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Ausgabe:

1984

Spalte:

259-260

Kategorie:

Judaistik

Autor/Hrsg.:

Schäfer, Peter

Titel/Untertitel:

Geschichte der Juden in der Antike 1984

Rezensent:

Schreiner, Stefan

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Seite 1

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259

Theologische Literaturzeitung 109. Jahrgang 1984 Nr. 4

260

ThLZ 107, 1982 Sp. 510), gelten mutatis mutandis auch Tür B.s
Kommentar, ohne daß sie hier im einzelnen wiederholt werden sollen
. Wenn auch Vf, unter dem Stichwort „imitatio Dei" (S. 330 eine
Andeutung gemacht hat, worin s. E. das Ziel der Torah und ihrer Forderung
an den Menschen zu sehen ist, so bleibt doch auch sein Kommentareine
Ant wort auf die Frage nach dem Sinn der konkreten rab-
binischen Diskussion, nach dem Zusammenhang zwischen „Einzel-
bcstimmung" und Gesamtkonzept der rabbinischen Anschauung
letztlich schuldig.

Berlin Stefan Schreiner

Schäfer, Peter: Geschichte der Juden in der Antike. Die Juden Palästinas
von Alexander dem Großen bis zur arabischen Eroberung.
Stuttgart: Kath. Bibelwerk; Neukirchen-Vluyn: Neukirchener Verlag
1983,287 S. 16. Taf. 8*. Kart. DM 38,-.

Wie aus dem Untertitel des hier anzuzeigenden Buches ersichtlich
ist, hat es sich Vf. zur Aufgabe gemacht, den Gang der Geschichte der
Juden unter griechischer (hellenistischer) und römischer (zunächst
„heidnischer", dann christlicher) Herrschaft im geographisch begrenzten
Bereich Palästina nachzuzeichnen. Nach seinen eigenen
Worten geht es ihm dabei vornehmlich um die Darstellung der politischen
Geschichte der Juden, wobei er unter „politisch" die „Verflechtung
von politischem Handeln mit sozialen, wirtschaftlichen und religiösen
Gegebenheiten" versteht. Als „ein besonderes Anliegen des
Buches" nennt er die „Hcrausarbeitung der sozialen und wirtschaftlichen
Bedingungen in der Geschichte des palästinischen Judentums"
(S. 11). Die Kulturgeschichte bleibt demzufolge ganz, die Literaturgeschichte
und die Religionsgeschichte weitgehend ausgeklammert.
Daß indessen letztere von der politischen Geschichte im Grunde gar
nicht zu trennen ist, eine Reduktion der Geschichte auf Vorgänge im
sozial-ökonomischen Bereich der Komplexität geschichtlicher Wirklichkeit
nicht gerecht zu werden vermag, hat Vf. in seiner Bestimmung
des Begriffs „politische Geschichte" bereits selber angedeutet; im
übrigen beweist dies seine Darstellung immer wieder.

Gegliedert hat Vf. seine Darstellung in zehn Kapitel, eine Gliederung
, wie sie sich aufgrund der Zäsuren innerhalb des behandelten geschichtlichen
Zeitraumes gleichsam von selbst anbietet: (I) Alexander
der Große und die Diadochen (S. 17-28); (2) Palästina unter ptole-
mäischer Herrschaft (301-200 v. Chr.) (S. 29-41); (3) Palästina unter
seleukidischer Herrschaft (200-135/63 v. Chr.) (S. 43-77); (4) Die
hasmonäische Dynastie (S. 79-93); (5) Herodes der Große (37-4 v.
Chr.) (S. 95-114); (6) Von Herodes bis zum ersten jüdischen Krieg
(S. 115-133); (7) Der erste jüdische Krieg (66-74 n. Chr.)
(S. 135-144); (8) Zwischen den Kriegen: Von 74 bis 132 n. Chr.
(S. 145-157); (9) Der Bar Kochba-Aufstand (132-135 n. Chr.)
(S. 159-175); (10) Vom Bar Kochba-Aufstand bis zur arabischen Eroberung
Palästinas (S. 177-210).

Vf. schreibt konsequent aus der Perspektive der Juden. Im Mittelpunkt
der Darstellung stehen stets die Juden „als Subjekt und Objekt
der Geschichte, d. h. als politisch aktiv handelndes und passiv erleidendes
Volk, das seine politischen Ideale und Ziele in unterschiedlichen
Umweltkonstellationen durchzusetzen versucht". Ebenso sind
die Juden selbst als eigene geschichtliche Größe der Maßstab der Darstellung
. Jüdische Geschichte der Antike wird also hier nicht in einer
Funktionalität für eine andere Geschichte, etwa der Griechen, der
Römer oder der Kirche, gesehen. Daß sich daraus Konsequenzen auf
Einbettung bestimmter Vorgänge oder Ereignisse in geschichtliche
Zusammenhänge ergeben, liegt auf der Hand. So wird etwa dem Auftreten
Johannes des Täufers und Jesu kein besonderer Platz eingeräumt
; ihr Auftreten wird nur knapp skizziert (S. 1170- Überhaupt
sieht Vf. - und das mit Recht - das frühe Christentum als „Teil der
jüdischen Geschichte".und einbezieht es demzufolge „in das bunte
Bild der verschiedenen religiös-politischen Gruppierungen des Judentums
zu Beginn der christlichen Zeitrechnung. Eine Sonderrolle dieses

frühen Christentums läßt sich mit historischen Maßstäben nicht begründen
, es sei denn, man überträgt aus dogmatisch theologischen
Motiven die spätere Entwicklung auf die Anfänge", was „schon theologisch
problematisch" ist und „ganz gewiß nicht der historischen
Wirklichkeit" entspricht (S. 118).

Die Darstellung hält sich in allen ihren Teilen stets sehr eng an die
Quellen, auf die immer wieder verwiesen und Bezug genommen wird.
Die Anmerkungen (S. 21 1-231) bestehen fast zur Gänze aus Quellenangaben
(auf eine Auseinandersetzung mit der Sekundärliteratur verzichtet
Vf.). Dort, wo reichlich Quellen zur Verfügung stehen, etwa
für die Makkabäerzeit oder den Bar Kochba-Aufstand, ist die Darstellung
entsprechend breiter als dort, wo sie nur spärlich Hießen, was vor
allem im Blick auf die rabhinischc Zeit gilt. In erheblichem Umfange
macht Vf. auch von wörtlichen, zum Teil längeren Quellenzitaten
(durch Petitdruck hervorgehoben) Gebrauch, was dem Leser, der
nicht die Möglichkeit hat, die Quellentextc selbst einzusehen,
(erstens) einen Lindruck von ihnen vermittelt und (zweitens) preisgibt,
worauf Vf. seine Darstellung und Meinung stützt. Historische Urteile
werden dadurch durchschaubarer. Die sorgfaltige Beachtung und Befragung
der Quellen läßt aber auch manches, wenn auch verbreitete
Urteil korrigieren, etwa in bezug auf das Lehrhaus von Yavneh und
die Leistungen seiner Gelehrten. Hier lehnt Vf. in Aufnahme seiner
früheren Untersuchungen (in: ders., Studien zur Geschichte und
Theologie des rabbinischen Judentums; Leiden 1978, S. 45-64, und
in: ANRW II. 19.2, Berlin-New York 1979, S. 43-101)die These, daß
dort der Kanon der Heiligen Schriften (des Alten Testaments) festgelegt
worden sei, ebenso ab wie die These, daß der sog. „Ketzersegen",
die in das Achtzehngebet eingefügte birkat ha-minim, ursprünglich
gegen die Christen gerichtet gewesen sei (S. 1531).

An keiner Stelle erliegt Vf. der Versuchung, durch nicht vorhandene
Quellen bedingte „Lücken" etwa durch gewagte Interpretationen
rabbinischer Texte oder gar die eigene Phantasie zu schließen.
Dort, wo die Quellenlage keine eindeutigen Schlußfolgerungen zuläßt
- etwa in der Frage, ob an den Aufständen unter Trajan (115-117 n.
Chr.) auch die Judenschaft Palästinas beteiligt war (S. 156), oder
welche Ursachen wirklich zum Bar Kochba-Aufstand geführt haben
(S. 159ff; s. dazu Vf. Buch: Der Bar Kochba-Aufstand. Studien zum
zweiten jüdischen Krieg gegen Rom, Tübingen 1981), oder ob es nach
dem Bar Kochba-Aufstand tatsächlich noch zu einer formlichen Judenverfolgung
unter Hadrian gekommen ist (S. 1740, um nur diese
drei Beispiele anzuführen -, dort begnügt sich Vf. nach Abwägen der
Argumente mit einem Hinweis auf die heute mehrheitlich vertretene
Ansicht in der jeweiligen Frage. „Mehrheiten" scheinen allerdings
auch hier wechseln zu können. Während nach Vf. Kaiser Julian Apo-
statas berühmter Brief „An die Juden" beispielsweise gewöhnlich für
unecht angesehen wird (S. 199), heißt es etwa bei G. Stemberger (Die
römische Herrschaft im Urteil der Juden, Darmstadt 1983 = EdF 195,
S. 106), daß die Mehrheit heute an der Echtheit des Briefes festhält.

Vf. versteht seinen Geschichtsüberblick nicht als einen Forschungsbeitrag
, sondern als ein Arbeitsbuch, das in erster Linie für Studenten,
ebenso aber auch als Erstinformation für jeden an der jüdischen Geschichte
Interessierten gedacht ist. Anregungen zu weiterer Lektüre,,
ja Weiterarbeit bietet das mit großer Umsicht zusammengestellte
umfangreiche Literaturverzeichnis zu jedem einzelnen Kapitel
(S. 239-262). Register (S. 267-270) und eine Zeittafel (S. 271-281)
schließen den Band ab.

Da die Beschäftigung der Theologiestudenten mit der Geschichte
des Volkes Israel weithin bestenfalls mit dem Bar Kochba-Aufstand
endet, hat Vf. mit seinem Arbeitsbuch, in dem er den Rahmen beträchtlich
weiterspannt und die Juden auch über das Jahr 135 n. Chr.
hinaus als „Subjekt und Objekt der Geschichte" zeigt, er die jüdische
Geschichte der Antike also nicht als lediglich „neutestamentliche
Zeitgeschichte" begreift, ein wichtiges Lehrbuch vorgelegt, dem man
weiteste Verbreitung wünscht, und natürlich eine zahlreiche Leserschaft
.

Berlin Stefan Schreiner