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Ausgabe:

1984

Spalte:

214-215

Kategorie:

Dogmen- und Theologiegeschichte

Autor/Hrsg.:

Altmann, Alexander

Titel/Untertitel:

Die trostvolle Aufklärung 1984

Rezensent:

Greschat, Martin

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Theologische Literaturzeitung 109. Jahrgang 1984 Nr. 3

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blüte des Deismus' und .Die Spätphase' und behandelt die Thematik
erneut anhand einzelner Studien zu charakteristischen Persönlichkeiten
. Unter diesen stehen bekannte und klingende Namen wie die
von Charles Blount. John Toland, Shaftesbury, Matthew Tindal.
Isaac Newton, Jonathan Swift (als Außenseiter), Anthony Collins,
William Lyons, Woolston, Annet, Thomas Chubb, Thomas Morgan
u. a. m. Aus einem früheren Zusammenhang gehörte noch Herbert
von Cherbury (313 ff) mit hierher, dessen Religionskritik Blount fortzuführen
scheint (474fT). Beim Durchnehmen der einzelnen deisti-
schen Ansätze ist erneut deutlich zu machen, wie das Aufkommen der
Bibclkritik in England politischen Interessen zu verdanken ist. Die
Whig-Ideologen wollten ihren Gegnern, den hochkirchlich fundierten
Tories, die Stütze aus der Hand schlagen, indem sie der Bibel den
Rang als Quelle der Offenbarung dadurch absprachen, daß sie auf die
natürlichen Entstchungsverhältnissc dieses Buches und seiner
menschlich-allzumenschlichen Inhalte verwiesen. Damit sollte die
Denkweise der Tories an der Wurzel getroffen werden (538). Christentum
war nur noch reine natürliche Religion, Vernunftreligion. Auch
die Apologeten vermochten an dieser Entwicklung nichts zu ändern,
sie beförderten sie im Gegenteil, gewiß gegen ihren eigenen Willen,
wie es R. an Isaac Newton eindrücklich aufzuzeigen vermag. Interessant
ist die ausgeprägt theologische Seite im Denken Newtons, die
freilich erst in letzter Zeil zur Ansicht gelangt, da der bisher unpubli-
zierte Nachlaß des Gelehrten jetzt zugänglich gemacht ist. Newton als
Theologe ist im übrigen keine Ausnahmeerscheinung. Jene Zeit ging
von der Einheit des Denkens aus, wozu selbstverständlich auch theologische
Aspekte gehörten (546f.552f). Die Ergebnisse aus der Hochblüte
des Deismus arbeitet R. aus den Werken der genannten Persönlichkeiten
heraus, vor allem aus den Schriften von Collins, Lyons,
Annet und aus Tindals 'Christianity as old as Creation'. Sie sind bei
allen Nuancierungen im einzelnen soweit bekannt, daß sie hier nicht
weiter ausgeführt zu werden brauchen (615.618.627 und an anderen
Stellen): Das Buch der Natur und das Buch der Offenbarung stimmen
grundsätzlich miteinander übercin (Newtonsches Erbe) und sind der
Vernunft prinzipiell zugänglich. Ethisierung des Christentums und
Religion als hohe Moral weisen von sieh aus auf die Grenzen der
Schrift. Alttestamentliche (und partiell auch ncutcstamcntliche)
Theologie und Anthropologie (Kult, Opfer. Zeremonien. Priestcrtum
u. a. m.) halten den hohen sittlichen Maßstäben nicht stand und sind
abzulehnen. R. sieht darin Elemente des Humanismus und des Spiritualismus
weiterwirken. Das ist auch in der Spätphase des Deismus
nicht anders, f ür Morgan ist fast alles, was im Alten Testament enthalten
ist. mit dem ,,Prinzip der .moralischen Wahrheit' unvereinbar
". Die konsequente Ablehnung des Alten Testaments als Bestandteil
der christlichen Bibel ist sein Beitrag zur deistischen Debatte
(6520.

Einen förmlichen Schluß oder eine systematische Zusammenfassung
hat das Buch on R. nicht. Auch die vierseitige .Schlußbetrachtung
' erbringt dieses nicht. Aber vielleicht ist ein Schluß auch gar
nicht unbedingt nötig. In einer bemerkenswerten Monotonie wird
durch die dargestellten diffizilen, differenzierten und untereinander
letztlich unlöslich dependenten theologischen, philosophischen, politischen
Debatten des 16.. 17. und beginnenden 18. Jh. in England hindurch
aufgezeigt, wie bis heute funktionierende historisch-kritische
I rforschung biblischer Texte und die daraus resultierenden theologischen
Grundüberzeugungerl nicht den Denkansätzen lutherischer
oder calvinistischer Reformation entstammen, sondern dem Geiste
des .linken Elügels' der Reformation. Es sind erstaunlich einfache Elemente
, die als Erbe über den Deismus und nach Weitergabe an die
Aulklärung in der Bibclexcgcsc bis in die Gegenwart hinein fortwirken
: der puritanische Antizercmonialismus mit dei Geringschätzung
alles Priesterlichen und als Kehrseite dazu die Hochschätzung eines
antikultisch gedeuteten Prophetischen; sodann das - wie R. meint -
weitverbreitete Verständnis der israelitisch-jüdischen Religionsge-
schichtc als Geschichte des Verfalls einer ursprünglich reinen natürlichen
Up-Form von Religion zu einem komplizierten Ritualismus

(673). Drittens sieht R. analoge Erbstücke in der gegenwärtigen neu-
testamentlichen Forschung angesiedelt, etwa in der Akzentuierung
eines vorösterlichen Jesuanismus und eines nachösterlichen extremen
Paulinismus, ohne auf diese interessante Auszichung der theologic-
und gcistesgeschichtlichen Linien noch näher einzugehen. Schließlich
soll auch die weitgehende Entfremdung von alt- und neutestament-
licher Theologie aus den gezeichneten Zusammenhängen konsequent
herv orgegangen sein (674). Daß im weiteren Verlauf der Geschichte
die Bibel an Autorität und Prägekraft für das gesamtgesellschaftliche
Leben v erlor und ein ethischer Rationalismus zu einer der führenden
Kräfte in der eigentlich jetzt erst beginnenden Neuzeit wurde, ist auf
englischem Boden in der dargestellten Zeitspanne vorbereitet worden
(675). Dem wird man kaum widersprechen können. Es kann zum
Schluß nicht gesagt werden, daß die von den in der Einleitung skizzierten
und in der Schlußbetrachtung wiederaufgenommenen Grundüberzeugungen
des Autors, die den Impuls für dieses immense wissenschaftsgeschichtliche
Arbeit entfacht haben, auch Auswahl. Darstellung
und Akzentuierung der behandelten Gegenstände vorgeprägt
haben. Dazu ist zu umfängliches und auch sehr verschiedenartiges
Material (zusammen mit seiner Interpretation in der Sekundärliteratur
) ausgebreitet worden. Wer manche Schlußfolgerungen aus den
Untersuchungen des Autors nicht akzeptieren möchte - darüber
könnte durchaus in der Zukunft gesprochen werden -, hat Gelegenheit
, auf Grund des bereitgestellten Materials selber an die Arbeit zu
gehen. Die These ist aufgestellt, die Diskussion.cröffnct. Das Buch von
Henning Graf Rcventlow füllt - wie auch immer - eine bisher vielleicht
nicht so schmerzlich empfundene, nun aber nicht mehr überseh
- und übergehbare Lücke. Dafür ist ihm der volle Dank zu zollen
.

Leipzig Siegfried Wagner

Altmann. Alexander: Die trostvolle Aufklärung. Studien zur Metaphysik
und politischen Theorie Moses Mendelssohns. Stuttgart:
Fromman-holzboog 1982. 303 S. gr. 8°= Forschungen und Materialien
zurdeutschen Aufklärung. Abt. Monographien, 3.

Im vorliegenden Band sind zwölf Aufsätze des Autors aus den Jahren
1966-1981 über die Gedankenwelt Moses Mendelssohns zusammengefaßt
, dazu - im Anhang (276-285) - eine aus Anlaß der zwei-
hundertrünfzigsten Wiederkehr des Geburtstags des Philosophen verfaßte
Würdigung seiner geistigen Persönlichkeit. Die Arbeiten kreisen
um zwei Themenbereiche: 1. Um metaphysische Fragen, 2. um Fragen
der politischen Theorie. Zur erstgenannten Gruppe zählen sieben
Aufsätze, vier in deutscher, drei in englischer Sprache, die in sehr
unterschiedlicher Nähe und Intensität um die Gestalt Mendelssohns
kreisen. Wesentlich für den hier relevanten kirchenhistorischen Zusammenhang
erscheinen vor allem die Beiträge über sein Menschenbild
(13-27). die Entstehungsgeschichte des „Phädon" (84-108). Leasings
Glaube an die Seclcnwandcrung (109-134). Mendelssohns
Überlegungen zum Gottesbeweis (135-151) sowie über das Wunder
(1 52-163). Zur zweiten Gruppe gehören zwei englische und drei deutsche
Arbeiten, von denen die Untersuchungen über Mendelssohns
Verständnis des Naturrechts und Naturzustandes (164-191). über
seine sowie Kants Prinzipien der politischen Theorie (192-2 16). über
die philosophischen Wurzeln von Mendelssohns Emanzipationsforderung
für die Juden (217-228) sowie die begriffs- und geistes-
geschichtliche Untersuchung primär über die Gewissensfreiheit,
daneben den Gedanken der Toleranz (244-275) besondere Berücksichtigung
verdienen. Ein ausführliches Personen- und Sachregister
(287-302) beschließt das Buch.

Die geistige Vielfalt und der Gedankenreichtum dieser Studien lassen
sich naturgemäß nicht in wenigen Sätzen zusammenfassen. Ohne
Übertreibung kann man jedoch feststellen, daß hierin der gesamte gei-
stes- und thcologiegeschichtliehe Horizont der Aufklärung umfassend