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Ausgabe:

1984

Spalte:

307-311

Kategorie:

Kirchenrecht

Autor/Hrsg.:

Stein, Albert

Titel/Untertitel:

Evangelisches Kirchenrecht 1984

Rezensent:

Stolpe, Manfred

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Theologisehe Literaturzeitung 109. Jahrgang 1984 Nr. 4

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Liedexegese entgegengesetzt, wie sie nach Rößler in der Hymnologie
nur zu oft einseitig gehandhabt worden ist. In Rößlers Vorgehen liegen
Parallelen zu struktur- und systemorientierten Bemühungen gegenwärtiger
Sprachwissenschaft, und das darf überhaupt als ein Impuls zu
stärkerer Allianz der Hymnologie mit jener angesehen werden.

Der Aufweis poetologischer Determinanten ist bei Rößler allemal
mehr als ein Vorzeigen von gleichsam typologischen Hülsen, sondern
geschieht gleichzeitig als Ortung und Darstellung der Texte in
frömmigkeitsgeschichtlichen Zusammenhängen. Ein Mittel dazu ist
die bei den Textwiedergaben oft geübte synoptische Darbietung
zweier Texte; aus deren Vergleich werden dann jeweils die biblischtheologischen
weihnachtlichen Themen in ihren hymnologischen
Traditionen und Innovationen aufgewiesen. Nicht immer wird dabei
hinreichend deutlich, in wie starkem Maße Rößler dabei auch eine
Beeinflussung verwandter Texte untereinander annehmen möchte, oder
ob Konkordanzen nur im gleichen Thema und Typ begründet sind.

Als besondere Kabinettstücke systemorientierter wie historisch-
vergleichcnder Liedexegese seien genannt die Darstellungen zu:
M. Luthers „Vom Himmel hoch" und P. Gerhardts „Fröhlich soll
mein Herze springen"; Th. Müntzers und M. Luthers Übersetzung
von „Veni redemptor gentium"; „Es kommt ein SchifT geladen";
E. Kreuzigers „Herr Christ, der einig Gotts Sohn" und Ph. Nicolais
„Wie schön leuchtet der Morgenstern".

Rößler betont: unsere Gegenwart kann alte Lieder nicht mehr
unreflektiert singen; sie sind zu entmythologisieren, freilich nicht zu
entsymbolisieren. In diesem Sinne dient das Buch der klärenden und
vertiefenden Vermittlung weihnachtlicher Liedtexte.

Berlin Christian Bunners

Kirchenrecht

Stein, Albert: Evangelisches Kirchenrecht. Ein Lernbuch. Neuwied-
Darmstadt: Luchterhand 1980. IX, 217 S. 8". Kart. DM 24,80.

Albert Stein, Jurist und Theologe, Vizepräsident der Österreichischen
Gesellschaft für Kirchenrecht und Inhaber des Lehrstuhls für
Kirchenrecht an der Ev.-theologischen Fakultät der Universität Wien,
hat 1980 ein Lehrbuch über das Evangelische Kirchenrecht herausgegeben
. Bemerkenswert sind darin vor allem die Gesamtschau ev. Kirchenrechts
im deutschsprachigen Raum, die Praxisnähe und die sich
aus der oekumenischen Wertung ergebenden Denkanstöße für Verständnis
, Rechtsetzung und Anwendung kirchlicher Ordnungen. Das
Lernbuch kann durch seine verständliche Sprache, schlüssige Argumentationen
und plastische Beispiele Einstieg und Arbeitshilfe zum
Kirchenrecht für Theologen und Juristen, Lernende, Lehrende und
Praktizierende, sein. Dabei sind ein gutes Stichwort- und ein umfassendes
Literaturverzeichnis eine gute Hilfe. Anregend für die Weiterarbeit
sind sowohl die im Anhang 1 dafür gegebenen Hinweise als
auch bei den jeweiligen Sachfragen die umfangreiche Erwähnung beispielhafter
Kirchenrechtssetzung aus der Evangelischen Kirche Augsburgischen
und Helvetischen Bekenntnisses in Österreich, dem Bund
der Evangelischen Kirchen in der Deutschen Demokratischen Republik
, der Evangelischen Kirche in Deutschland und dem Schweizerischen
Evangelischen Kirchenbund. Als ein Kurzkompendium ev.
Kirchenrechts erweisen sich zudem zwanzig Lehrsätze, die Stein den
Abschnitten seines in fünf Kapitel gegliederten Werkes als Zusammenfassung
voranstellt. Der Lehrsatz, zum Abschnitt 2.1. (Seite 37)
verdeutlicht zugleich den Ansatz, von dem her der Verfasser evangelisches
Kirchenrecht lehrt und anstößt:

„Den besten Ansatz für alles rechte Verständnis evangelischen Kirchenrechts
bedeutet der Gottesdienst als der Mittelpunkt des Lebens
einer christlichen Gemeinde. Evangelische Gottesdienstordnung will
dazu helfen, daß Jesus Christus nach der Heiligen Schrift öffentlich
bezeugt wird und die oekumenische Gemeinschaft der Christen mit
Christus und untereinander zu ihrem geordneten Ausdruck kommt.

Hier zeigen sich Grundstrukturen eines evangelischen Kirchenrechts,
die sich als Auftrag und Dienstgemeinschaft, Sendung und Aufsicht,
Regel und Befreiung umschreiben lassen."

Aus der Fülle der behandelten Fragen sei hier auf einige hingewiesen
, zu denen Stein klärende Definitionen bietet, praktische Fragen
hilfreich behandelt, Problemanzeigen oder weiterführende Anstöße
gibt. Die Auswahl ist willkürlich, hat allerdings das konkrete Arbeitsfeld
der Praktiker evangelischen Kirchenrechts in der DDR vor
Augen, nämlich der Superintendenten, der Gemeinde- und Kreiskirchenräte
, der Ämter, der Kirchenleitungen und der Synoden, der
Dienste und Mitarbeiter, von deren Verständnis und Einsatz es entscheidend
mit abhängt, ob Kirchenrecht Hilfe oder Hindernis für
Zeugnis und Dienst der Kirche ist. Für sie möchte diese Besprechung
zugleich Information und Anregung sein

Überzeugend legt Stein dar, daß die biblische Weisungev. Kirchenrecht
bestimmt und begrenzt. In der gewagten Kürze, die ein Lernbuch
zuläßt, weist er nach, daß auch die Großen des ev. Kirchenrechts
trotz unterschiedlicher Terminologie in dieser Richtung denken: Erik
Wolf, der den gleichen Begriff verwendet, Johannes Heckel, wenn er
von „Richtpunkten" spricht und Hans Dombois in den „Grundformen
". Die biblische Weisung, das sind nicht selbst Rechtssätze,
sondern grundlegende grenzsetzende und ausrichtende Weisungen
(S. 23) und zugleich die Auslegungsmittel des ev. Kirchenrechts
(S. 29). Der Verfasser stellt thematische Gruppen biblisch-neutesta-
mentlicher Weisungen für die Ordnung des christlichen Gemeindelebens
heraus: Herrenworte, die in Wort und Sakrament Gemeinde
stiften; Weisungen für das Zusammenleben der Christen untereinander
; Weisungen über die Gestalt der Gemeinde und die Weisung zur
ökumenischen Einigkeit (S. 24f). Das ev. Kirchenrecht bezieht so
seine Legitimität und seine Ausrichtung aus der biblischen Weisung.
Aber es hat dabei in jeder geschichtlichen Lage die je angemessenste
und zweckmäßigste Lösung zu finden. Dazu darf und muß es den
Raum des ihm je geschichtlich Freigestellten gehorsam und mutig
ausnutzen (S. 30). Vor zu großer Nähe zu weltlichen Vorgängen (z. B.
Fahnenweihen) wird ebenso gewarnt, wie vor gedankenloser Analogie
staatlichen Rechts (S. 68, 108).

Aus Steins Überlegungen zu den Rechtsquellen ev. Kirchenrechts
sei hier das Gewohnheitsrecht erwähnt. Da es keine Gesamtkodifikation
gibt, haben sich in den von der Kirchengesetzgebung freigelassenen
Räumen tatsächliche Übungen allgemeinen Umfangs entwickelt.
Solche oft jahrhundertelang geübten Regeln schaffen Gewohnheitsrecht
, das durch ausdrückliche Rechtsetzung verdrängt werden kann,
aber bis dahin rechtsverbindlich bleibt. Solches Gewohnheitsrecht ist
z. B. auch bei den Lebensordnungen zu beachten. Diese sind zwar
nicht schon als solche bindende Rechtsnorm, geben jedoch in ihren
Anweisungen über die Amtshandlungen gewohnheitsrechtlich verfestigte
liturgische Ordnung wieder (S. 32f). Daraus folgt, daß die
krasse Nichtbeachtung solcher gewohnheitsrechtlichen Normen
rechtswidrig und Pflichtverletzung wäre. Interessant hier auch der
Hinweis auf die Grundregeln gemeinevangelischer Kirchenrechtsüberzeugung
, die dort, wo Ordnungen gänzlich fehlen, doch zu beachten
sind (S. 61).

Eine Verbindlichkeit des ev. Kirchenrechts ist für Stein vom Zwang
unabhängig. Ja, Zwang, angedroht oder ausgeübt, sei dem Kirchenrecht
verschlossen (S. 184). Zu folgen ist dem Gedanken, daß ev. Kirchenrecht
seine Verbindlichkeit nicht durch Zwangsmittel hat. Anzufragen
ist dennoch, inwieweit nicht die real gegebenen und legitimen
Möglichkeiten des Zwanges, die bis zur Trennung reichen, deutlicher
herausgestellt werden könnten. Zur Anwendung ev. Kirchenrechis
warnt Stein vor der Mißachtung, etwa am Beispiel des Kinderabendmahls
(S. 57), und rät, Handhabung ev. Kirchenrechts als Abhilfe von
Mißständen, nicht als Nachgeben zu praktizieren (S. 156). Bei alledem
ist aber zu bedenken, daß ev. Kirchenrecht in allen Fragen rechtlicher
Ordnung im Zweifel für die Gemeinde auszulegen ist. (S. 81),
sie und auch einzelne Betroffene stärker anzuhören sind oder in strukturierten
Verfahren vor unabhängigen Gremien deren Interessenver-