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Ausgabe:

1984

Spalte:

227-228

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Bezzel, Ernst

Titel/Untertitel:

Frei zum Eingeständnis 1984

Rezensent:

Obst, Helmut

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Seite 1

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227

Theologische Literaturzeitung 109. Jahrgang 1983 Nr. 3

228

Konzept ist für den Leser wahrhaft aufregend und erhalt durch verschiedene
biblische und zugleich sozialethisch akzentuierte Auslegungen
bzw. Anwendungen ein interessantes und weitgespanntes
Spektrum: Die Bedeutung des Jubeljahres (59-69), Gott kämpft für
uns (70-80), Ist gewaltfreier Widerstand ■möglich'.' (81-84), Der Jünger
Jesu und der Weg Christi (103-121), Christus und die Macht
(122-145), Revolutionäre Unterordnung (146-171), Jedermann sei
untenan: Römer 13 und die Autorität des Staates (172-188), Rechtfertigung
aus Gnade durch Glauben (189-204), Der Krieg des
Lammes (205-219). Mit Nachwort und verschiedenen Registern
schließt das Buch, von dem Vf. sagt, daß es in einem Zeitraum von
zehn Jahren entstanden sei.

Die Unmittelbarkeit, mit der Yoders Buch den Leser in seinen Bann
zieht, mag sowohl inhaltlich wie von der Art und Weise der Diktion
her bestimmt sein. Das äußert sich etwa in der raschen Bereitschaft,
als Leser in die Auseinandersetzung mit Yoder einzutreten. Anstelle
vieler Fragen, die man gern beantwortet hätte, sei ein prinzipielles
Problem angeschnitten, das ich bei aller Anerkennung und Zustimmung
im Detail auch bei Yoder nicht gelöst finde: Im Anschluß an die
letzte der drei genannten Negationen erhebt sich die alte Frage nach
der Begründung christlicher Ethik von neuem, und zwar von der entgegengesetzten
Seite her. In welchem Verhältnis steht denn die Ethik,
die nur mit Hilfe einer „Brücke ... in eine andere Denkweise"
erreicht wird, d. h. alle nichtchristliche Ethik, alle nichtchristliche
Gerechtigkeitserfahrung bzw. Aufrichtung von Gerechtigkeit ohne
Christus, in welchem Verhältnis steht alle diese Ethik zu einer
messianischen Ethik?

Leipzig Martin Petzoldt

Bakkcvig, Trond: The Doctrine on Just War - Relevance and Applicability
(StTh 37, 1983 S. 125-145).

Cameron, P. S.: The Place of Law in Contemporary Society - An Alternative
View(ET 94, 1983 S. 267-269).

Fuchs, Josef: Bischöfe und Moraltheologen (StZ 108,1983 S. 601 -619).

Gräßer, Erich: Zum Thema Tierversuch. Erwägungen aus der Sicht einer
theologischen Ethik(PTh 72, 1983 S. 466-478).

Honecker, Martin: „Nicht Kupfer, sondern Glaube". Zum Ethos des Geldes
(ZW 54, 1983 S. 161-175).

Kehl, Medard: Gemeinde und politisches Handeln (StZ 108, 1983
S. 770-778).

Nell-Breuning, Oswald von: Wirtschaft im gesellschaftlichen Umfeld
(StZ 108, 1983 S. 749-760).

Scholz, Franz: Sittliche Normen in theologischer Sicht (StZ 108, 1983
S. 700-710).

Schorr, Helmut: Aggressivität und industrielle Normen (StZ 108, 1983
S. 620-634).

Schwager. Raymund, Jözef Niewiadomski: Bergpredigt - Gericht - Politik -
Friede(StZ 108, 1983 S. 687-699).

Praktische Theologie:
Seelsorge/Psychologie

Bezzel, Ernst: Frei zum Eingeständnis. Geschichte und Praxis der
evangelischen Einzelbeichte. Stuttgart 1982. 261 S. 8* = Calwer
Theologische Monographien, 10. DM 48,-.

Der Untertitel „Geschichte und Praxis der evangelischen Einzelbeichte
" verspricht mehr, als die vorliegende Untersuchung tatsächlich
bieten kann und will. In ihrem Mittelpunkt stehen: „Die Beichte
bei Luther" (Kap. 1); „Die Beichte in der Ordnung der Bekenntnisschriften
" (Kap. 2); „Die Beichte in der Theologie der lutherischen
Orthodoxie" (Kap. 3); „Die Beichtpraxis der Orthodoxie" (Kap. 4).
Schwerpunkt der eigenständigen, wissenschaftlich weiterführenden
Forschungen des Vf. ist der Komplex die Beichte in der Theologie
und Praxis der lutherischen Orthodoxie. Zu seinen erklärten Zielen
gehört, „-wenigstens punktuell - das Bild einer Zeit" zu „erhellen, die
bis heute als eine Zeit der Erstarrung und des Formalismus verschrien
ist" (S. 9). Er möchte im Rahmen seines Themas dazu beitragen
, das „abfällige Urteil des Rationalismus und Pietismus, das auch
noch heute wesentlich unsere Stellung zur Orthodoxie bestimmt", zu
korrigieren (S. 35). Es bleibt zu fragen, inwieweit diese Absicht die
Quellenauswahl und Interpretation, besonders mit Blick auf die Spätorthodoxie
(z. B.Johann Deutselimann), beeinflußt.

Die Privatbeichle, wie sie sich in ihrer spezifisch lutherischen Form in
den Jahren 1521-1524 herausbildete, wird durch die Verbindung „des
katechetisch bestimmten Glaubensverhörs mit der seelsorgerlich ausgerichteten
Beichte" charakterisiert (S. 14). Diesem mixtum compositum
sei von Anfang an die Gefahr der Vergesetzlichung eigen gewesen.

Den Problemkreis, wie sich der von Luther geprägte und in die Bekenntnisschriften
aufgenommene Grundansatz evangelischer Einzelbeichte
in Theologie und Praxis der lutherischen Orthodoxie auswirkte
und entfaltete, untersucht der Vf. auslührlich. Hier wird Bahnbrechendes
geleistet. Einzeluntersuchungen - die Kapitel sind reich
gegliedert - erbringen wertvolle, teilweise über die eigentliche Thematik
hinausführende Erkenntnisse, etwa in der Frage der Kirchenzucht
(3.1.5.4.). Ohne den reformatorischen Ansatz theologisch inhaltlich
weiterzuentwickeln, habe die lutherische Orthodoxie „die Beichtlehre
ausgebaut, präzisiert und systematisiert und in das Ganze ihrer Theologie
eingebaut" (S. 81). Trotz behaupteter inhaltlicher Kontinuität
zwischen der reformatorischen und orthodoxen Beichtlehre räumt der
Vf. ein, die Orthodoxie habe „allerdings, was den evangelischen Charakter
der Beichte anlangt, den lutherischen Uransatz nicht immer
konsequent durchgehalten und so durch ihre Theologie indirekt beigetragen
zu der Erstarrung und Vergesetzlichung der Privatbeichte"
(ebd.). Dennoch wird auch hier grundsätzlich eine Kontinuität zwischen
reformatorischer Lehre und orthodoxer Praxis gesehen. Inwiefern
dabei die vielfach zur Begründung herangezogenen Kirchenordnungen
tatsächlich für die Praxis stehen können, ist fraglich. Die Kritik
an der Privatbeichte war ja weithin nicht eine Kritik an ihrer
Theorie, sondern an ihrer Praxis.

Mehr als Anhang im Sinne eines Ausblickes, nicht aber als Fortsetzungauf
dem gleichen Niveau, wirken die Kapitel 5 „Das Ende der
lutherischen Privatbeichte" und 6 „Die Privatbeichte der lutherischen
Orthodoxie im Urteil ihrer Zeitgenossen". Es ist bemerkenswert
, daß der Vf. angesichts der positiven Würdigung der orthodoxen
Beichtlehre und Beichtpraxis erneut die These bestätigt: „So war die
Privatbeichte in dieser Form schon überholt, als der Pietismus und die
Aufklärung ihr den Todesstoß versetzten." (S. 169) Die Rolle des Pietismus
bei der Abschaffung der Privatbeichte wie auch seine Versuche
, sie wiederzubeleben, kommen zu kurz, inhaltliche und formale
Mängel fallen auf. (Neuere Pietismusliteratur wird kaum berücksichtigt
. Wichtige Quellen werden nicht beachtet, so A. H. Franckes
Schrift „Kurtzer und Eintältiger Entwurffvon den Mißbräuchen des
Beichtstuhls". Das für die Geschichte der Beichte wichtige Decisum
Kurfürst Friedrich III. von Brandenburg vom 16. 11. 1698 wird in
einer fehlerhaften Übertragung [1908] wiedergegeben, obwohl der
exakte Text in der neueren Literatur zugänglich ist.)

Das Schlußkapitel „Erfahrungen für die Konkretion der Seelsorge
heute" zeigt auf dem Hintergrund der historischen Untersuchungen
bedenkenswerte Aspekte für die gegenwärtige praktisch-theologische
Diskussion auf. Es sind nicht zuletzt seine historischen Erkenntnisse,
die den Vf. im Kontext aktueller seelsorgerlicher Überlegungen allen
„krampfhaften Wiederbelebungsversuchen" der lutherischen Privatbeichte
in ihrer traditionellen Form ablehnend gegenüberstehen lassen
. Nicht für die Repristination der lutherischen Privatbeichte, wohl
aber.für ihre „grundlegende Erneuerung" in einer christuszentrierten
Seelsorge setzt er sich ein (S. 199).

Die gut lesbare, durch 7 Abbildungen illustrierte Arbeit ist keine
Geschichte der evangelischen Privatbeichte, wohl aber ein aus einer
lutherischen Grundposition heraus geschriebener wertvoller Beitrag
dazu.

Halle (Saale) Helmut Obst