Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1984

Spalte:

273-275

Kategorie:

Dogmen- und Theologiegeschichte

Titel/Untertitel:

Nabinal - Ozanam 1984

Rezensent:

Völker, Walther

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2

Download Scan:

PDF

273

Theologische Literaturzeitung 109. Jahrgang 1984 Nr. 4

274

auch Kontakte nach Skandinavien, Böhmen, Polen, Rußland und im
Balkanraum suchte: Durch ein Privileg vom 8. 1. 1089 gründete er
beispielsweise eine eigenständige serbische Kirche. In der Aufbesserung
der Beziehungen zu Byzanz war Wibert ebensowenig erfolgreich
wie die legitimen Reformpäpste.

Den - teilweise hier schon berührten - Folgerungen Z.s in einem
Schlußwort (S. 275-279) wird man weithin zustimmen können.
Wibert geriet in Konflikt mit Gregor VII., weil er dessen übersteigerten
Primatsanspruch, wie er sich im „Dictatus Papae" von 1075 spiegelte
, nicht anerkennen konnte und eine nur maßvolle Reform der
Kirche erstrebte. Mit dem deutschen Königtum arbeitete er eng, „aber
unter Wahrung seiner Entscheidungsfreiheit" zusammen, wobei
neben anderem seine relativ große politisch-militärische Macht ausschlaggebend
war. Trotz seiner letztlichen Behinderung in Rom selbst
durch das Eindringen des von normannischen Kontingenten getragenen
Urbans II. (1098) wird man nicht davon sprechen können, daß er
selbst indirekt oder direkt gescheitert sei. Wenn Z. sein Endkapitel
(VII.) mit „Unvollendete Konsolidierung" überschreibt, so ist dies
freilich etwas zu positiv gesehen, zumal die „damnatio memoriae"
Wiberts (= Clemens' HI.) durch Paschalis II. (1099-1118) die Spuren
der Wirksamkeit dieses Gegenpapstes weithin verwischt hat, so daß es
eben schwer hält, Person und Leistung so angemessen darzustellen,
wie Z. dies insgesamt getan hat. - Auch die sprachliche Gestaltung ist,
von einigen Entgleisungen abgesehen, vorzüglich; der Dezenz halber
sollte man wohl nicht von einem „Marsch gegen Rom" sprechen
(S. 74). Sind Formulierungen wie auf S. 203: „So läßt sich nur ein
beschränkter Vergleich versuchen, der immerhin ergibt, daß alle 1081
genannten mit ähnlichem Rang auch 1093 wieder erscheinen" (gemeint
sind natürlich die Jahre!) nicht zu abstrakt? Hinter eine S. 227
getroffene Feststellung „Die auch hier (gemeint ist: in Oberitalien)
aufflammende Kreuzzugsbegeisterung besaß eine Autonomie, die
nicht daran denken ließ, sie von Urban gezielt für seinen kirchenpolitischen
Existenzkampf einzusetzen" möchte ich doch auch sachlich
ein Fragezeichen setzen: Solche Entscheidungen lassen sich einfach
deshalb nicht treffen, weil der Quellenstrom zu dünn ist.

Halle (Saale) Hans-Joachim Diesner

Dogmen- und Theologiegeschichte

Dictionnaire de Spiritualite. Ascetique et Mystique, Doctrine et
Histoire, fonde par M. Viller, F. Cavallera, J. de Guibert, S. J., con-
tinue par A. Rayez, A. Derville et A. Solignac, S. J. avec le concours
d'un grand nombre de collaborateurs. Tome XI: Nabinal - Oza-
nam. Paris: Beauchesne 1982. 1092 Sp. 4*.

Der elfte Band des Dictionnaire de Spiritualite enthält die Artikel,
die mit den Buchstaben N und O beginnen. Dies hat zur Folge, daß die
Zahl der kleineren Beiträge, die einzelnen Persönlichkeiten gewidmet
sind, verhältnismäßig groß ist - ich habe über zweihundert gezählt -,
während die der umfänglicheren Abhandlungen, die beim Buchstaben
M eine so große Rolle spielten, auffallend zurücktritt.

Aus ihrer Mitte möchte ich drei besonders hervorheben. Der Artikel
«Oecumenisme» (Sp. 631-681) bietet in gedrängter Kürze zunächst
eine Übersicht über die geschichtliche Entwicklung dieser Bestrebungen
- getrennt nach Konfessionen. Es ist hierbei viel Material
zusammengetragen, das lediglich aufgezählt wird, wobei die Registrierung
der päpstlichen Verlautbarungen und der anderen kirchlichen
Erlasse besonders dankenswert ist, wenngleich auch die Lektüre durch
dieses Verfahren der Summation nicht gerade anziehend ist. Als Handbuch
und für eine erste Orientierung sind die Ausführungen gewiß von
Nutzen. Im zweiten Teil «la vie oecumenique aujourd'hui» (Sp.
665-681) wird die gegenwärtige Lage mit ihren mannigfaltigen Problemen
vom katholischen Standpunkte aus skizziert.

Ganz anders ist der Artikel »Orthodoxie» (Spiritualite,
Sp. 971-1001) gehalten. Er stammt aus der Feder von Thomas Spid-
!ik, einem ersten Sachkenner auf diesem Gebiete. Er hat dabei ein bestimmtes
Ziel im Auge: «il voudrait aider ä saisir les lignes dominantes
et directrices de la spiritualite orthodoxe» bzw. «il öftre une vue generale
panoramique» (Sp. 973). In fünf Abschnitten umfaßt er alles
wichtige, aber er tut es auf eine ganz persönliche Art. Unter Ausnützung
seiner zahlreichen Veröffentlichungen legt der Verfasser doch
einen gewissen Nachdruck auf den Kappadozier Basilius, den er auch
als Ahnherrn für die sophiologischen Spekulationen in Anspruch
nimmt, und auf Theophane le Reclus. Dies hat zur Folge, daß die russische
Entwicklung im Mittelpunkt seines Interesses steht, was freilich
eine kenntnisreiche Behandlung der älteren Zeit nicht ausschließt.
Die Literaturangaben enthalten alles Wichtige, wobei besonders häufig
das Buch von P. Evdokimov, L'Orthodoxie, 1959 zitiert wird. Die
Ausführungen sind flüssig geschrieben, und man läßt sich unter sicherer
Führung gern in ein vielen unbekanntes Gebiet geleiten.

Der dritte Beitrag ist wesentlich kürzer: »Naissance divine»
(Sp. 24-34) und hat A. Solignac zum Verfasser. Im Anschluß an Hugo
Rahners Artikel „Über die Gottesgeburt" (1935) werden einige
charakteristische Abschnitte aus den Vätern angeführt. Die Untersuchungen
werden über das MA, wobei besonders Meister Eckhart -
freilich nicht ohne Reserven - berücksichtigt wird, bis zur Gegenwart
fortgeführt. Zum Abschluß wird nachdrücklich darauf hingewiesen
: «L'essentiel n'est pas la formule, mais la realite vecue dans la foi
et l'amour» (Sp. 33). Bis zu dieser Tiefe haben die Mystiker die
Gottesgeburt in der Seele geführt, eingebettet in eine Theologie der
Kirche und der Sakramente.

Aus der Fülle der kleineren Artikel möchte ich vier herausgreifen,
die mirbesonderscharakteristisch zu sein scheinen. Zeitlich am frühesten
liegt der Beitrag «Origene» (Sp. 933-961). Er ist von einem der
besten und ausgewiesensten Kenner verfaßt, von dem mir seit langem
bekannten Professor H. Crouzel. Mit souveräner Sachkenntnis wird
Origenes von allen Seiten beleuchtet, seine anthropologischen, asketischen
, mystischen Ansichten werden dargelegt, die origenistischen
Streitigkeiten werden ebenso berücksichtigt wie die Fortwirkungen,
während einleitend eine gedrängte Übersicht über sein Leben und einzelne
Schriften geboten wird. Besonders ausführliche Literaturangaben
runden den Beitrag ab (Sp. 9800, der eine denkbar günstige
Ausgangsbasis für weitere Forschungen bildet.

Anders ist der Artikel «Nil d'Ancyre» angelegt (Sp. 345-356), der
von Marie-Gabrielle Guerard verfaßt ist. Die Verfasserin hält dabei
deutlich auseinander den historischen und den fiktiven Nilus, d. h. «le
costume qui pare un moine obscur d'une renomme universelle»
(Sp. 347). Bei der Analyse des Werkes werden zunächst die wahrscheinlich
echten Werke behandelt, wozu auch der Kommentar zum
Hohenlied gehört, den die Verfasserin in den Sources Chretiennes herausgeben
will und mit dessen Hilfe manche Echtheitsfragen entschieden
werden könnten. Sorgsam werden dann die einzelnen Schichten
gekennzeichnet, die sich um das echte Werk gelegt haben: der Seelenführer
in dem umfänglichen Briefwerk, der Asket im Sinaigebirge, die
unter seinem Namen laufenden Schriften des Evagrius (Sp. 350-352).
Es ist eines der Hauptverdienste dieses Beitrages, daß er in die Schwierigkeit
der Forschungslage einführt, die Fragwürdigkeit der Chronologie
hervorhebt und eine Charakteristik des Hohenlied-Kommen-
tares bietet. Die Darstellung wird abgerundet durch einen kurzen
Überblick über die geistliche Lehre (Sp. 3530, die im Grunde nur allgemein
verbreitete Anschauungen wiedergibt und vertritt «un mona-
chisme tempere humaine» (Sp. 354). Deshalb ist sein Einfluß auf die
Folgezeit bedeutend gewesen, was allein schon die reiche handschriftliche
Überlieferung zeigt.

In die englische Mystik führt uns der dritte Artikel ein: «Nuage de
l'lconnaissance» (Sp. 497-508). Auch hier ist ein erster Sachkenner
am Werk gewesen, Walsh, der verdiente letzte Herausgeber dieser
anonymen Schrift. Das setzt ihn in Stand, bei allen Fragen immer auf
die Handschriften zurückzugehen. Zunächst versucht er, den unbe-