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Ausgabe:

1984

Spalte:

256-257

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Markert, Ludwig

Titel/Untertitel:

Struktur und Bezeichnung des Scheltworts 1984

Rezensent:

Koch, Klaus

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Theologische Literaturzeitung 109. Jahrgang 1984 Nr. 4

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könnten, die Ibrmgeschichlliche Forschung an den deuterojesajanischen Texten
insgesamt zu korrigieren, oder nicht In dieser Hinsicht aber sind einige Bedenken
anzumelden. Es seien nur zwei komplementäre Gesichtspunkte hervorgehoben
:

/. Der Vf. glaubt nachweisen zu können, daß alle Teilabschnitte innerhalb
einer größeren Redeeinheit ihre bestimmte und von anderen Teilabschnitten
unterschiedene Funktion haben, so daß sich lur die Rede als ganze eine klare
Disposition ergibt. Sind diese Nachweise überzeugend? Als Beispiel sei das als
Redeeinheit verstandene Kapitel 41 herangezogen (S. 98-120). Dessen Grundaussage
(thesis) Findet der Vf. in dem Abschnitt V. 8-13 („Fürchte dich nicht,
denn ich bin mit dir"). Die Abschnitte V. 14-16 und V. 17-20 betrachtet er als
Beweisgänge, die dazu dienen sollen, die Grundaussage zu bekrältigen Konfirmation
). In beiden werde zum Ausdruck gebracht, daß Israel durch Gott ermächtigt
ist, die Welt zu beherrschen, wobei der Akzent im ersteren auf der
Israel verliehenen Macht, im letzteren auf der diese Macht begründenden göttlichen
Wirksamkeit liege. Kann man dieser Argumentation folgen? Haben die
Abschnitte V. 14-16 und V. 17-20 wirklich das gleiche Motiv, nur mit verschiedener
Akzentuierung, zum Inhalt? Und bestehen zwingende Gründe, die
beiden Abschnitte als bekräftigende und präzisierende Ergänzungen einer voranstehenden
Grundaussage zu interpretieren? Hier liegt doch wohl eine petitio
prineipii vor. Mit gleichem, ja größerem Recht kann angenommen werden, daß
in beiden Abschnitten eigenständige Aussagen gemacht werden und mithin in
V. 8-20 drei Grundaussagen nebeneinanderstehen. Noch problematischer ist
die Interpretation der vom Vf. so abgegrenzten Redeeinheit 42,1-13
(S. 121-134). Bei dieser sieht er sich zu einer Umstellung genötigt. Als ursprüngliche
Einleitung (introduetion) betrachtet er den Abschnitt V. 5-9, dem
als Grundaussage (thesis) der Abschnitt V. 1-4 gefolgt wäre. Er begründet diese
Annahme damit, daß die Bolenformel in V. 5 einen Neueinsatz markiere, dagegen
das erste Wort von V. 1 bei Deulerojesaia sonst für die Überleitung innerhalb
eines Redeganges gebraucht werde. Aber kann man V. 5-9 ernsthaft als
Einleitung, d. h. als Hinlührung zu einer Grundaussage verstehen? In Wirklichkeit
werden doch ganz wesentliche Elemente der letzteren vorweggenommen, so
daß die Einleitung ein Übergewicht erhält und die Grundaussage eher als Anhang
erscheint, in dem bereits Gesagtes modifizierend und präzisierend wiederholt
wird. Rhetorisch überzeugend ist ein solches Vorgehen gewiß nicht. Die
Annahme, daß die Abschnitte V. i-4 und V. 5-9 keine ursprüngliche Einheit
bilden und der letztere eine spätere Ergänzung und Weiterführung des ersteren
darstellt, ist demgegenüber weit besser begründet. Nicht überall muß dem Vf. so
direkt widersprochen werden. Aber der Nachweis, daß die Kapitel 40-48 ausschließlich
aus größeren Redeeinheiten bestünden, die vom Propheten selbst
und von vornherein planvoll aufgebaut und nach rhetorischen Gesichtspunkten
gestaltet worden wären, ist ihm schwerlich gelungen.

2. Die vom Vf. aufgestellten Kriterien für die Bestimmung rhetorischer Einheiten
können auch auf kürzere Textabschnitte, und d. h. auf kleine Einheiten im
Sinne der Formgeschichte, angewendet werden. So lassen auch diese eine Disposition
erkennen, die mit der der postulierten großen Redeeinheiten durchaus
vergleichbar ist. D. h., es lassen sich auch bei ihnen einzelne aufeinander bezogene
Redeteile, wie etwa Einleitung, Grundaussage (thesis), Bekräftigung
Konfirmation), Widerlegung (refutation) oder Abschluß, unterscheiden. Hingewiesen
sei nur auf 41,8-13 oder 42,5-9. Der Vf. geht ja ohnehin davon aus, daß
die Disposition in den einzelnen Texten sehr variabel ist. Bei diesen kleinen
Einheiten aber ergibt sich meist ein wesentlich geschlosseneres Bild als bei größeren
Zusammenhängen. Insbesondere haben hier solche Elemente wie die
Botenformel, die göttliche Selbstvorstellung oder die in der Anrede erfolgende
Kennzeichnung Israels jeweils eine klare Funktion und ein entsprechendes Gewicht
für die Gesamtaussage. Bei der Voraussetzung großer Redeeinheiten, in
denen sie dann mehrfach und abgewandelt vorkommen, ist ihre Funktion z. T.
weit weniger deutlich: u. U. erscheinen sie geradezu als rhetorisch-ornamentales
Füllmaterial. Der Vf. geht denn auch bezeichnenderweise in der Regel
nicht unter dem Gesichtspunkt „Organization", also der Disposition der Redeeinheit
als ganzer, auf sie sein, sondern unter dem Gesichtspunkt „style". Dort
aber behandelt er die einzelnen Teilabschnitte völlig getrennt, so daß eine diese
übergreifende stilistisch-rhetorische Strukturierung gerade nicht deutlich wird.
Aber kann nicht erst dann, wenn nachgewiesen ist, daß alle Elemente des Redeganzen
planmäßig - und d. h. doch auch nach Maßgabe des ökonomischen Einsatzes
der Mittel - eingeordnet sind, von einer rhetorisch überzeugenden Gestaltung
gesprochen werden? Solange das nicht der Fall ist, ist die formgeschichtliche
Aufgliederung in kleine Einheiten kaum schon generell als widerlegt
zu betrachten.

Aus diesen kritischen Einwendungen kann und soll nun freilich
nicht der Schluß gezogen werden, daß die Ergebnisse des Vf. zumindest
teilweise einfach wertlos- wären. Die formgeschichtliche Forschung
bedarf ja der Ergänzung durch die redaktionsgeschichtliche.
Auf deren Ebene aber sind auch die hier beanstandeten Ergebnisse
durchaus diskutabel. Denn auch die sekundäre Zusammenstellung
von zuvor selbständigen Einheiten zielt auf eine, nur eben nicht mehr
unmittelbare Kommunikation des Propheten mit späteren Adressaten
ab. Die eigentliche Frage ist also die, ob der Vf. die ursprünglichen
Intentionen des Propheten erfaßt hat oder die Gestaltung späterer
Redaktoren, bei der Aussagen zusammengestellt sind, die der Prophet
in verschiedenen Situationen gemacht hat und die deshalb für diesen
selbst nicht so zwanglos hätten korreliert werden können. Diese Frage
aber ist, jedenfalls für eine Reihe der behandelten Texte, sicher im
letzteren Sinne zu beantworten.

Leipzig Joachim Conrad

' In dieser Arbeit hat der Vf. die Ergebnisse seiner Dissertation (Rhetorical
Analysisof Isaiah 40-48, Diss. Emory 1978) weitergeführt und präzisiert.
! Vgl. nur seinen Kommentar zu Jes 40-66 (ATD 19,1966), S. 26.

Markert, Ludwig: Struktur und Bezeichnung des Scheltworts. Eine
gattungskritische Studie anhand des Amosbuches. Berlin-New
York; de Gruyter 1977, VII, 330 S., gr. V = Beiheft zur Zeitschrift
für die Alttestamentliche Wissenschaft 140. Lw. DM 112,-.

Rez. bedauert, daß er erst jetzt zur Anzeige des angesichts der verfahrenen
Lage gegenwärtiger Profetenexegese methodisch wichtigen
Buches kommt. Vor 8 Jahrzehnten hatte Gunkel die These aufgestellt,
der klassische Profetenspruch bestehe aus zwei Teilen, dem - auch
selbständig auftretenden - Scheltwort und einem auf die Zukunft gezogenen
Drohspruch. Obwohl diese Terminologie verschiedentlich
kritisiert worden ist, hält sie sich bis in die gängigen Lehrbücher, etwa
O.Kaisers Einleitung in das Alte Testament 1975 §23) oder
R. Smends Die Entstehung des Alten Testaments (1978 § 24). Markert
kommt nun durch eine eingehende, freilich oft ermüdend breit angelegte
Strukturuntersuchung aller Amossprüchc zu dem überzeugenden
Ergebnis, daß „die Annahme einer eigentümlich prophetischen
Gattung des Scheltworts" auf keinerlei ausweisbaren Kriterien beruht
. Er vermutet wohl zu Recht, daß sie dem Vorurteil entspringt
oder dem Wunschtraum, die Profeten seien pädagogische Umkehr-
prediger und nicht Künder unabwendbaren Unheils (S. 225). Freilich
erhält auch der Westermannsche Ersatz der Gunkelschen Terminologie
durch den Begriff des Gerichtsworts eine berechtigte Abfuhr:
„Auch die Behauptung eines prophetischen Gerichtswortes bewährt
sich an dem Textmaterial in Arnos nicht", ein forensisches Verständnis
ist auszuschließen (S. 230). Markert entscheidet sich für eine von
H.W. Wolff 1934 aufgebrachte Zweiteilung: „Die überwiegende
Mehrzahl der fraglichen Stellen besteht aus den beiden Teilen der Begründung
(B) und der Ankündigung (A)" (S. 226). Leider bringt er
keine Begründung für den Begriff „Begründung"; syntaktisch gesehen,
formuliert Arnos jedenfalls keinen der entsprechenden Teile als Kausalsatz
.

So weit, so gut. Im letzten Viertel vollzieht M. eine überraschende
Kehrtwendung. Er möchte nachweisen, daß es doch im Hebräischen
eine Gattung Scheltwort gab, wenngleich nicht als eigentümlich pro-
fetische Redeweise, sondern als eine solche mit Sitz im Leben in der
Familie. Zu diesem Zwecke wird aber nicht von vorfindlichen Strukturen
alttestamentlicher sprachlicher Einheiten, sondern vom deutschen
Wortfeld des Begriffs „schelten" und dann von hebräischen
semantischen Analogien ausgegangen, um schließlich eine dazu passende
Gattung zu postulieren und auch zu finden. Ein solcher Zugang
zur Gattungsbestimmung ist originell, aber kaum überzeugend. M.
findet tatsächlich auch im Amosbuch eine Stelle, wo der Profet diese
Gattung entlehnt habe, nämlich in 6,12, was M. als „eine geschlossene
und in sich verständliche Einheit" mit didaktischer Absicht faßt
(175.179). Weder die Ausgrenzung des Verses als selbständige Einheit