Lehrers Adolf
Deißmann, der durch den von ihm herausgestellten unliterarischen
Charakter des Urchristentums und der Zugehörigkeit seines
Schrifttums zur Volksliteratur den jungen Dibelius angeregt hat. Bultmann
ist weniger von W. Bousset als von Joh. Weiß her zu verstehen,
dessen Arbeiten zur Stilkritik seine Anfange bestimmt haben. Mag
sein, daß die Konfrontation mit Gegenpositionen aus dem Umkreis
der angelsächsischen und skandinavischen Forschung solche Schwächen
aufwiegen. Mag auch sein, daß sich der Vf. zuviel vorgenommen
hat, vor allem in seinem Bemühen, Formgeschichte und Zweiquellentheorie
gleichzeitig anzugehen. Bei allem Respekt vor dem unternommenen
Wagnis: sprengt die Vielzahl der hier zu bedenkenden literarischen
und hermeneutischen, geschichtlichen und religionsgeschichtlichen
Fragen nicht den Rahmen einer Dissertation? Ein wenig erinnert
das Bemühen des Vf. an den Versuch, einen Elefanten auf einem
Handkarren fortzuschaffen. Aber hat er den großen Elefanten Formgeschichte
wirklich zur Strecke gebracht?

Halle (Saale) Wolfgang Wiefel

Alarco, Luis Felipe: Jesus ante la muerie. Lima-Perü: Universidad
Nacional Mayor de San Marcos 1981. XII, 723 S. 8'.

Das Programm, eine Gegenüberstellung von Sokrates und Jesus
„Vor ihrem Tode" zu schreiben, wurde vom Vf. mit dem hier vorliegenden
Band „Jesus vor seinem Tode" in epischer Breite realisiert.
Sokrates soll in einer späteren Arbeit behandelt werden. Jedoch ist der
Vergleich mit Sokrates bereits in extenso S. 633-723 ausgeführt.
Unverkennbar steht der Vf. mit seinem Interesse auf Seiten des
„lächelnden Weisen von Athen", während Jesus ihm trotz langer apologetischer
Passagen ein „Rätsel" (misterico) bleibt. Der „Schrei"
Jesu (el grito) ist dem Vf. Anlaß zu immer wieder aufgenommenen,
langwierigen Erörterungen (S. 39. 621-625. 709), weil er der Wirksamkeit
Jesu widerspricht. - Die Arbeitsweise des Vf. erschwert gelegentlich
den Durchblick. Er kettet in vielfach gegliederter, häufig