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Ausgabe:

1984

Spalte:

226-227

Kategorie:

Systematische Theologie: Ethik

Autor/Hrsg.:

Yoder, John Howard

Titel/Untertitel:

Die Politik Jesu - der Weg des Kreuzes 1984

Rezensent:

Petzoldt, Martin

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Theologische Literaturzeitung 109. Jahrgang 1984 Nr. 3

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delns jedenfalls ein Inbegriff von Präskriptionen für diese Art von
Handlungen sein müssen. Damit sind dann die Grenzen desjenigen
Handlungsbereichs umrissen, für den auch eine „formale" Theorie
der Logizität von Präskriptionen selbst präskriptiv ist. Und die Grenzen
dieses Bereiches sind auch die Grenzen der präskriptiven Neutralität
einer solchen Theorie. D. h. die Wahl von beliebigen Prinzipien
der moralischen Argumentation ist nur innerhalb eines ganz bestimmten
Bereiches zulässig. Nämlich nur innerhalb des Bereiches,
der die generellen Bedingungen moralischer Argumentation und d. h.
eines Diskurses über Moral zwischen Personen nicht verletzt. Von
hier aus wird sichtbar, daß und warum Hares Theorie der moralischen
Argumentation der Empfehlung etwa eines rassistischen Handelns
(z. B. der nationalsozialistischen „Empfehlung", Angehörige einer
bestimmten Rasse zu töten) widersprechen muß; und zwar auch dann,
wenn eine solche Empfehlung so universell ausgesprochen wird, daß
sie gegebenenfalls auch die Selbstanwendung einschließt (vgl. Biesenbach
207ff): Hier wird die Wahl eines Verhaltens empfohlen, das die
Bedingungen des - wesentlich intersubjektiven - moralischen Diskurses
verläßt. Der präskriptive Gehalt der Hareschen Theorie des moralischen
Argumentierens (wie jeder Metaethik) ist die Empfehlung, nur
solches Verhalten zu empfehlen, das die Bedingungen der moralischen
Argumentation nicht vernichtet.

Diese Diskussion einiger Probleme, die mit Hares Theorie der
moralischen Argumentation verbunden sind, macht nun eine ganz
entscheidende Implikation dieser (und jeder metaethischen) Theorie
offenkundig; Sie ist nur sinnvoll unter Voraussetzung eines ganz bestimmten
Begriffs des Umfangs von Wirklichkeit, die überhaupt Gegenstand
wahrheitsfähiger Rede sein kann. Diese besprechbare Wirklichkeit
muß jedenfalls Handeln einschließen (und zwar sowohl dasjenige
Handeln, welches situationsverändernd wirkt, als auch dasjenige
Handeln, welches lediglich situationsabbildend wirkt, also
Sprachhandeln); und eben mit dem Handeln nicht nur das Gegebensein
des Inbegriffs der Bedingungen von Handeln, sondern auch den
Inbegriff wählbarer Handlungsmöglichkeiten und innerhalb dessen
wiederum auch den Inbegriff der - aufgrund ihrer Folgen - empfehlenswerten
und der nicht empfehlenswerten Handlungsmöglichkeiten
. Also: Wie jede Theorie der Sprache und ihrer Regeln, so setzt
auch die Haresche Theorie der Moralsprache und ihrer Regeln de
facto ein ganz bestimmtes Verständnis der besprechbaren Wirklichkeit
voraus. Und dann kann man auch umgekehrt sagen: Jedes Verständnis
von Wirklichkeit als solcher enthält in sich auch stets einen
Begriff der Bedingungen der Möglichkeit des wahrheitsfähigen Sprechens
.

2. Diese Einsicht schließt nun ein, daß Biesenbachs Bestimmung
des Verhältnisses zwischen einer Analyse der Moralsprache und der
Theologie falsch ist. Geht man davon aus, daß die Theologie das dem
christlichen Glauben eigentümliche Verständnis von erkennbarer
Wirklichkeit als solcher zu entfalten hat, so wird sie eben damit auch
einen Begriff der Möglichkeitsbedingungen wahrheitslähigen Sprechens
enthalten. Selbst dann, wenn Biesenbach eine wirklich systematische
Interpretation der Hareschen Metaethik gelungen wäre, würde
daraus also nicht einfach die Empfehlung der Anwendung ihrer
Regeln auf die Theologie folgen, sondern die Empfehlung, das in dieser
Metaethik implizierte Verständnis von Wirklichkeit daraufhin zu
überprüfen, ob und wieweit es dem Wirklichkeitsverständnis des
Glaubens entspricht. Weil Theologie das Wirklichkeitsverständnis
des christlichen Glaubens entfaltet und weil die hier verstandene
Wirklichkeit auf jeden Fall Sprache einschließt, deshalb gilt entgegen
den impliziten Prämissen Biesenbachs (vgl. oben): Die Theologie
reflektiert sehr wohl auch auf das Medium, in dem sie selber sich artikuliert
und entscheidet selber über die dabei zu befolgenden Regeln.
Von diesen Einsichten aus würde man m. E. die Gültigkeit von Hares
Metaethik für die Theologie nicht nur - wie Biesenbach - behaupten
müssen, sondern begreifen können.

In dieser hohen Einschätzung der Relevanz metaethischer Arbeit
für die Theologie weiß Rez. sich mit dem Vf. einig. - Es ist erfreulich

und dankenswert, daß diese ev.-theol. Dissertation in eine röm.-kath.
Publikationsreihe aufgenommen werden konnte.

München EilertHerms

Yoder, John Howard: Die Politik Jesu - Der Weg des Kreuzes. Maxdorf
: Agape Verlag 1981. 234 S. gr. 8°.

Dieses Buch entzieht sich einer raschen Einordnung in bekannte
und geltende theologische, auslegungs- und theologiegeschichtliche
Klischees. Von kontinentalen Auslegungsrichtungen her könnte man
einen Zugang gewinnen mit Hilfe der neueren Auslegungstendenzen
für die Bergpredigt als einem biblischen Grundtext für politische
Ethik (vgl. die Beiträge der Tagung der Gesellschaft für evangelische
Theologie vom Februar 1981, Nachfolge und Bergpredigt, Kaiser
Traktate 65, München 1981), wenn man nicht auch gerade da sich des
Eindrucks erwehren muß, daß „christliche Theologie nie um Auswege
verlegen war" (Nachwort, 221). Denn dieses Odium haftet notwendigerweise
jeder Auslegungsrichtung an, die mit Hilfe der Bibel
.Situationstheologie' treibt. Insofern kehrt sich das zitierte Monitum
an die „etablierten" christlichen Theologie auch gegen den Vf. Wenn
damit beim Leser dieser Zeilen das Mißverständnis heraufbeschworen
sein sollte, daß Theologie (und eben auch biblisch-exegetische
Theologie) besser situationslos betrieben werden sollte, so wäre die gemachte
Einwendung gründlich mißverstanden.

Für den Vf. gilt, daß er theologisch wie biographisch in einer
Tradition steht, die schon immer - wenn auch als Minderheit im
Stimmenkonzert der Kirchen und christlichen Denominationen
(Yoder ist Mennonit) - sozialethisches Nachdenken entschieden an
das Verhalten Jesu bzw. an die Evangelien anbindet. Yoder kommt es
darauf an, „daß bei sorgfältiger Detail- und Kontextauslegung der
Evangelien das Bild eines ethisch-sozialen Jesus zum Vorschein
kommt, dessen Worte und Wirken, Leben und Tod eine außergewöhnliche
Form des Engagements in der Welt entwerfen und verwirklichen
" (85). Im einzelnen kommt es dann zu interessanten Überlegungen
, die das Verhalten, Handeln, Reden Jesu und das Erleiden
der Passion abrücken von jederzeit menschlich nachvollziehbaren
vergleichlichen Phänomenen (vgl. bes. Kap. 2. „Das Königreich
kommt", 25-58, wo anhand des Lk-Ev Jesu Relevanz für eine Sozialethik
aufgespürt wird). Dem entspricht das Diktum Bonhoefters von
der Nachfolge Jesu als teurer Gnade, das Moltmann in seinem Vorwort
ausdrücklich benennt (7). Yoder sieht sich vor zwei Aufgaben
gestellt, einmal „ein Verständnis von Jesus und seinem Dienst zu
skizzieren, aus dem die direkte Bedeutung Jesu für die Sozialethik
ersichtlich wird", und zum andern will er „zeigen, daß Jesus, so verstanden
, nicht nur relevant, sondern auch normativ ist für eine zeitgenössische
christliche Sozialethik" (21). Ist die erste Aufgabe eine
mehr neutestamentlich-exegetische, so die zweite eine mehr systematisch
-theologische Aufgabe. Diese zweifache Aufgabenstellung ergibt
sich für Yoder aus drei Negationen im Blick auf die Beanspruchung
Jesu fürdie Ethik, die weithin Anwendung finden:

1. Jesus sei nicht maßgeblich in sozialethischen Fragen (Jesu
Interimsethik, Jesu Einfachheit und soziale Unkomplizierthcit, Jesu
Schweigen zu Fragen moderner Verantwortlichkeiten, Jesu Tendenz
zu Innerlichkeit und individuellem Selbstverständnis, Jesu monotheistische
Umwertung aller Werte, Jesu Versöhnungs- und Rcchtfer-
tiguogshandeln ausschließlich als Gnadengabe, 15-18).

2. Nur mit Hilfe einer „Brücke ... in eine andere Denkweise" kann
man über Ethik nachdenken.

3. Sozialethik basiert nur auf dem gesunden Menschenverstand
(passend und adäquat, relevant und effektiv, realistisch und verantwortlich
, 18-19).

Vf. nennt seine Konzeption „messianische Ethik" und meint damit
eine Ethik, die zu wählen hat weder zwischen sozialen und persönlichen
Pflichten, zwischen sozialer Verantwortung und persönlicher
Cilaubenstreue, noch zwischen Rm 12 und 13 und Mt 5 bis 7. Dieses