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Ausgabe:

1984

Spalte:

221-226

Kategorie:

Systematische Theologie: Ethik

Autor/Hrsg.:

Biesenbach, Hans

Titel/Untertitel:

Zur Logik der moralischen Argumentation 1984

Rezensent:

Herms, Eilert

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Theologische Literaturzeitung 109. Jahrgang 1984 Nr. 3

222

- religionsgeschichtlich auch auf jebusitischen Traditionen beruhenden
- ,,Theo"-Logumenon vom davidischen Königtum? Legitimiert
es nicht auch politische Macht? Und ist nicht gerade der salomonische
Tempel von Jerusalem - um Von anderen heiligen Orten einmal ganz
zu schweigen -, also jenes Heiligtum der davidischen Dynastie, das
sichtbare Nein zu K.s These, daß durch das atl. Thema ,.Schöpfung",
als radikale Entgötterung und Entdämonisierung verstanden. Welt-
werdung der Welt geschehe, weswegen kein (!) numinoser Rest, keine
sakralen Inseln bleiben (S. 231)? Freilich sagt dann K. selbst, daß die
Propheten aus dem Bann des Tempelkultes herausrufen und in die
Wirklichkeit des geschichtlichen und politischen Lebens hineinfuhren
.

Auf ein weiteres sei noch aufmerksam gemacht, und zwar im Blick
auf die im Schußkapitel herausgestellte Rk. der Propheten und Jesu.
Sie zielt doch sicher, auch im Verständnis von K., auf den Wunsch,
sich durch religiöse Praxis und Kult - ob damit dem Phänomen Kult
nun: Gerechtigkeit widerfährt, möge hier außer Betracht bleiben -
den W i/n.vc/igott zu schaffen. Wie kann K. aber dann sagen, erst
Luther habe erkannt und deutlich herausgestellt, daß Religion
„Wunschwesen'* (Feuerbach) sei (S. 131)?

Daß der Entwurf des Buches so ausgefallen ist, wie er uns nun vorliegt
, liegt wohl nicht zuletzt daran, daß hinter ihm das Anliegen von
§ 17 KD steht. Aber ist dadurch nicht in einem Werk über theologische
Rk. der Blick auf die radikalste Rk. des 19. Jh.. fast völlig ausgefallen
? Ich meine die Friedrich Nietzsches, Dessen „toller Mensch", der
seine Zuhörer und sich als Mörder Gottes bezeichnet, ruft aus: „Wer
gab uns den Schwamm, um den ganzen Horizont wegzuwischen? . ..
Irren wir nicht durch ein unendliches Nichts?" (Schlcchta II, 401).
Keiner der von K. behandelten nichtchristlichen Religionskritiker
geht so weit. Nietzsches Rk. ist die größte Herausforderung an uns
C hristen. Schade, daß K. dazu nichts sagt. In der KD findet sich nur
ein größerer Exkurs über ihn (HI/2,276-290) ein Musterbeispiel einer
eigenwilligen Nietzsche-Interpretation! Doch über ihn als atheistischen
Prophet des Nihilismus und einer nihilistischen Rk. finden wir
darin praktisch nichts. Und in § 17 kommt Nietzsche nicht vor. Deshalb
auch nicht bei K.?

Alles in allem: Das Buch zeigt, daß die Aufgabe des theologischen
Gesprächs zwischen Reformierten und Lutheranern groß und schwer
ist. Vielleicht noch größerund schwerer als im 16. Jh.! Wenn der Entwurf
von K. uns zu diesem Gespräch anspornt und uns so ein Stück
weiter führt, so gebührt dem Autor dafür nicht geringer Dank.

Göttingen Hans Hübner

' In der 2. Aufl. von 1538 ist diese Aussage allerdings abgeschwächt: „Neque
postulat Dcus ab homine aliquid amplius. quam ut tribuat ei gloriam et divini-
tatem. Hoc est, ut cum habeat non pro idolo, sed pro Deo qui respiciat. exau-
diat.miscreatur, iuvet etc." (WA 40 1,360.2811).

' Hervorhebungen durch mich.

Systematische Theologie: Ethik

Biesenbach, Hans: Zur Logik der moralischen Argumentation. Die

Theorie Richard M. Hares und die Entwicklung der analytischen
Ethik. Düsseldorf: Patmos 1982 342 S. gr. 8* = Moraltheologische
Studien. Systematische Abteilung. 9. Kart. DM 48,-.

Der Untertitel vorliegender Schrift gibt ihr thematisches Zentrum
an: die von R. M. Hare vorgelegte Metaethik (oder: Logik der Moralsprache
) (107-234). Entsprechend der Gesamtcharakterisierung der
Position Hares als „universeller Präskriptivismus" hat dieser Hauptteil
zwei sachliche Schwerpunkte: In zwei parallelen Durchgängen,
von denen der eine den Imperativen (109-139). der andere den Werturteilen
(140-184) gewidmet ist, wird zunächst Hares Logik der prä-
skriptiven Sprache beschrieben. Sodann wird die in der Behauptung
eben der Logizität. also der Begründbarkeit präskriptiver Ausdrücke.

mitgesetzte Behauptung ihrer Universalisierbarkeit (besser wäre: logischen
Universalität) behandelt (185-214). Erst in diesem Abschnitt
wird der schon in Hares Programm einer Logik der Moralsprache
implizierte Neutralitätsanspruch dieser wie jeder metaethischen (die
Sprachregeln normativer Ethik untersuchenden) Arbeit gegenüber der
inhaltlichen Bestimmtheit von Normen angesprochen und hinsichtlich
ihres Rechts und ihrer Grenzen andiskutiert. Aus dem Gesichtspunkt
dieser Problematik heraus erfolgt dann auch die Untersuchung
von Ähnlichkeiten und Divergenzen zwischen Hares Logik der
Moralsprache und dem Utilitarismus, die den gesamten Hare gewidmeten
Abschnitt beschließt (215-234). Dieses eigentliche Zentrum
der Arbeit wird gerahmt einerseits durch eine vorausgeschickte Skizze
der die Moralsprache analysierenden angelsächsischen Ethik vor Hare
(ihres Ausgangspunktes bei G. E. Moore [21^49], ihrer durch logischen
Empirismus bzw. Pragmatismus beeinflußten „emotivisti-
schen" Spielarten [50-79] sowie der unter dem Einfluß der Ordinary-
Language-Philosophy stehenden Interpretationen der Moralsprache
[81-106]), andererseits durch die skizzenhafte Darstellung und Widerlegung
einer Reihe auf Hare folgender Versuche seine Behauptung zu
bestreiten, daß in der Begründung eines jeden Werturteils eine prä-
skriptive Prämisse notwendig enthalten sei (235-259). Auf diese Rahmung
des Abschnitts über Hare weist der zweite Teil des Untertitels
hin. Was der Verfasser als das sachliche Zentrum und die eigentümliche
Leistung der gesamten - für ihn in der Position Hares gipfelnden
- die Moralsprache analysierenden Metaethik hält, gibt er im Haupttitel
seiner Schrift zu erkennen: Es ist ihr Beitrag „Zur Logik der
moralischen Argumentation". In dieser Logik geht es um die
Bedingungen der Verständlichkeit jeder moralischen Argumentation.
Daraus zieht der Verfasser für das Verhältnis der die Moralsprache
analysierenden Metaethik zur Theologie die Konsequenz: Die Theologie
gibt keine Kriterien zur Beurteilung der metaethischen Analyse
der Moralsprache an die Hand, sondern ist nur umgekehrt in ihrer
eigenen moralischen Argumentation (also in der theologischen Ethik)
um deren Verständlichkeit willen auf die Befolgung der in der Metaethik
erhobenen Sprach- und Argumentationsregeln angewiesen
(265ff; vgl. auch 13, 123, 162). - Dieses Resultat ist gültig, wenn erstens
die Behauptung stichhaltig ist, daß die Regeln der sprachanalytisch
erhobenen Logik universal gelten, und wenn zweitens aus
dieser Universalitätsbehauptung schlüssig gefolgert werden kann, daß
Theologie diese Sprachregeln zu befolgen habe, ohne Urteile über sie
lallen zu können. Und diese Schlüssigkeit hängt offenkundig an der
Stichhaltigkeit zweier Prämissen, die ihrerseits in der Universalitätsbehauptung
über die Resultate der Sprachanalyse noch keineswegs
enthalten sind: nämlich erstens, daß Theologie sich überhaupt in
einem von universal gültigen Regeln beherrschten sprachlichen Medium
artikuliere, und zweitens, daß Theologie von sich aus keine Urleile
über das sprachliche Medium und die in ihm herrschenden Regeln
fälle, in dem und nach denen sie sich artikuliert. - Bicsenbachs
Arbeit muß also unter zwei Gesichtspunkten beurteilt werden: unter
dem Gesichtspunkt ihrer Leistung für die Interpretation des in ihr
untersuchten Bereichs philosophischer Texte (I) und unter dem
Gesichtspunkt der Gültigkeit ihrer abschließenden Schlußfolgerungen
über das Verhältnis derartiger philosophischer und theologischer
Aussagen (2).

I. Biesenbachs Arbeit dokumentiert - nicht zuletzt durch die umfangreiche
Bibliographie (275-335) -, daß sich zumindest das Gespräch
der theologischen Ethik des deutschsprachigen Protestantismus
mit der angelsächsischen Moralsprachanalyse noch ganz, in der
Rezeptionsphase befindet. Dem entspricht die durchgängige Referatgestalt
vorliegender Arbeit. Der Bericht ist unterschiedlich detailliert
(die Skizze der Diskussion vor Hare greift stets nur Diskussionsschwerpunkte
heraus, die Diskussion um Hare wird hingegen auch bis
hin zu Beiträgen berücksichtigt, die sich sachlich als unergiebig erweisen
), gewissenhaft am Text orientiert und in der - freilich überwiegend
an bereits geführten Diskussionsgängen orientierten - Beurteilung
einzelner Argumente und Problcmkreise scharfsinnig und treffend.