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Ausgabe:

1984

Spalte:

343-345

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Mölle, Herbert

Titel/Untertitel:

Der sogenannte Landtag zu Sichem 1984

Rezensent:

Wächter, Ludwig

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Theologische Literaturzeilung 109. Jahrgang 1984 Nr. 5

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Testaments tätig - hat sein Möglichstes getan, wenigstens auf drei
Gebieten über die neuesten Entwicklungen zu berichten; er selbst
bemerkt im Vorwort im Hinblick auf die drei neuen Paragraphen
103-105, daß er ,,vor allem daran interessiert war, die historischen,
exegetischen und theologischen Trends, Neuorientierungen und Umbrüche
darzustellen". Das ist - auch im Hinblick auf den zur Verfügung
stehenden Raum, aber sicher vor allem wegen der Interessenschwerpunkte
des Verfassers auf systematischen Tragen - unterschiedlich
eindrucksvoll gelungen. Am faszinierendsten ist ohne
Zweifel § 105 „Biblische Theologie" zu lesen. Hier führt Kraus eine
Diskussion fort, an derer nie aufgehört hat sich zu beteiligen und auch
durch seine Arbeit als (reformierter) systematischer Theologe teilnimmt
, die sich bewußt an Biblischer Theologie orientieren will.
§ 103 „Israels Geschichte und Gottesverhältnis" lebt ebenfalls von
den systematischen Fragen wie dem nach dem Wesen alttestament-
lichen Geschichtsverständnisses, während die „Realien" - etwa die
Archäologie - nur knapp und nicht eben mit den aktuellsten Beiträgen
erwähnt werden. § 104 „Die Neuorientierung der Exegese und Einlei-
tungswissenschaft" hat die undankbarste Aufgabe: hier soll auf 20 Seiten
ein Gesamtüberblick über den neuesten Forschungsstand geliefert
werden, obwohl doch gerade in den letzten Jahren im Hinblick auf
eine Reihe von grundlegenden Voraussetzungen der Exegese sehr vieles
in Bewegung gekommen ist. Auslührlich behandelt wird die Neuorientierung
vor allem im Bereich der Pentateuchforschung und der
Prophetenexegese; dabei findet die neuerdings zu beobachtende Hinwendung
zur Redaktionskritik und einer erneuerten Literarkritik (mit
starker Neigung zur Spätdatierung sowohl sämtlicher Pentateuch-
quellen wie der prophetischen Stoffe einerseits, grundsätzlicher Zweifel
an der Berechtigung der Quellenkritik andererseits) starke Beachtung
. Dagegen wird man fragen müssen, ob der Problemstand auf dem
Gebiet der Weisheit angemessen wiedergegeben wird, das neuerdings
immer stärker beachtet wird. Das gilt u. a. für die recht unbefriedigenden
Bemerkungen zum Buche Hiob. Daß über Hi 38—41 noch nichts
Erhellendes gesagt sei, ist angesichts der Studien von V. Kubina und
vor allem O. Keel' wohl kaum zu behaupten (S. 553). Das Grundproblem
der Weisheit und die Bedeutung der Weisheit für den
Jahweglauben wird heute doch als wesentlich zentraler angesehen, als
es noch von Rad" erkennen konnte. Sie kommt bei Kraus eindeutig zu
kurz.

Obwohl noch weitere Fragen gestellt werden könnten', wird man
zusammenfassend sagen können, daß Kraus in den drei Zusatzparagraphen
dieser Neuauflage einen im ganzen ansprechenden Versuch
unternommen hat, über die aktuelle Gesprächslage zu informieren.
Der Verlag sollte die drei Paragraphen auch als Separatum Für die
Besitzer der 2. Auflage herausbringen, um diesen einen ansonsten
überflüssigen Neukauf zu ersparen.

Bochum Henning Gral'Reventlow

' V. Kubina, Die Gottesreden im Buche Hiob. FThSt 115. Freiburg i. Br.
1979;ü. Keel. JahwesEntgegnungan Ijob. FRLANT l21.G6uingen 1978.
2 Zitiert auf S. 551.

' Z. B.: Kann Am 7,10-17 weiterhin als Zeugnis tür das Selbstverständnis
des Propheten Arnos verwandt werden, wo es sich doch eindeutig um einen
Fremdbericht legendärer Färbung handelt? Ist dem jüdischen Theologen
R. Geis darin zu folgen, daß das Neue Testament mit dem dort sichtbar werdenden
Zurücktreten des Bereichs der Politik durch das Alte Testament korrigiert
werden muß? Wird hier nicht vielmehr der Übergang in eine neue, umfassende
Heilssituation sichtbar, und dieses „Mithören'* wäre ein Rückschritt?
- Auffällig ist auch die Unvollständigkeit mancher Literaturangaben, wo wichtige
Titel fehlen, Neuauflagen nicht berücksichtigt sind usw. Hierzu wäre eine
ganze Liste möglich.

Mölle, Herbert: Der sogenannte Landtag zu Sichern. Würzburg:
Echter 1980. 339 S. 8' = Forschung zur Bibel, 42. Kart. DM 48.-.

Die Arbeit-eine Essener Habilitationsschrift (1979)-will den vielumstrittenen
Text Josua 24,1-28 in seinem literarischen Werdegang

und in seinen historischen Bezügen einer Klärung zuführen. Das
geschieht 1. durch eine literarkritische (S. 14-107), 2. durch eine
form kritische (S. 108-161) und 3. durch eine gattungskriiisehe
Analyse (S. 162-179), 4. durch eine Kritik der geprägten Syntagmen
(S. 180-251) und 5. durch eine Kritik der Redaktionen (S. 252-279).
Abgeschlossen wird die Untersuchung mit einer Zusammenfassung
der wichtigsten Ergebnisse, einer „deutschen Synopse zu
Jos 24,1-28", Registern und Literaturverzeichnis.

Die literarkritische Analyse, die in gleicher Weise sprachliche Form
und inhaltliche Aussage berücksichtigt, kommt zu dem Ergebnis, daß
Jos 24,1-28 vier Schichten aufweist, die sich voneinander abheben
lassen. Die formkritische Analyse beginnt mit einer mehrseitigen
Tabelle, die in vier Spalten den hebräischen Text der zuvor erschlossenen
Schichten nebeneinanderstellt. Dann werden die Schichten jede
lür sich nach Formenanalyse, Strukturanalyse, Ziel, Umfang und
Horizont durchgenommen, und es werden schließlich spätere Zusätze
ausgesondert. In der gattungskritischen Analyse werden die Schichten
jede für sich auf Gattungsmerkmale hin untersucht und nach ihrem
„Sitz im Leben" befragt.

Dabei Fällt eine wichtige Entscheidung: während die erste Schicht
als Handlungserzählung bestimmt wird, die keine Anzeichen auf
einen literarischen Horizont erkennen läßt, vielmehr einen konkreten
„Sitz im Leben" hat, und zwar einer nicht allzu großen Gruppe
„Israel", die bereits seßhaft, aber noch nicht Herr im Lande ist, wird
der zweiten bis vierten Schicht ein literarischer Horizont zugewiesen,
dem nicht ein „Sitz im Leben", sondern ein „Sitz in der Literatur"
entspricht.

Die Kritik der geprägten Syntagmen sucht die unterschiedlichen
Zusammenhänge soziologischer und literarischer Art der einzelnen
Schichten zu bestimmen, d. h. es wird versucht, auf Grund von Wortwahl
und Stil Hinweise auf Zusammenhänge mit sonst bekannten
Quellenschichten, z. B. Jahwist, Elohist, Deuteronomist, zu finden
und damit Kriterien für die Alterseinstufung zu gewinnen. Hier
scheint das Vorgehen nicht so behutsam und feinmaschig wie in den
vorhergehenden Abschnitten. Aus Wortwahl und Stilelementen Werden
manchmal etwas schnell Folgerungen für den Verlauf von
Geschichte und Überlieferung gezogen.

Der ersten Schicht billigt M. „insgesamt ein hohes Alter" (S. 202)
zu, und er stellt „eine durchgängige Tendenz nach Norden" (ebd.) fest,
d. h. Verfasserschaft im Gebiet des späteren Nordreiches Israel. Er
sieht es als gesichert an, „daß Jos 24 im ältesten Stadium eine Sichem-
schicht (S) bietet, die auf die Israel/Jakob-Gruppe zurückgeht"
(S. 203). Die Sichemschicht enthalte „den .historischen Josua', der
noch keine gesamtisraelitische Gestalt, sondern der charismatische
Anführer der Israel/Jakob-Gruppe war, die in der Umgebung von
Sichern wohnte" (S. 203). Er sei kein ursprünglicher Jahwe-Verehrer
gewesen, und man müsse annehmen, daß er zuvor einen nicht jahwe-
haltigen Namen getragen habe, etwa Hoschea (so die priesterschriftliche
Stelle Num 13,16!).

Für die zweite Schicht, welche die erste voraussetzt und sie erweitert
, wird aus einer größeren Anzahl von Wendungen, die auch in
Texten vorkommen, welche im allgemeinen dem Elohisten zugesprochen
werden, auf elohistische Verfasserschaft geschlossen. Es könne
„als gesichert gelten, daß Jos 24 (zweite Schicht incl. Sichemschicht)
abschließender Bestandteil des elohistischen Erzählwerkes gewesen
ist" (S. 227).

In den zur dritten Schicht zu rechnenden Erweiterungen des Textes
finden sich sowohl Vorstellungen, die ursprünglich auf den Jahwisten
zurückgehen oder sonst nach Süden weisen, als auch Wendungen, die
denen des Elohisten entsprechen; anderes hat Beziehungen zu redaktionellen
Teilen in anderen Texten. Daraus sei zu schließen, daß
die dritte Schicht dem Redaktor von J und E zuzuweisen ist (vgl.
S. 2320- Die vierte Schicht enthält mannigfaltige Bezüge zur deute-
ronomistischen Literatur. Als Verfasser komme also nur Dtr in Frage
(S. 248f).

In der Kritik der Redaktionen werden die Schichten zusammenfas-