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Ausgabe:

1984

Spalte:

265-267

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Fuchs, Eric

Titel/Untertitel:

La deuxième épitre de Saint Pierre, l'épitre de Saint Jude 1984

Rezensent:

Rese, Martin

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Theologische Literaturzeitung 109. Jahrgang 1984 Nr. 4

266

Auseinandersetzung mit dem Judentum auftauchen: Auch Johannes
der Täufer ist gerecht (vgl. 3,15; 21,32), auch Joseph (1,19) und in
relativer Weise die Pharisäer und Schriftgelehrten (5,20). Die Bergpredigt
, in der der Ausdruck gehäuft auftaucht, richtet sich ja an die
Menge, nicht nur an die Jünger. Auffällig ist die Verbindung des
Wortstammes mit dem Gedanken der Gesetzeserfüllung. So kann P.
von einer "provisional funetion of the Matthean coneept of righteous-
ness" (116. Kapitelüberschrift) sprechen: In der Auseinandersetzung
mit dem Judentum geht es Matthäus darum, die jüdische an pharisäischer
Gesetzesauslegung orientierte „Gerechtigkeit" zu der an Jesu
Auslegung des Willens Gottes orientierten christlichen „Vollkommenheit
" zu führen (vgl. 5,20/48). In diesem Sinn ist das matthäische
Konzept der „vorläufigen", der christlichen Vervollkommnung bedürftigen
Gerechtigkeit ein original-christliches, das keine direkten
jüdischen Parallelen haben kann.

Ichwürde ein großes Stück mit Przybylski gehen können. Mit ihm
(und Strecker) glaube ich, daß alle matthäischen &Jauoaüvr/-Stellen
ein durch Gottes Forderung gesetztes menschliches Verhalten meinen
und daß die (alttestamentlich mitbestimmte) paulinische Konzeption
von der Gerechtigkeit Gottes als Macht und Gabe von Matthäus fernzuhalten
ist. Es ist ein Verdienst des Verfassers, daß er diese These
durch eine genaue Analyse des jüdischen Hintergrundes wesentlich zu
stützen vermochte: Während vor allem in den Qumranschriften der
alttestamentlich geprägte Sprachgebrauch, der auch von Gottes heilvollem
Gerechtigkeitshandeln sprechen kann, teilweise nachwirkt,
bahnt sich im tannaitischen Schrifttum viel deutlicher ein eigenständiger
Sprachgebrauch an: njJHS wird nun fast ausschließlich zum ter-
minus technicus für „Almosen", entspricht also dem matthäischen
iXetlfioavvr]. Das maskuline priS dagegen bezeichnet fast ausschließlich
die göttliche (gesetzliche) Norm für menschliches Verhalten und
äußert sich menschlich in Gesetzesfrömmigkeit. Demut, guten Werken
, gerechtem Urteil und Milde. plS ist also "external norm" und
menschliche "quality, which leads to further acts of tsedeq" (65).
Allein p"IS entspricht also matthäischem öixaioavvt]; der Evangelist
nimmt eine jüdische Grundvokabcl im Sprachgebrauch seiner Zeit
auf, macht sie aber gerade nicht zur christlichen Grundvokabel.

Aber hier müssen m. E. doch kritische Fragen einsetzen. Mt3.15
erscheint öixaioavvt] zusammen mit dem fast ausschließlich Jesus vorbehaltenen
„christologischen" Wort nÄgpöw. Johannes der Täufer,
der Verkünder des Reiches Gottes, gehört bei Matthäus zu Jesus. Die
Verbindung von ßaoiXeia und Simuxrvvr] (6.33) zeigt doch, daß „Gerechtigkeit
" die ethische Dimension gerade des Reiches Gottes
meinen muß. Auch die Verfolgung der Christen um der Gerechtigkeit
willen in 5,10 (wasgemeint ist. zeigt 5.1 I!) taugt m. E. schlecht fürden
„vorläufigen" Charakter der Gerechtigkeit: die Bergpredigt istjaauch
nicht einfach Ethik für das Volk, sondern sie ist, wie 5,1 f zeigen, zum
Volk und dem Jüngerkreis gesprochen, d. h. m. E. zu den Volksmassen
in missionarischer Absicht als potentielle Jünger. Kurz, ich kann
also nicht behaupten, von Przybylski ganz überzeugt worden zu sein,
bin ihm aber dankbar für sein sorgfältig differenziertes Konzept und
vor allem für seine differenzierte Analyse der jüdischen Quellen.

Bein Ulrich Luz

Fuchs, Eric, et P. Reymond: La deuxleme epitre de Saint Pierre.
L'epitre de Saint Jude. Neuchätel-Paris: Dclachaux & Niestie
1981. 194 S. gr. 8' ■ Commentaire du Nouvcaux Testament,
deuxiemescrie, Xlllb.

Für gewöhnlich führen .lud und 2Pt ein Schattendasein. Ans Licht
gezogen werden sie fast nur in Kommentar-Reihen und „Einleitungen
in das NT", gelegentlich auch einmal in einem Aufsatz und ganz
selten in einer Monographie . An harten und abwertenden Urteilen
mangelt es nicht, besonders zum 2Pt („klassisches Dokument des sogenannten
Frühkatholizismus" und „die fragwürdigste Schrift des Kanons
""), aber auch zum Jud („bescheidene Theologie" u. ä.). Diese
Verurteilungen und jene Nichtbeachtung geschähen zu Unrecht, meinen
die beiden Vf. des vorliegenden Kommentars. Es empfiehlt sich, diesen
Einspruch nicht einfach abzutun, beruht er doch auf einer bemerkenswert
gründlichen und sorgfältigen Auslegung von Jud und2Pt.

Der Reihenfolge im Kanon entsprechend beschäftigen sich die Vf.
zunächst mit 2Pt (S. 15-136), dann mit Jud (S. 137-190), setzen jedoch
dabei, wie heute üblich, voraus, daß der 2Pt (I.Viertel des
2. Jh. n. Chr.) den älteren Jud (80-100 n. Chr.) benutzt hat, was sie in
einem Einzelvergleich von 2Pt und Jud (S. 20-24) näher begründen.
Überhaupt werden die Einleitungsfragen ausführlich behandelt (2Pt:
S. 15—41 ; Jud: S. 137-153). Beim 2Pt kommen zur Einzelauslegung
noch drei Exkurse (über „Erkenntnis", über „Noah, den achten" und
über „Zerstörung der Welt durch Feuer"; S. 127-136). Bis auf die
relativ frühe Datierung der Schriften stehen die Vf. bei den Einleitungsfragen
im wesentlichen auf dem Boden des kritischen Konsens.
2Pt und Jud sind pseudepigraphische „Kampfschriften" (beim 2Pt in
Form eines „Testaments"), die sich unter Rückgriff auf die apostolische
Tradition mit „prägnostischen" Gegnern (beim Jud innerhalb,
beim 2Pt außerhalb der Gemeinden) auseinandersetzen. Beim Jud
wollen die Vff. freilich die Möglichkeit nicht ausschließen, daß der
Autor ein Schüler des Herrenbruders Judas sein könnte. Im Blick auf
beide Schriften sprechen die Vff. von einer erstaunlichen Symbiose
(S. 18f. 139) zweier Kulturen und Welten, die sich in dem Nebeneinander
von recht gutem und weniger gutem Griechisch (das sei kein
„Asianismus"!) und in der Verwendung jüdischer und hellenistischer
Vorstellungen zeige. Im einzelnen sehen die Vf. Jud als Zeugnis für
Schwierigkeiten des Christentums am Ende des l..lh.; neben seiner
starken Verwurzelung in jüdisch-apokalyptischer Literatur ist ihnen
besonders bemerkenswert, daß und wie er die typologische Interpretation
des AT verteidigt. Der 2Pt belegt für die Vff., aufweiche Weise
man zu Beginn des 2. Jh. in hellenistischer Umgebung (ihr gehöre
auch der Autor an) der Gefahr der Hellenisierung des christlichen
Glaubens begegnet, nämlich durch den Rückgriffauf jüdische Traditionen
bei der Schriftauslegung und in der Auseinandersetzung um die
Eschatologie.

Zuzustimmen ist dem Versuch der Vff., 2Pt und Jud als Zeugnisse
für alltägliche Probleme des Christentums in einer bestimmten Zeit
und Umgebung erst einmal ernstzunehmen und sie nicht zu schnell
dogmatisch abzuurteilen. Zu fragen ist jedoch, ob die VIT. besonders
beim 2Pt ausreichend in Rechnung gestellt haben, wie weit die Hellenisierung
des Christentums auch durch den Autor selbst geht. Das sei
an zwei Punkten verdeutlicht, nämlich an 1,16-18 und an 1,1 1.19.
Bei 1,16-18 heben die VIT. zunächst durchaus zutreffend hervor: Der
Autor bezeichnet sich in 1,16 mit einem typischen Wort der hellenistischen
Mysterien als 6ndmri, was sich dort auf den höchsten Grad
der Einweihung bezieht. Doch dann fassen sie das Wort als Synonym
zu aihtmni; auf und machen den Autor zum Augen- und Ohrenzeugen
der Verklärung Jesu, in der für sie Inkarnation und Parusic Jesu
zusammengezogen ist: das Ganze diene als Beweis für die Parusie
Jesu. Gegen diese Deutung ist einzuwenden: inönxifc ist mehr als ein
Augen- und Ohrenzeuge, zumindest für hellenistische Leser, und die
Verklärung Jesu (und nicht Kreuz und Auferstehung Jesu) wird in
I,l7f deshalb erwähnt, weil in ihr während des Erdenlcbens Jesu das
Göttliche am deutlichsten greilbar wurde, man also bei ihr am ehesten
zum r.nönxiii werden konnte. - In /, / / ist vom „ewigen Reich unseres
Herrn und Heilands Jesu Christi" die Rede, in 1,19 davon, daß der
.. Tag anbricht und lichtbringend aufgeht in euren Herzen". In beiden
Fällen werden, so die geläufige Auslegung, ursprünglich apokalyptische
Vorstellungen („Reich Gottes / Christi", „Tag des Herrn")
umgedeutet, in 1,11 durch die Aufhebung eines zeitlichen Ablaufs
(„ewig"), in 1,19 durch die Beschränkung des Ereignisses auf die
menschlichen Herzen. Beiden Umdeutungen läßt sich entnehmen,
daß auch der Autor selbst kaum mit dem unmittelbaren Bevorstehen
der Parusie Jesu rechnet, d. h. sich faktisch von den in 2Pt 3 attackierten
Parusielcugnern nicht unterscheidet. Auf das Problem der ersten