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Ausgabe:

1984

Spalte:

200-201

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Trilling, Wolfgang

Titel/Untertitel:

Der zweite Brief an die Thessalonicher 1984

Rezensent:

Donfried, Karl P.

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199

Theologische Literaturzeitung 109. Jahrgang 1984 Nr. 3

200

stehen geben kann. Der vorliegende Kommentar entspricht dieser Erwartung
in einem außerordentlich hohen Maße. Zu verdanken ist dies
der Hin/ührung zum Galaterbrief, in welcher der Historiker dem
Leser wohltuende Unzeitgemäßheit zumutet, der Auslegung im Blick
auf die menschliche Grundsituation, welche der Hermeneutiker anhand
des Textes zu erhellen vermag, und schließlich der entschiedenen
Sachintensität der Interpretation, welche der Systematiker nie aus
den Augen läßt.

Die Wahrheit des Evangeliums entscheidet sich für Paulus gleichsam
im Vordergrund: um die Ausrichtung auf diese Wahrheit ging es
in jenem antiochenischen Zwischenfall, wo um des Evangeliums willen
ein Konflikt unvermeidlich war (152). Die Situationsbezogenheit
der paulinischen Theologie erfordert deshalb genaue historische Erfassung
dieses Zwischenfalls (153-160). Diese führt zur Einsicht in
den eigentümlichen Charakter der Frage nach der Wahrheit des Evangeliums
. Ihr geht es nicht darum, ,,ob das Evangelium in sich selbst
wahr sei im Vergleich mit anderen Botschaften und Lehren", sondern
um die „Verantwortung dafür, daß das Evangelium in seiner Reinheit
und inneren Folgerichtigkeit kund werde und bewahrt bleibe" (160).
Im ersten Falle bleibt das Evangelium im Bannkreis des Ideologischen
, im zweiten Falle kann es allererst als Evangelium zur Auswirkung
kommen: zur Gleichstellung von Juden und Heiden, die gerade
auch vom Christentum wieder und wieder eingeholt werden muß (vgl.
162). Der Schritt von der Ideologie zur evangelischen Freiheit wird
klar in den Blick genommen, wenn Paulus die Konfliktsituation überführt
in die Frage nach der Reichweite des Gesetzes (Gal 2,15-21;
S. 163-209). Die Freiheit ist mitnichten erreicht, wenn das Evangelium
einfach an die Stelle des Gesetzes tritt und Christus zum neuen
Mose wird, sondern erst dann, wenn das Verhältnis des Menschen
zum Gesetz ganz neu geworden ist „in bezug auf das Sein vor Gott"
(185). Erst wenn das Ich tot ist für das Gesetz, wenn das Gesetz, „sein
Recht an mir verloren" hat (191), ist der Weg frei dafür, „Gott zu
leben" (205), d. h. in Relation zu Gott zu leben (vgl. 194).

Bei einer intensiven Verstehensbemühung um den paulinischen
Text stellen sich überraschende Einsichten ein zur Grundsituation
menschlichen Lebens. Nicht selten werden sie erschlossen durch sorgfältiges
Beobachten des Sprachgebrauchs. Während wir die „intransitiven
Verben leben und sterben" „überwiegend absolut" gebrauchen
(190), verbindet sie Paulus in Gal 2,19 mit Dativen und drückt damit
die „Relationalität" aus (191). Damit verbindet sich die - auch for-
malontologisch bemerkenswerte - Entdeckung, daß „das Leben und
das Sterben gewissermaßen exzentrisch sind" (192). Die weitere Auslegung
von Gal 2,19 erbringt eine Umkehrung des für das Leben maßgebenden
Richtungssinns: Während nach gewöhnlicher Auffassung
die Bewegung einsinnig vom Leben zum Tod verläuft (196), sieht Paulus
(im Lichte des Kreuzestodes Christi) das Leben in umgekehrter
Richtung entstehen: „An die Stelle des Lebens vor dem Tod ist das
Leben aus dem Tod getreten" (197). Und ebenso ungewohnt erscheint
dann auch der Christusbezug des menschlichen Lebens: „Nicht Christus
wird der Ort angewiesen in der vermeintlichen Selbstverständlichkeit
von Leben und Sterben. Vielmehr wird in Christus dem
Leben und Sterben die entscheidende Ortsbestimmung zuteil."
(199)

Ebelings Auslegung von Gal 2,19 stellt schließlich ein Beispiel für
den Ertragreichtum der sachintensiven Exegese dar. Vom Tod des Ich
spricht Paulus hier, um damit anzudeuten, daß eine Situationsveränderung
radikalen Ausmaßes zur Debatte steht, eine Situationsveränderung
, von der auch das Ich selbst nicht etwa ausgenommen ist (199;
es geht weder bloß um einen „Religionswechsel" noch eine „Bekehrung
, bei der das Ich problemlos dasselbe bliebe und nur seine Ausrichtung
und damit das Urteil über sich selbst veränderten"). Dem Ich
ist vielmehr „die einzige Veränderung widerfahren, die ihm selbst zustoßen
kann: Es ist gestorben" (ebd). Das Ich ist nämlich dem Gesetz
gestorben, in welchem es „sozusagen lebendig begraben" war (203), in
seiner Gesetzesverhaftung ist es zu Ende gekommen. „Es ist ein Subjektswechsel
eingetreten. An die Stelle des dem Gesetz verhafteten

und ihm nun gestorbenen Ich ist der gekreuzigte und nun auferstandene
Christus getreten." (206) So ist das Ich selbst betroffen. Das einst
der Sünde versklavte Ich wird nicht einfach verwandelt in „ein neues
Ich, das Herr seiner selbst ist und niemandem gehört", vielmehr ist es
„der Ort des Lebens und der Herrschaft Christi" geworden (207). Was
die sachintensive Auslegung hier zutage fördert, ist ein Verständnis
des Ich, das zu vergessen sich weder die theologische Anthropologie
noch die theologische Ethik leisten können.

Zürich Hans Weder

I rilline. Wolfgang: Der zweite Brief an die Thessalonicher. Zürich-
Einsiedeln-Köln: Benziger; Neukirchen-Vluyn: Neukirchener
Verlag des Erziehungsvereins 1980. 166 S. gr. 8' = Evangelisch-
Katholischer Kommentar zum Neuen Testament, XIV.

This commentary by Wolfgang Trilling on 2 Thessalonians must be
recognized as one of the most original and provocative to date. Al-
though his conclusions do not differ significantly from his previous
study, Untersuchungen zum 2. Thessalonicherbrief (1972), these
earlier conclusions are carried through in a consislently thorough and
creative manner.

Trilling insists that 2 Thessalonians is not Pauline; it is a pseudepi-
graph written by an unknown author of a later period. This author is
not a member of the later Pauline school; rather he Stands in close pro-
ximity to such writings as 1 and 2 Peter. 2 Thessalonians is the First
New Testament writing of the post-apostolic period which views Paul
as "apostolic". Further, this document is not addressed to the church
in Thessalonica; its audience is unknown. The intention of 2 Thessalonians
is to address a more general Situation in which the procla-
mation that the parousia has come is creating turmoil among some
Christian groups. While other issues such as persecution and unruly
behavior are dealt with, the problem of the parousia is clearly central.
It is corrected by the application of a variety of apocalyptic motives
and themes.

According to Trilling the key critical problem is the literary rela-
tionship between 1 and 2 Thessalonians. In his judgment, 2 Thessalonians
is dependent on 1 Thessalonians in a most uncreative, Hat way.
Such a judgment must be supported on form critical and stylistic
grounds and not primarily by vocabulary analysis. It is this consistent
application of form critical and stylistic criteria, as well as tradition
and literary criticism, which allows this commentary to break new
ground. It is also argued that 2 Thessalonians is not addressed to the
church at Thessalonica; its audience is unknown.

Trilling suggests that this writing should be divided as follows:
1:3-12 (thanksgiving); 2:1-12. 13-14 (the "day of the Lord"), and;
2:15-3:16 (ethical exhortations). This division is traditional except of
commencing the third pari at 2:15. A sampling of Trilling's keen
insights would include the following. With regard to 1:3-12: it is only
superficially a "thanksgiving" in the usual Pauline sense of the term;
beginning with verse 5 it is transformed into a didactic passage dealing
with the future judgment. Similarly the final greeting in 3:17-18 hasa
different nuance than in the Pauline letters where it serves the funetion
of intimaey; here it intends to demonstrate authenticity. Other diffe-
rences from the Pauline letters would include the use of the term
"hope" to mean simply "patience" in 1:3-4; the experience of salva-
tion as primarily a future phenomenon in 1:7ff; the absence of the use
of the titles "Jesus Christ" or "Jesus" without the consistent qualifica-
tion of the title "Lord"; the unpauline use of "retribution" in
1:11-12. Additionally, our author points out that 2 Thess 1:1-2
would be the only "Pauline" greeting that is statically repeated without
the Variation we find in the authentic letters; 1:3-12 is composed
in a clumsy, artificial style; the term "calling" at 1:11 is used in a non-
Pauline manner. as is the term "possession" in 2:14 (note how diffe-
rently it is used in 1 Thess 2:12b and 5:9); 3:6-12 is the clearest exam-
ple of literary dependence upon and transformation of 1 Thessalo-