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Ausgabe:

1984

Spalte:

249-252

Kategorie:

Allgemeines

Titel/Untertitel:

Erasmus - Fakultäten, Theologische 1984

Rezensent:

Amberg, Ernst-Heinz

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249

Theologische Literaturzeitung 109. Jahrgang 1984 Nr. 4

250

Möglicherweise haben die Gegner des Paulus mit Gen 17 argumentiert
, Paulus kontert dann mit Gen 15,6. Dann wäre 3,1-5 als die Einleitung
der probatio zu beurteilen, deren Hauptteil in 3,6 beginnt. Der
Bogen der Argumentation spannt sich dann über eine Reihe von Teil-
argumenten bis hin zu 3,29: „Wenn ihr aber (durch den Glauben) zu
Christus gehört, dann seid ihr doch - wie ihr es wünscht - Nachkommen
Abrahams und folglich auch Erben gemäß der Verheißung!"
Freilich ist auch 3,29 janusköpfig; denn der Vers schließt nicht nur die
Argumentation von 3,6 her ab, sondern von ihm aus gehl auch die
Argumentation weiter, wobei das Motiv „Erbe" entscheidend ist.16 Es
sei aber ausdrücklich daraufhingewiesen, daß sich auch bei B. Aussagen
finden, die erkennen lassen, daß er sein Schema von den 6 Argumenten
und dem Exkurs nicht zu starr handhaben will.

Noch eine kurze Bemerkung zur Einteilung der Abschnitte des
„Verteidigungsbriefes": Die narratio beginnt m. E. nicht mit 1,12,
sondern mit 1,13.

Zu kurz gekommen ist in dieser Besprechung das theologische Gewicht
des Kommentars, sei es seine Beurteilung des Christentums als
Nichtjudentum (worin ich dem Autor ausdrücklich zustimme), sei es
seine These, daß die Galater für die Agitation der Judaisten deshalb so
anfällig waren, weil sie mit ihrem „Fleisch" nicht zurechtkamen
(diese These scheint mir nicht ganz schlüssig zu sein), sei es die kritische
Anfrage von W. D. Davies, ob denn für B. die Rechtfertigung
aus dem Glauben nicht mehr das Herz des paulinischen Evangeliums
wäre. Auch ich hätte an dieser Stelle meine Fragen, wobei ich allerdings
auch manches sehr kritisch zu Davies zu sagen hätte. Aber es
ging mir in diesen Darlegungen hauptsächlich um den neuen methodologischen
Ansatz, den B. vorgelegt hat. Und deshalb habe ich selbst
solche theologischen Fragen an B., die mir sehr am Herzen liegen, auf
einen späteren Termin verschoben, um in diesem Aufsatz genügend
Platz für die Würdigung der neuen Methodologie zu haben.

Ich fasse zusammen: Im Prinzip ist B. zuzustimmen. Adolf Deiss-
mann hat die immer wieder zitierten Sätze geschrieben: „Was ist ein
Brief? Der Brief ist etwas Unliterarisches . .." und „Die Paulusbriefe
sind nicht literarisch; sie sind wirkliche Briefe . . ."'7 Wir werden zu
korrigieren haben: Die Paulusbriefe sind wohl wirklich Briefe, aber
Paulus hat doch aufgrund seiner griechischen Bildung wirkliche Briefe
als literarische Briefe geschrieben. Was die Forschung noch weiter zu
untersuchen hat, ist das Verhältnis von Rhetorik und Epistolographie
im Blick auf die Paulinen. Diese Frage läßt der Kommentar noch
offen. Und es wird auch noch zu fragen sein, ob die Elemente der
forensischen Rede, die unbestreitbar vorliegen, von Paulus nicht unter
der Hand so „umfunktioniert" wurden, daß aus der Vcrteidigungs-
„Rede" bzw. aus dem Verteidigungsbrief eine Anklage-,.Rede" bzw.
ein Anklagcbrief geworden ist. freilich ein Anklagcbrief, dessen

Altgemeines

Theologische Realenzyklopädie, hrsg. von Gerhard Krause u. Gerhard
Müller. Bd. X: Erasmus - Fakultäten, Theologische. 810 S.
Bd. XI: Familie - Futurologie. 800 S. Berlin: de Gruyter 1982
gr. 8V

Der umfangreichste Artikel des Bandes 10 ist der Ethik gewidmet
(396-517). Seine Gliederung verrät den Vorrang historischer und
biblischer Gesichtspunkte: [. Religionsgcschichtlich, II. Griechischrömische
Antike, DL Altes Testament, IV. Neues Testament, V. Alte
Kirche, VI. Mittelalter, VII. Neuzeit. Geht man allein von dieserGlie-
derung aus, dann lallt einmal das Fehlen eines Abschnitts Reformation
auf, zum anderen das Fehlen eines systematisch-theologischen
Abschnitts. Beide Sachanliegen finden aber in Teil VII Berücksichtigung
. Für Luther und die Reformation wird in diesem Zusammenhang
die enge Verbindung der ethischen Frage mit der Hcilsgewiß-
heit herausgestellt und als Ausgangspunkt der Neubestimmung der

eigentliches Wesen das Werben um die Adressaten ist. Oder noch anders
gefragt: Wenn schon Paulus mit dem rhetorischen Mittel der Ironie
in diesem Brief arbeitet, gipfelt dann nicht diese Ironie letztlich
darin, daß er einen Verteidigungsbrief schreibt, um im Gewand der
Verteidigung anzuklagen? Ein solches Vorgehen wäre einem Paulus
durchaus zuzutrauen! Es sei aber zum Schluß noch hervorgehoben:
Inwieweit Paulus seine Briefe als einer, der souverän mit den Mitteln
der antiken Rhetorik und Epistolographie umgeht, geschrieben hat.
wird sich an der Analyse anderer Paulusbriefe noch zu bestätigen
haben.18 Hier hat die These von B. noch ihre Nagelprobe zu bestehen.
Man wird deshalb mit einer gewissen Spannung auf die in Kürze erscheinende
Monographie über 2 Kor 8 und 9 aus der Feder von B. warten
. Besonders interessant wäre eine Analyse des Rom, dem das Moment
des Apologetischen wohl unverkennbar anhaftet, der sich aber
m. E. den Kriterien der Rhetorik und Epistolographie gegenüber sperriger
verhalten dürfte als der Gal.

1 NTS 21,1974/75,353-393.

! Einwände bereits gegen einen Teil seines Sigtuna-Vortrags in H. Hübner,
Das Gesetz bei Paulus, Ein Beitrag zum Werden der paulinischen Theologie
(FRLANT 119), Göttingen 1978, '1982. 60. Anm. 65; s. ders.. An. Galatcr-
brief:TREXIl(5-l4)5f.

' R. Volkmann, Die Rhetorik der Griechen und Römer, Hildesheim 1963
(= Leipzig M 885).

4 H. Lausberg. Handbuch der literarischen Rhetorik, München 1960.

' J. Martin, Antike Rhetorik, Technik und Methode (HAW 11, 3), München
1974.

6 H. Koskenniemi, Studien zur Idee und Phraseologie des griechischen Briefes
bis 400 n. Chr. (AASFB 102,2), Helsinki 1956,22.

7 S. dazu ebd. 43. 8 Ebd. 43. Anm. I. ' Momigliano, 60fT.

10 Daß B. die Paränese nicht abwerten will, sei zur Vermeidung von Mißverständnissen
ausdrücklich gesagt. Auf seine These von der Verteidigung der
Gabe des Geistes an die Galater (S. 28). der ich allerdings kritisch gegenüberstehe
, kann ich leider nicht mehr eingehen.

" H. Hübner. Das ganze und das eine Gesetz, Zum Problemkreis Paulus und
die Stoa,KuD2l, 1975,239-256.

12 Für Paulus als ehemaligen Schammaiten s. H. Hübner, Gal 3,10 und die
Herkunft des Paulus, KuD 19,1973,215-231.

" J. Jeremias, Paulus als Hillelit, in: Neotestamentica et Scmitica, FS
M. Black, Edinburgh 1969,88-94.

14 Da ich hier die Diskussion nicht weiterfuhren kann, verweise ich auf mein
Buch, Das Gesetz bei Paulus, 25 ff.

14 Hübner, Das Gesetz bei Paulus, 16ff.

" Hübner. TRE XII, 6

17 A. Dcissmann, Licht vom Osten, Tübingen41923,194.198.

'" Soeben (Anfang 1984) hat Michael Bünkereine rhetorische Analyse von
1 Kor 1-4 in seiner Wiener Dissertation „Briclformular und rhetorische Disposition
im 1. Korinthcrbrief', S. 52-59 vorgelegt.

Ethik bezeichnet („Der Nachweis der konstruktiven Bedeutung des
Rechtfertigungsglaubens für die Ethik durchzieht. .. das ganze
Lebenswerk des Reformators" -484). Unter VII.7 (51 1 ff) wird „Ethik
im Blickpunkt der Theologie der Gegenwart" behandelt, einsetzend
mit der Kritik an der durch die dialektische Theologie proklamierten
und praktizierten Vorherrschaft der Dogmatik über die Ethik (511).
Inhaltlich wird besonders betont: „Was der Barthschcn Theologie
nicht gelungen ist, das ist die Klärung des Wirklichkeitsstatus der
Ethik über ihre Subjektbestimmtheit hinaus." (512) Weitere Themen
sind die Zwei-Rciche-Lehrc, Ethik und Gesellschaft. Katholische
Moralthcologie und ev. Ethik, Anthropologie sowie die ethische
Grundlagcnproblematik. Dabei ist u. a. die Rede von der „der
menschlichen Lebenswirklichkeit cigcntümlichc(n) Reflexivität" . . .,
„die sich als Frage nach der theoretischen wie praktischen Rechtfertigung
des Handelns- stellt", weiter von der „cmpirischc(n) Unab-
schließbarkeit der ethischen Aufgabe" in ihrem Bezug zum „Hoffnungssinn
des Glaubens" (515).
Angesichts der stark historischen Tendenz des Artikels Ethik wer-