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Ausgabe:

1984

Spalte:

277-278

Kategorie:

Dogmen- und Theologiegeschichte

Titel/Untertitel:

Beda Venerabilis, Kirchengeschichte des englischen Volkes 1984

Rezensent:

Diesner, Hans-Joachim

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Seite 1

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Theologische Literaturzeitung 109. Jahrgang 1984 Nr. 4

278

lieh der relativ kleine Anhang III „Das vormetaphrastische Martyrium
Artemii" (Bibliotheca Hagiographica Graeca Nr. 169 y. z)
wurde durch eine neue Textausgabe ersetzt (166-75). Bidez hatte für
dieses Stück nur zwei Handschriften zur Verfügung, die den Text
schlecht wiedergaben. Dagegen kann sich Winkelmann auf weitere
sieben Handschriften stützen, von denen auch keine einen völlig einwandfreien
Text bietet (359). Die neue Textausgabe weicht von der
alten auf S. 166-70 und 175 „völlig eigenständig - paraphrasierend,
erweiternd, kürzend" ab (358). Auf den übrigen Seiten sind dagegen
die Abweichungen nur geringfügig. Das Martyrium des Artemios ist
keine zeitgenössische Quelle, sie wurde erst Jahrhunderte später geschrieben
. Trotzdem ist es die älteste uns erhaltene Form des hagio-
graphischen Berichtes über Artemios und hat hier Bedeutung, weil sie
„Dienste bei der Rekonstruktion des Werkes von Philostorgios" leistet
(358). Die Nachträge und Berichtigungen, die W. schon für die
2. Auflage 1970 vorgenommen hatte, sind für die 3. Auflage emeut
überarbeitet worden. Die insgesamt 560 Seiten des Bandes enthalten
nur 241 Seiten Text, der durch Anmerkungen und mitunter noch
durch Vergleichstexte auf wenige Zeilen der Seite beschränkt wird.
Umfangreicher sind die Beigaben: 160 Seiten Einleitung, 95 Seiten
Register und 50 Seiten Berichtigungen und Nachträge. Wer sich mit
Philostorgios näher beschäftigen möchte, muß zu diesem Band greifen
. Auch wer nur einen kurzen Überblick über diese Kirchengeschichte
und ihre Quellen gewinnen will, kann sich in der Einleitung
leicht informieren (CXX V-CXL).

Der Reihe Griechische Christliche Schriftsteller kann man nur
wünschen, daß dieses traditionsreiche Unternehmen durch weitere so
ausgezeichnete Nachauflagen altbewährter Bände fortgesetzt werden
möge.

Rostock Gert Haendler

Beda der Ehrwürdige: Kirchengeschichte des englischen Volkes.

Venerabiiis Bedae historia ecclesiastica gentis Anglorum. 2 Teilbände
. Übers, von G. Spitzbart. Darmstadt: Wissenschaftliche
Buchgesellschaft 1982. VII, VI, 582 S. 8* = Texte zur Forschung, 34.
Kart. DM 128,-.

Es ist erfreulich, daß auch die „Kirchengcschichte" Bedas, das nach
seiner Entstehungszeit wie nach manch anderen Kriterien (vorab der
durchgängigen Verwendung der Inkarnationsdaten) reifste Werk des
northumbrischen Mönches, Aufnahme in die „Texte zur Forschung"
gefunden hat, die von der Wissenschaftlichen Buchgesellschaft Darmstadt
herausgegeben werden. Ist doch die von M. M. Wilden 1866
edierte Übersetzung restlos veraltet und weithin unbrauchbar.

Wie Spitzbart auch in seiner knappen Einleitung (S. 1 -10) sagt, hat
er sich in der lateinischen Textgestaltung an die Ausgabe von B. Col-
grave und R. A. B. Mynors gehalten, jedoch auch den älteren Text
von C. Plummer benutzt und mit den wichtigsten Handschriften verglichen
. So ist eine schulmäßig gute Edition entstanden, zumal die
Benutzung durch genaue Gegenüberstellung von lateinischem Text
und deutscher Übersetzung ebenso erleichtert wird wie durch ein ausreichendes
Register und ein (etwas zu begrenztes) Literaturverzeichnis
. Die Übersetzung ist insgesamt sorgfaltig und um Verständlichkeit
wie Anschaulichkeit bemüht. Spitzbart hat jedoch die Warnungen
nicht beachtet, die u. a. Crcpin' hinsichtlich des einheimischen Hintergrundes
und seiner Bedeutung für die Übersetzertätigkeit Bedas
ausgesprochen hat. Einige Beispiele mögen dies vor allem im Hinblick
auf ein anachronistisches Übersetzen belegen. Angli normalerweise
als „Engländer" zu übersetzen, ist mehr als bedenklich, auch wenn die
moderne englische Literatur dies zu rechtfertigen scheint. Man wird
hier peinlich an eine Zeit erinnert, in der statt Germanen „Deutsche"
gesetzt wurde. Vor allem ist es jedoch bedenklich, eine noch nicht erfolgte
Ethnogenese .vorauszuvollziehen', wobei auch die Hinweise auf
das Vokabular der immerhin rund 170 Jahre nach Beda erfolgten
Übersetzung der „Kirchengeschichte" durch König Alfred nicht ausreichen
. S. hat nur insofern Recht, als „Angli" oft zusammenfassend

für Angeln, Sachsen und Jüten - also für alle Inselbewohner germanischer
Herkunft - genannt wird. Doch ist König Aethelfrith
(ca. 595-616/17) keineswegs ein „Herrscher der Engländer" (I, 34),
sondern nur ein früher northumbrischer König, der einen Teil der
Angeln beherrscht und auf britisches Gebiet ausgreift. Schwerwiegender
: Gregors d. Gr. Missionsabsicht gegenüber den Germanen in Britannien
wird durch die Autopsie bestärkt, die ihm „anglische" Sklaven
(II, 1) vermitteln. Derselbe Papst sendet aber Augustin zur Predigt
„beim Volk der Engländer" (II, 5). (Bei Übersetzungsschwierigkeiten
der geschilderten Art sollte man das strittige Wort wenigstens apostrophieren
[oder eine kurze Anmerkung geben].) - Die wechselseitige Erklärung
von Begriffen wie Bretwalda und dicio (S. 558 und 562) nützt
auch nichts, zumal die Terminologie für Herrschaft und Oberherrschaft
bei Beda in Anknüpfung an römisches Vokabular relativ reichhaltig
ist. An der maßgeblichen Stelle (II, 5) taucht dicio überhaupt
nicht auf, sondern es werden Umschreibungen mit „imperium huius-
modi", „maiore potentia" und auch verbale Fügungen verwendet.
Daß S. ein Lokal- und Zeitkolorit einfangen will, ist verständlich.
Doch es gehört viel Fingerspitzengefühl dazu, beispielsweise „miles"
jeweils richtig mit Than, Thegn, Gefolgsmann oder Krieger zu übersetzen
(S. 211, Z. 7 ist die Übersetzung als ,,Soldat[en]" natürlich anachronistisch
). -III, 1 wird „cum immensis iIiis copiis" übersetzt „mit
seinen ungeheuren Truppen", was etwas merkwürdig klingt. Auch
heißt 11,5 „Qui inter cetera bona, quae genti suae consulendo confere-
bat" nicht „Unter den übrigen guten Dingen, die er seinem Volk
durch Fürsorge zuteil werden ließ". Der König hatte mit Hilfe seiner
Ratgeber das Recht aufzeichnen lassen. Man sollte also lieber von
„Gütern" oder .guten Werken" sprechen, zumal dies theologisch aussagefähiger
ist. Auch die Übersetzung von „auetoritas" und ähnlichen
wichtigen Termini bleibt teilweise problematisch. II, 2 wird C asars
Konsulat von 59 v. Chr. fälschlich beim Jahr 60 belassen; man hätte
auch die Jahre für Casars Britannienfeldzüge (55 und 54 v. Chr.) in
eine Anmerkung bringen sollen, da Beda in den Datierungen an sich
zwar genau ist, aber doch häufig berichtigt, zumindest aber überprüft
und ergänzt werden muß.2 Gegen die Behauptung, daß Wearmouth
und Jarrow über eine ausgezeichnete Bibliothek verfügt hätten (S. 6),
spricht vieles: So die Tatsache, daß Beda bei der Zusammenstellung
des Materials zu seiner „Kirchengcschichte" auf zahlreiche Gewährsmänner
angewiesen war(Hist. eccl., praef.)und daß er sich gezwungen
sah, so viele Lehrbücher zu schreiben - was neben theologischen eben
auch eminent praktische Gründe hatte3.

So wirft die zweisprachige Ausgabe Spitzbarts, für die man insgesamt
dankbar sein wird, doch nicht wenige Fragen auf. Die Einleitung
ist vor allem im Hinblick auf die allgemeinen Verhältnisse der Zeit
Bedas zu knapp, was die Vermutung nahelegt, daß S. den historischpolitischen
Problemen, die der Mönch an markanten Einschnitten
seines Werkes-oft mit Hilfe synchronistischer Fügungen (so II, 20)'-
einbringt, nicht die Aufmerksamkeit zuwandte, die ihnen Beda Vcne-
rabilis selbst zuerkannt hat. Dennoch darf die gründliche und besonnene
Arbeitsleistung nicht unterschätzt werden, die dem Ganzen
gewidmet worden ist.

Halle (Saale) Hans-Joachim Dicsner

1 A. Crepin. Bede and the Vcrnacular (Famulus Christi, hrsg. v. G. Bonner,
London 1976, S. 170-192).

2 W. Levison, Bede as Historian (A. H. Thompson, Bede, His Life, Times,
and Writings. Oxford 1935, S. 111-151; WA: Aus rheinischer und fränkischer
Frühzeit, Düsseldorf 1948, S. 347-382); H.-J. Diesner, Inkamationsjahre.
.Militia Christi' und anglische Königsporträts bei Beda Venerabiiis (Mittellatci-
nisches Jahrbuch, Bd. 16,1981, S. 17-34, bes. Anm. 15).

' M. L. W. Laistner, The Library of the Vcnerable Bede (A. H. Thompson,
s. o. Anm. 2, S. 237-266); H.-J. Diesner, Das christliche Bildungsprogramm
des Beda Venerabilis(672/73-735)(ThLZ 106,1981 Sp. 865-872).

' H.-J. Diesner, Fragen der Macht- und Herrschaftsstruktur bei Beda, Mainz
1981 (Abhandlungen der Geistes- und Sozialwisscnschaftlichen Klasse / Akademie
der Wissenschaften und der Literatur, Jg. 1980, Nr. 8).