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Ausgabe:

1984

Spalte:

198-200

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Ebeling, Gerhard

Titel/Untertitel:

Die Wahrheit des Evangeliums 1984

Rezensent:

Weder, Hans

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Theologische Literaturzeitung 109. Jahrgang 1984 Nr. 3

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Gleichnissen häufig ist) bei Jesus verändert. Diese sachliche Differenz
verkennt der Vf. völlig (Beispiele: S. 24, 33, wohl bedingt durch seine
ständige Überbetonung der Gleichheit in formaler und stofflicher
Hinsicht). Interessant ist ferner, in welcher Weise die Aufforderung
zum Handeln in den Jesusgleichnissen ergeht. Auch dieser Eigenart
wird der Vf. nicht ansichtig, weil er - bewogen durch rabbinische
Parallelen - die Gleichnisse zum „Hauptvehikel für die sittliche Botschaft
Jesu" erklärt (S. 172; ein Beispiel dafür liefert die gesetzliche Interpretation
von Mt 25,1-13, wo es auf einen Vorrat von guten Taten
hinausläuft, der beim Kommen des Bräutigams soteriologisch notwendig
ist, vgl. S. 182ff). Im ganzen kann es nicht überzeugen, wenn
rabbinisches Denken ständig in die Gleichnisse Jesu eingetragen wird,
ohne daß diese zunächst als Einzelphänomene wahrgenommen und in
ihrer sachlichen Eigenart ernstgenommen würden. Im Blick auf die
Betonung des .Jüdischen" Charakters der Gleichnisse Jesu mag
schließlich die Frage erlaubt sein, ob denn dieses Adjektiv für die fragliche
Zeit irgend eine Eindeutigkeit besitzt. Bevor diese Frage geklärt
ist, hat es eigentlich keinen Sinn, es im Blick auf die Verkündigung
Jesu zu brauchen, wenn damit nicht einfach die Ebene des physikalischen
Vordergrunds angesprochen sein soll. Ein in vielen Variationen
immer wiederkehrender Satz lautet: „Wir verstehen die Gleichnisse
Jesu nur dann richtig, wenn wir sie als der rabbinischen Gleichnisgattung
zugehörig betrachten." (S. 279) So zustimmungswürdig
dieser Satz ist, so sehr wird er Lügen gestraft durch die konkreten
Aussagen des Verfassers über die Gleichnisse Jesu.

Ein zweiter Grundzug dieser Arbeit ist der Kampf des Vf. gegen die
„eschatologische" Interpretation der Gleichnisse Jesu. Dabei unterstellt
er der bisherigen Forschung, das Gottesreich aufgrund einer vorgefaßten
Meinung in die Gleichnisinterpretation hineingebracht zu
haben (S. 66). Daß die allermeisten Gleichnisse gemäß ihrer Selbst-
aussagc Gottesreichsgleichnissc sind, stört den Vf. insofern nicht, als
er den Bezug auf das Gottesreich nur in fünf Fällen (Mt 13,31-33;
Lk 1 1,18-21; Mk 4,26-29; Mk 4,30-32; Mt 13,44-46) als ursprünglich
gelten läßt (S. 65), während er alle übrigen Stellen für sekundär
erklärt (S. 63f, 67ff). Diese schwerwiegende exegetische Aussage ist
willkürlich, zumal keine Argumente vorgebracht werden und sie erst
noch einem beobachtbaren Trend in der synoptischen Überlieferung
widerspricht. Solche Beispiele nichtbegründeter Aussagen, die dann
als Resultate ausgegeben werden, finden sich noch mehr: so wird
etwa die Parabel vom Verlorenen Sohn ohne weiteres als ein Exem-
plum (bisher: Bcispiclgeschichte) definiert (S. 57). Daß Mk 4,10f — um
ein weiteres Beispiel zu nennen - ursprünglich nicht ein Wort zur
Glcichnisrezeption war (S. 235-281). ist wohl zutreffend und wird
von der neutestamentlichen Forschung seit langem auch gesehen. Es
ist aber auch sehr fraglich, ob die schon methodisch extravagante Erklärung
des Vf. (vgl. bes. S. 276IT) irgend eine Plausibilität hat. Die
Polemik gegen die eschatologische Deutung der Gleichnisse Jesu ist
verknüpft mit einer nicht minder heftigen Polemik gegen die kirchliche
Interpretation der Gleichnisse - stamme sie nun von den Evangelien
oder von der modernen Exegese (z. B. S. 1 19). Weil der Vf. das
Sachproblem der impliziten Christologie (oder besser wohl: des theologischen
Sclbstverständnisses Jesu) nicht erfaßt (S. 257), kann er die
Frage nach dem sachlichen Recht der kirchlichen Interpretation nicht
mehr stellen. Denn ein messianisches Selbstverständnis möchte er
Jesus schon zugestehen (z. B. S. 257 „Hoheitsgefühl". „Messiasbewußtsein
"), aber nur in dem Sinne, daß die Gleichnisse nicht das
Verhalten Jesu erklärten, indem sie ein Verhalten Gottes vor Augen
stellten (das nennt der Vf. „Expressionismus" S. 172), sondern daß sie
Lehren im Rahmen des .Jüdisch-monotheistischen Glaubens"
(S. 119) predigten. So ist natürlich der nachösterlichen Christologie
jede Existenzberechtigung abgesprochen, wenn sie nicht einfach Mcs-
sianismus bleiben wollte. Historisch dürfte aber das theologische
Selbstverständnis viel näher liegen als das messianische: gerade solche
Metaphern wie Bräutigam (die der Vf. etwas gezwungen messianisch
uminterpretieren muß. vgl. S. 1850. Vater. König. Hausherr, usw.
verweisen doch auf Gott, nicht aber auf den Messias. Dazu würde

dann auch passen, daß die Gleichnisse grundsätzlich Vergegenwärtigung
des Gottesreichs und in diesem kritischen Sinne eschatologisch
zu verstehen sind.

Einen weiteren Tenor dieser Arbeit stellt die moralische Interpretation
dieser Gleichnisse Jesu dar. Auf vielerlei Weise wird immer wieder
behauptet, die Gleichnisse Jesu seien „auf eine allgemeingültige
Morallehre hin ausgerichtet" (S. 26), ihr einziger Zweck sei es, ein
Vehikel zur sittlichen Belehrung der Menschen zu sein (z. B. S. 33,
119, 189, 190 usw.). Verantwortlich für diese These ist hauptsächlich
die Ableitung der Gleichnisse Jesu aus dem. was der Vf. als rabbinische
Gleichnisse betrachtet. Diese Ableitung verwehrt es ihm, die
Eigenart der Gleichnisrede Jesu zu erfassen. Überdies bestreitet ja niemand
, daß die Gleichnisse nicht auch einen „sittlichen" Aspekt
haben, wohl aber wird die Alleinherrschaft des Sittlichen in Frage gestellt
(und dies nicht aus bloß ideologischen Gründen, wie der Vf.
meint, S. 172, 1 190 und wird kritisch hinterfragt, inwiefern man Jesus
zu Recht eine pädagogische Methode unterschiebt (wie der Vf. dies
tut, S. 2780- Daß die gesetzliche Interpretation der Gleichnisse Jesu hier
noch kombiniert ist mit einer äußerst fragwürdigen Hypothese zum
synoptischen Problem (vgl. S. 193-225, wo aufgrund von ein paar Einzelstellen
die Zwei-Quellen-Theorie abgelehnt wird zugunsten eines
hebräischen Ur-Markus und einer Benützung des Lk durch Mk [!]),
macht die ganze Sache keineswegs einleuchtender. Man ist versucht, die
häufigen Ideologievorwürfe des Vf. gegen diesen selbst zu kehren.

Schließlich muß auf das erhebliche sprachphilosophische Defizit
dieser Arbeit hingewiesen werden. Es kann keinesfalls genügen, wenn
ein russischer Formalist, Lessing sowie ein moderner Märchenforscher
als Gewährsleute genommen werden (vgl. bes. S. 56IT). Es verwundert
deshalb nicht, daß der Vf. sich von Lessing zu einer exklusiv
moralischen Interpretation verleiten läßt und diese als die ursprüngliche
Absicht Jesu ausgibt. Besonders schwerwiegend ist die ständig
wiederkehrende Behauptung, die Gleichnisse Jesu seien aus dem
didaktischen Zweck entstanden (z. B. S. 190 „didaktische Literatur").
Es gibt eine Reihe von gut zugänglichen neueren Arbeiten, die sich
mit dem Problem der didaktischen Interpretation und der hörerorientierten
Hcrleitung der Gleichnisse beschäftigt haben. Sie zu
beachten ist unerläßlich, wenn solche Allgemeinthesen des 19. Jahrhunderts
wieder aufgewärmt werden. Wenn sprachtheoretische Einsichten
für die Beschreibung der formalen Struktur fruchtbar gemacht
werden (S. 51 ff), so ist dies zu begrüßen (auch wenn dies mindestens
seit Bultmann in derGleiehnisexegcse üblich und keineswegs neu ist).
Zu begrüßen ist auch, daß der Zwang zum Realismus kritisiert wird
(S. 32, 34, 35, wie verhält sich dazu S. 59?), ein Anliegen, das die neu-
testamentliche Exegese seit mindestens 30 Jahren verfolgt (ausgehend
von den Arbeiten von E. Fuchs). Das sprachphilosophische Defizit
wirkt sich endlich auch dort aus. wo der Begriffder Allegoresc behandelt
und trotzdem nicht geklärt wird (S. I 19IT). Solche Defizite könnten
gewiß entschuldigt werden, wenn nicht zugleich massive Thesen
und weitreichende Urteile so großzügig geäußert würden.

Enttäuscht legt man dieses Buch aus der Hand. Besonders schade
ist, daß dieser „hochbegabte" Jesusforscher (Klappentext), der auszog,
die „christliche" Forschung (die er äußerst mangelhaft kennt) zu korrigieren
, es nicht unterlassen kann, immer wieder beleidigende Äußerungen
gegen diese Forschung zu tun (z. B. S. 156, 172, 173 „Kathedertheologen
", 188 „neurotische Furcht"). Solches sollte sich niemand
leisten, zumal es die Schwäche der Argumente sowieso nicht zu
kompensieren vermag. Es ist sehr zu hoffen, daß der bereits angekündigte
zweite Band den Spuren dieses ersten nicht folgt.

Zürich Hans Weder

Kbeling, Gerhard: Die Wahrheit des Evangeliums. Eine Lcschilfe zum
Galaterbrief, Tübingen: Mohr 1981. XI, 369 S. kl. 8". Pp.
DM 39,-.

Von einer „Lesehilfe" verspricht man sich, daß sie einen Weg bahnt
vom heutigen Leser zu der Sache, die ihm der vergangene Text zu ver-