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Ausgabe:

1984

Spalte:

262-264

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Maier, Gerhard

Titel/Untertitel:

Die Johannesoffenbarung und die Kirche 1984

Rezensent:

Böcher, Otto

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261

Theologische Literaturzeitung 109. Jahrgang 1984 Nr. 4

262

Bori, PierCesare: II vitello d'oro. Le radici della controversia antigiu-
daica. Torino: Borlinghieri 1983. 139 S. 8* = Ricerche italiane.
Kart. L 13 000.

In einer schön gedruckten und solide broschierten Ausgabe stellt
sich diese Abhandlung dar. Sie untersucht die Episode vom Goldenen
Kalb (Ex 32) unter einem besonderen Gesichtspunkt: dem ihres Gebrauches
in der antijüdischen Polemik innerhalb der christlichen
Kirche: dort wurde sie als so etwas wie die Ursünde des Judentums
dargestellt. Ansätze dafür finden sich schon im Neuen Testament, wo
Apg 7,39 die Episode als Gehorsamsverweigerung darstellt und den
Zuhörern des Stephanus dieselbe Schuld vorwirft. Im Barnabasbrief
(4,6-8) fangt dann die antijüdische Polemik erst recht an. Das Zerbrechen
der Gesetzestafeln und damit des eben geschlossenen Bundes
wird hier auf den Bundesbruch Israels zur Zeit Jesu gedeutet und das
Volk als unter dem Fluch lebend betrachtet (S. 23 u. ö.).

Es ist hier nicht der Ort, diesen Katalog von Absurditäten und Gemeinheiten
. Produkt einer nicht an der Schrift orientierten Theologie,
weiter zu verfolgen. Es genüge die Feststellung, daß das. was in Israel
und im Alten Testament als ehrliche Kritik und Selbstkritik von
innen betrachtet werden muß, immer wieder gegen Israel und l. T.
auch das Alte Testament gedeutet wurde. Hier kann man ferner nur
feststellen, daß Israel immer mit einem als Laster gedeuteten Materialismus
, die Kirche aber mit einer als Tugend aufgefaßten Geistigkeit
identifiziert wurden, was übrigens bei Hegel und einigen Hegelianern
z. T. weiterwirkte (S. 43fT).

Erst mit der Reformation treten hier neue, schriftgemäße Betrachtungen
ein (S. 650. welche leider aber z. T. durch den irrationalen An-
tijudaismus Martin Luthers in seinen letzten Lebensjahren in Frage
gestellt wurden.

Das Buch empfiehlt sich nicht nur wegen seines Inhaltes, sondern
auch wegen seines trockenen, sachlichen Stils und seines ausführlichen
Gebrauchs der Quellen; in einer Zeit, in der traditionelle Elemente
des Antijudaismus wieder gebräuchlich sind, wäre eine Übersetzung
zu begrüßen.

Rom J. Alberto Soggin

Sepher Ha-Razim. The Book ofthe Mysteries. Transl. by M. A. Morgan
. Chico, CA: Scholars Press 1983. IX, 97 S. gr. 8- = SBL. Texts
and Translations, 25. Pseudcpigrapha Scries, 11. Kart. $ 8.95.

Mordecai Margalioth hat 1966 in Jerusalem unter dem Titel
„Sepher Ha-Razim" einen Text publiziert, der so nirgends überliefert
ist, den er vielmehr aus verschiedenen Handschriften und Fragmenten
als einen ursprünglich zusammengehörigen erkannt zu haben glaubt.
Das vorliegende Heft bietet eine englische Übersetzung dieses Textes,
abweichend von dem Charakter der Reihe ohne Beigabe seiner hebräischen
(icstalt. Eine "Introduction" führt knapp und präzise in seine
Probleme ein. Er wird mehrheitlich auf das frühe 4. oder das späte
3. Jh. n. Chr. datiert. Doch macht M. geltend, daß zwischen zwei Teilen
deutlich geschieden werden muß. Der kosmologische Rahmen,
der Verwandtschaft mit der jüdischen hckhaloth-Literatur ausweist,
faßt Partien magischen Inhalts, der dem gricchisch-paganer Zaubertexte
entspricht; der Rahmen - und damit der Text als solcher - mag
aus dem frühen 4. Jh. stammen, die magischen Anweisungen dagegen
sind älter. In der Verbindung dieser beiden Teile liegt das Bedeutsame
des Textes; "we can sense the tensions between a dcveloping ortho-
doxy and a populär religion hcre" (II). Einen Entstchungsort will M.
nicht suchen, ein solcher Text kann überall in der griechisch-römischen
Welt entstanden sein.

Eine hebräische Wiedergabc der Engellistcn sowie ausführliche In-
dices schließen die Übersetzung, die sich um eine genaue, aber verständliche
Wiedergabc bemüht, ab. Ihr beigegeben sind erläuternde
Fußnoten, die u. a. biblisch-jüdische und pagane Vergleichstexte nennen
. Eine Welt krausen Denkens wird so zugänglich gemacht.

T. H.

Gradwohl, Roland: Was ist der Talmud? Einführung in die „Mündliche Tradition
" Israels. Stuttgart: Calwer 1983. 80 S.. 8 Taf. 8* = Calwer Paperback.
Kart. DM 9,80.

I.apide, Pinchas, u. Karl Rahner: Heil von den Juden? Ein Gespräch. Mainz:
Matthias-Grünewald-Verlag 1983. 123 S. 8°. Kart. DM 14.80.

Neusner, Jacob: Formative Judaism. Religious, Historical, and Uterary Stu-
dies. Chico, CA: Scholars Press 1982. VII, 173 S. gr. 8" = Brown Judaic Studies,
37. Kart.S 13.50.

Stone, Michael E.: Coherence and Inconsistency in the Apocalypses: The
Caseof "the End" in 4 Ezra (JBL 102. 1983 S. 229-243).

Neues Testament

Maier, Gerhard: Die Johannesoffenbarung und die Kirche. Tübingen:
Mohr 1981. IX, 676 S. gr. 8° = Wissenschaftliche Untersuchungen
zum Neuen Testament. 25. Lw. DM 178,-.

Kaum eine Schrift des neutestamentiiehen Kanons weist eine so
zwiespältige Wirk- und Ausiegungsgeschichte auf wie die Apokalypse
des Johannes. In ihrer Apostolizität schon in der alten Kirche umstritten
, im Mittelalter die Schriftgrundlage nicht nur heterogener Chilias-
men, sondern auch wichtiger Vorstellungen der Frömmigkeit (Himmel
, Hölle, Weltgericht) und ihrer Spiegelungen in der bildenden
Kunst, wenig geliebt von Luther und seinen reformatorischen Zeitgenossen
, wird die Johannesoffenbarung noch heute nicht selten als eine
Art Fahrplan der Endereignisse mißbraucht - und nicht zuletzt deshalb
von vielen ernsthaften Theologen kaum beachtet.

Der Versuch, die Bedeutung der Johannesapokalypse in der zwei-
tausendjährigen Geschichte der Kirche umfassend darzustellen, bedeutet
daher eine enorme Arbeitslast und ist von vornherein zur Un-
vollständigkeit verurteilt.

Dessen war sich der Autor des vorliegenden Buches durchaus bewußt
; in seinem Vorwort (S. III.) weist er darauf hin, notwendigerweise
exemplarisch vorgegangen zu sein und sich „von der Reformationszeit
an . .. praktisch auf Mitteleuropa beschränkt" zu haben.

Gerhard Maier gliedert seine Untersuchung in sechs Teile. Teil I (S. 1-107)
gilt dem ..Kampf um die Apokalypse in der alten Kirche" und umfaßt die Zeit
von Papias bis zu Dionys von Alexandrien. „Die Umdeutung der Apokalypse
im Westen" ist Thema des zweiten Teils (S. 108-171), der die Apokalypse-
Rezeption des Ticonius sowie des frühen und des späten Augustin behandelt.

Unter der Überschrift „Die Apokalypse vor und während der Reformation"
untersucht Teil III (S. 172-306) Joachim von Fiorc und den Joachimismus, den
sog. Oberrheinischen Revolutionär (1438-ca. 1510) und Johann Hilten (2. H.
15. Jh.), das Verhältnis der verschiedenen Täuferbewegungen zur Apokalypse,
schließlich „Eschatologie und Apokalypse bei Luther" sowie in der lutherischen
Orthodoxie (S. 267-306).

Teil IV (S. 307-447) behandelt „Die Apokalypse im Zeitalter des Pietismus".
Nach einem einleitenden Überblick setzt Maier mit J. Coccejus ein, skizziert
Schüler und Nachfolger des C occejus. untersucht dann „Eschatologie und Apokalypse
bei Spencr und im frühen deutschen Pietismus", wendet sich „Württemberg
vor Bcngcl" zu. stellt ausführlich Theologie, Eschatologie und Apokalypsedeutung
J. A. Bcngcls dar und schließt mit Ucngels theologischen Nachfahren
Fr. Chr. Oetinger, J. Fr. Reuß, Ph. M. Hahn, J. J. Friedrieh, M. Hahn
und Chr. G. Pregizer.

Auf den Seiten 448-618 schlägt Teil V den Bogen „von der Aufklärung bis
zur Gegenwart". Den ,.Durchbruch der historischen Kritik" bezüglich der
Apokalypse kennzeichnen Namen wie J. S. Semler, Chr. Fr. Schmid. H. Cor-
rodi.[F'r. OJ Hartw ig und J. D. Michaelis; es folgt ein Kapitel über Fr. Schlcier-
machcr und F. Chr. Baur. Mit Fr. Lücke setzt sich die zeitgeschichtliche Deutung
der Apokalypse durch; nacheinander beschreibt Maier die im 19. Jahrhundert
gleichfalls vertretene prophctisch-heilsgcschichtliche Auffassung, die
konservative und die liberale Dogmalik de novissimis. Ein weiteres Kapitel behandelt
unter der Überschrift „Die Wiederentdeckung der neutestamentiiehen
Eschatologie im Liberalismus" sowohl die Religionsgcschichtliche Schule
(O. Pflcidercr. W. Baldcnspcrgcr, O. Everling, H. Gunkcl, W. Bousset) als auch
die sog. Konsequente Eschatologie (J. Weiß. R. Kabisch, A. Schweitzer); darauf
folgt das Kapitel „Eschatologie und Apokalypse in der Entwicklung der Dialektischen
Theologie" (K Barth. E. Brunncr. P. Althaus). Dann greift der Vcrfas-