Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1984

Spalte:

305-307

Kategorie:

Liturgiewissenschaft, Kirchenmusik

Autor/Hrsg.:

Rößler, Martin

Titel/Untertitel:

Da Christus geboren war ... 1984

Rezensent:

Bunners, Christian

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2

Download Scan:

PDF

305

Theologische Literaturzeitung 109. Jahrgang 1984 Nr. 4

306

Feiertage entspricht dem Trend der beiden letzten Jahrzehnte, von
einer allzu strengen Reglementierung der liturgischen Stücke abzukommen
.

Vor allem aber hatte die Neuordnung des gottesdienstlichen Lektionars
(am 1. Advent 1978 in Kraft getreten) eine Revision des Liedplans
bedingt; denn Lied und Lesung(en) sollen einen erkennbaren
thematischen Bezug haben.

Die vorgelegten 80 Liedsätze wurden mit wenigen Ausnahmen
(Sätze alter Meister) als Auftragswerk von Kirchenmusikern unserer
Tage neu geschrieben. Die Praxisnähe dieser Sätze zeigt sich besonders
da, wo sie im „Baukasten"-Prinzip gearbeitet sind: Bei einer größeren
Zahl der Vertonungen sind einige Stimmen (in der Regel Instrumentalstimmen
) ad libitum gesetzt. Sie können also je nach den zur
Verfügung stehenden Mitteln eingesetzt oder weggelassen werden.
Auch ist innerhalb eines Gottesdienstes eine unterschiedliche Wiedergabe
desselben Satzes möglich.

Stilistisch sind die Kompositionen im allgemeinen nur sehr bedingt
in das Umfeld der Gegewartsmusik einzuordnen. Die Rücksichtnahme
auf die Ausführbarkeit durch Laienchöre setzte dem Wollen
der Komponisten enge Grenzen. Dennoch darf man den Sätzen zumindest
eine handwerkliche Gediegenheit bescheinigen. Unseren
Kirchenchören wird ein Sammelband mit guter gottesdienstlicher
Gebrauchsmusik in die Hand gegeben.

Von den gottesdienstlichen Liedern wird nach altem Brauch in
erster Linie das Graduallied alternatim musiziert: Gemeinde und
Chor singen es im Wechsel. Die 80 neu angebotenen Wochenliedsätze
möchten die Fortführung dieser Tradition ermöglichen. Mancher
Chor wird dankbar sein für die Bereicherung und Belebung des gottesdienstlichen
Musizierens.

Berlin Christoph Albrecht

Rößler, Martin: Da Christus geboren war... Texte, Typen und
Themen des deutschen Weihnachtsliedes. Stuttgart: Calwer 1981.
277 S. 8' = Calwer Theologische Monographien, Reihe C Bd. 7
Kart. DM 38,-.

„Kein christliches Fest hat so impulsiv und intensiv zum Dichten
und Singen angeregt wie Weihnachten, sowohl in der Produktion wie
in der Reproduktion." (S. 11) Für die unübersehbare Textfülle weihnachtlichen
Liedgutes eine poetologisch-theologische Kategorientafel
bereitzustellen und im Zusammenhang mit ihr die Einzelinterpretation
von Liedtexten wissenschaftlich und meditativ voranzutreiben, -
das ist das Anliegen des Buches, dessen Verfasser bisher besonders
durch profunde Arbeiten zur Geschichte und Bibliographie der Liedpredigt
hervorgetreten ist.

In einem ersten Hauptteil (S. 9-41) entwickelt Rößler „ein differenzierendes
System von modellhaften Liedtypen" (S. 13). Mit diesem
System soll über bisherige Ansätze für eine Weihnachtsliedtypologie
bei W.Thomas und K.Ameln (1932), K. Hauschildt (1952) und
E. Weismann (1970) hinausgeführt werden. Durch eine zwölfgliedrige
Typentafel will Rößler ein „umgreifendes Raster" (S. 37) schaffen,
das nicht nur auf Weihnachtslieder, sondern auf Kirchenlieder insgesamt
anwendbar ist und das die bisher „konfuse Terminologie" (S. 36)
in der Kirchcnliedtypologie von einem neuen Ansatz her zu klären
sucht. Bestimmend ist dabei für Rößler nicht ein monokausales Prinzip
(wie Inhalt, Anlaß, Funktion o. ä.), sondern ein duales Koordinatensystem
. Rößler bildet es aus der Ordinate „Erscheinungsweise des
Stoffes" und der Abszisse „Aktionsweisen des Sagens". Auf der
Ordinatenseite wird im Rückgriff auf weihnachtliche Texte und Themen
des Neuen Testaments folgender Ternar systematisiert: A Biblischer
Bericht - B Kirchliche Lehre - C Kerygmatische Predigt. Auf
der Abszisse wird im Anschluß an die Literaturwissenschaft (E. Staiger
, W. Kayser, W. V. Ruttkowski) eine vierfache Gliederung nach
„Grundhaltungen" (Ruttkowski, 1968) vorgeschlagen: 1. episch -
2. dramatisch - 3. lyrisch - 4. parodistisch. Die sprachwissenschaftlich
in ihrer Eigenständigkeit noch umstrittene parodistische Grundhaltung
wird charakterisiert als „Anklang und Zitat, artistisches Spiel
mit dem Stoff und seinen aus der Geschichte überkommenen Ausprägungen
" (S. 35). Mit der Systematisierung des parodistischen Elements
setzt Rößler einen interessanten Akzent, der insbesondere
jüngste Kirchenliedschöpfungen interpretieren hilft und den es für die
Hymnologie insgesamt weiter zu bedenken gilt.

Die in dem Koordinatenkreuz gebildete Typentafel wird folgendermaßen
gefüllt: AI Erzähllied, A2 Aktionslied, A3 Devotionslied, A4
Parodielied; Bl Bekenntnislied, B2 Heilsgeschichtslied, B3 Allegorielied
, B4 Provokationslied; Cl Verkündigungslied, C2 Kasuslied, C3
Andachtslied, C4 Protestlied.

Der von Rößler entwickelte allgemeine Liedtypen-Raster muß in
der Forschung weiter diskutiert werden. Nicht genügend beachtet ist
m. E„ daß es sich bei den „Erscheinungsweisen des Stoffes" selbst
schon um Sageweisen handelt, Gehalt und Gestalt also stärker miteinander
vermittelt sind, als es die vorausgesetzte Ordinatenbestimmung
nahelegt; bleibt man hier bei Rößlers Bestimmung, so stellt sich der
angegebene neutestamentliche Ternar der „Erscheinungsweisen"
aber als durchaus erweiterbar dar.

Unabhängig von solchen Fragen der Zuordnung von „Gehalt" und
„Gestalt" (S. 37 u. ö.) ist die von Rößler sowohl systematisch wie an
konkreten Texten gewonnene Analyse und Beschreibung der Einzeltypen
wertvoll. Durch einige neue Begriffsprägungen wird der Katalog
bisheriger Typenbezeichnungen erweitert, diese selbst werden geklärt
und profiliert. Daß die Typentafel nicht schematisch, sondern als
schwerpunktbildendes Netz mit Übergängen zu handhaben sei, betont
Rößler mehrfach. Übrigens hat sich ihm gezeigt, daß die Lieder Paul
Gerhardts sich besonders häufig einer Typisierung zu entziehen scheinen
. Aufschlußreich ist, daß Rößler bereits am mittelalterlichen Liedgut
fast alle zwölf erhobenen Liedtypen darzustellen vermag. - Über
die Zuweisung einzelner Lieder zum einen oder anderen Typ mag
man streiten: der Autor'ist auch in dieser Beziehung thesenfreudig
und diskussionsanregend.

Im Verlauf des zweiten Buchteils (S. 43-259) werden 134 exemplarische
weihnachtliche Liedtexte ausgedruckt, die in einem dritten Teil
(Register, S. 26.1-277) zusammen mit einem Quellen- und Literaturverzeichnis
sorgfältig nachgewiesen werden. Die Texte reichen von
Ambrosius bis zu D. Solle; am zahlreichsten sind Belege aus dem 16.,
17. und 20. Jahrhundert, die Minderberücksichtigung des 18. und*
19. Jh. mag man bedauern. Einordnung und Auslegung der repräsentativ
ausgewählten Einzellieder sind das zweite Hauptanliegen Rößlers
, das er als „theologisch-hermeneutische, zugleich gedanklichmeditative
Arbeit am Kern des Liedes" (S. 41) zu erfüllen trachtet. In
der absichtsvollen Verknüpfung von wissenschaftlicher und betrachtender
Interpretation möchten wir einen weiteren, besonders gegenstandsadäquaten
Vorzug des Buches sehen, das übrigens auch in der
Sorgfalt der sprachlichen Formung seine poetische Materie zu spiegeln
weiß.

Verzicht auf Behandlung der Liedmelodien war gefordert; gleichfalls
mußte Rößler die altenglischen Christmas-Carols, die französischen
Noels und weihnachtliche Volkslieder aus aller Welt unberücksichtigt
lassen, er notiert freilich, daß sie alle sich in die entfaltete
Typologie einordnen ließen. Der Begriff „Kirchenlied" wird, wo verwandt
, von Rößler nicht eng gefaßt. Die Auswahl der deutschen (und
einiger lateinischen) Weihnachtslieder greift über die üblichen Gesangbücher
hinaus und bietet somit auch die Interpretation von
weniger bekannten Texten. Die Berücksichtigung der textlichen Urformen
vermittelt Einsichten in rezeptionsgeschichtlich begründete
Retuschen und Kürzungen.

Die Einzelinterpretationen weihnachtlicher Lieder vollzieht Rößler
unter gleichzeitiger Beachtung der von ihm entwickelten typolo-
gischen Distinktionen wie der konkret-poetischen Manifestationen.
Die aus dem Wechselspiel typologisch-allgemeiner und konkretästhetischer
Momente gezeugte Hermeneutik wird programmatisch
einer biographisch-anekdotischen oder inhaltlich-pauschalisierenden