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Ausgabe:

1984

Spalte:

181-183

Kategorie:

Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Halbfass, Wilhelm

Titel/Untertitel:

Indien und Europa 1984

Rezensent:

Bürkle, Horst

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Theologische Literaturzeitung 109. Jahrgang 1984 Nr. 3

182

Allgemeines

Halbfass, Wilhelm: Indien und Europa. Perspektiven ihrer geistigen
Begegnung. Basel-Stuttgart: Schwabe 1981. 550 S. gr. 8°. Lw.
DM 158,-.

Der Verfasser, der seit 1973 an der Universität von Pennsylvanien
in Philadelphia indische Philosophie und Geistesgeschichte lehrt, hat
diesen Band seinem Lehrer Paul Hacker gewidmet. Seinen Arbeiten
fühlt er sich verpflichtet und legt mit diesem Buch einen bedeutsamen
Beitrag zum Verständnis der Geschichte der geistigen Bezüge zwischen
Jndien und Europa vor. Dem ausgewiesenen Indologen kommt
dabei seine philosophische und religionswissenschaftliche Perspektive
und seine fachliche Kompetenz auch auf diesen Gebieten zugute.
Das gibt dem Werk seinen besonderen Stellenwert in der gegenwärtigen
Situation der Begegnung und Auseinandersetzung mit Indien, die
oftmals mit dem Stichwort „Dialog" bezeichnet wird. Wilhelm Halbfass
hat dabei einen Blick für das Wesentliche. Der .hermeneutische
Schlüssel', mit dem er die von ihm reichhaltig zugrundegelegten
Materialien (die Anmerkungen sind eine Fundgrube für weitergehende
Studien) erschließt, richtet sich streng nach der interesseleitenden
Fragestellung dieses Kommunikationszusammenhanges. In
ihm liegt zugleich die Vcrkoppelung von geschichtlicher und philosophisch
-religionswissenschaftlicher Methode. In keinem der einzelnen
Abschnitte (der Band ist chronologisch nach den entscheidenden Epochen
und nach einzelnen hervorragenden Repräsentanten dieses .Dialogs
' gegliedert) hat man den Eindruck, daß hier lediglich ein Stück
.Ideengeschichte' abgehandelt wird. Der Vf. spricht von „Darstellung
von Einstellungsweisen", „Perspektiven des Interesses aneinander
und des Zugangs zueinander". Es geht ihm um „Probleme des Kon-
texts und Horizonts philosophischer Begegnung". Er will einen Beitrag
leisten „zum Verständnis der geschichtlichen und hermeneuti-
schen Voraussetzungen und damit zur Vorbereitung eines philosophischen
Gesprächs . . ., das nicht geschichtlich naiv ist" (S. 437).

Damit grenzt er sich ab gegenüber einspurigen Wegen des Verste-
hens. Sie lassen den gegenseitigen Bezug. dicTruchtbaren Wechselwirkungen
vermissen, die die Dynamik des Prozesses geistiger und religiöser
Begegnungen ausmachen.

Halbfass liefert ein Beispiel par tXCtllence für den verstehenden,
immer aber dabei auch kritischen Umgang mit den geschichtlichen
Situationen dieser Begegnung. Das geschichtliche Denken bewahrt
ihn dabei vor einer unsachgemäßen Beurteilung auf Grund heutigen
Wissensstandes. Auf der Suche nach dem jeweils spezifischen Beitrag
eines Denkers oder einer Epoche kann er dabei auch dem noch Vorläufigen
und auf Grund eines gcistesgcschichtlichen Kontextes Partiellen
Gerechtigkeit .widerfahren lassen. Indem er den Vorgang der
Begegnung und Auseinandersetzung nicht in einzelne, in sich geschlossene
„Indicnbildcr" auflöst, sondern das Ganze als einen noch
unabgeschlossenen Vorgang sieht, erhält diese Arbeit über ihre
Aktualität hinaus etwas prinzipiell Zukunftsweisendes. „Bloße Ansammlung
historisch-philologischer Kenntnisse" oder „die Projektion
spekulativer Indicnbildcr" - und in diesen Gleisen hat sich manches
festgefahren - genügen dazu nicht mehr. Der Prozeß der Durchdringung
, nicht bloßer Anleihen oder apologetischer Abgrenzungen -
ist ein Weg, der für H. letztlich „zur Auseinandersetzung der Philosophie
mit sich selbst" führen muß.

Gerade zu solcher zukünftigen Aufgabenstellung hätte man gerne
vom Vf. noch Ausführlicheres gelesen, als es seine kurzen Anmerkungen
im abschließenden „Epilog" eröffnen. Ich hoffe, ihn richtig zu
verstehen, wenn ich darin eine Forderung an die philosophische Aufgabe
sehe, vergleichbar dem. was uns heute als theologische Aufarbeitung
dieser Themen erwartet, die uns die Traditionen Indiens insgesamt
aufgeben. In dieser Hinsicht ist der Band auch gerade für den
Theologen und Religionswissenschaftler eine wertvolle Lektüre. Aus
der Unvcrbindlichkeit der Betrachtung führt er den Leser zu einer
Art des Beteiligtseins, die eigene Denkvoraussetzungen nicht unveränderbar
festschreibt. Das gilt auch für das moderne indische Denken.
Es ist in vieler Hinsicht bestimmt durch die Rezeption europäischchristlicher
Vorstellungen und Werte. Für H. bedeutet dies jedoch
keineswegs, daß „damit das Gespräch zwischen Indien und Europa
schlechthin im Sinne Europas entschieden wäre" (438). Wenn er feststellt
, daß die Kraft der indischen Tradition in den durch diese Rezeptionsgeschichte
bestimmten Interpretationen und Neudeutungen
nicht aufgeht, ist das nicht nur eine vorsichtige Kritik des Indologen
an solchen Selbstdarstellungen. Darin liegt auch eine Erinnerung
daran, daß in der eklektischen Aufnahme solcher Elemente und mit
ihrem Einbau zugunsten einer universalen, gesamtgeschichtlichen
Selbstauslegung durch den neueren Hinduismus keine abschließende
Endphase der Begegnung erreicht ist. Ob sich solche apologetischen
Entwürfe gegenüber dem Eigengewicht der indischen Tradition behaupten
können, bleibt danach durchaus offen. Dann aber hat sich
auch der christlich-hinduistische Dialog noch auf andere Themenkreise
einzustellen, als sie durch die Repräsentanten des dem europäischen
Denken so nahestehenden modernen Hinduismus abgesteckt
erscheinen. Gerade aus der Interessenlage und mit der Perspektive
dessen, dem der theologisch-missionarische Dialog mit den indischen
Menschen am Herzen liegt, wird man dem Vf. - auch auf Grund
bisheriger Erfahrung in diesem Zusammenhang - zustimmen: „Die
Kraft der indischen Tradition erschöpft sich nicht in der Selbstdarstellung
des modernen Indien. Die Situation des Gespräches ist noch
offen." (438)

Der Band gliedert sich in zwei Teile, von denen der erste „die Suche
nach Indien in der Geschichte der europäischen Philosophie" behandelt
(S. 1-190). Beginnend mit dem Indienbild der Antike wird der Begegnung
des Islam mit indischem Denken ein eigenes Kapitel gewidmet
. Für den Missionswissenschaftler ist der Abschnitt über das Indienbild
der frühen christlichen Mission (S. 52-69) von besonderem
Interesse. Im Zusammenhang der ersten protestantischen Missionare
in Indien wurden die neuesten Arbeiten aus indischer Forschung (z. B.
G. Dharampal, Etüde sur le röle des missionnaires europeens dans la
formation premiere des idees sur finde) nicht mehr berücksichtigt.
Das hätte vor allem im Blick auf den Beitrag Bartholomäus Ziegenbalgs
das durchaus Unzeitgemäße und seine Antizipation eines verstehenden
Interesses gegenüber der damaligen europäischen Einstellung,
in seinem Falle speziell der Haltung der Hallenser, deutlicher werden
lassen. Schwerpunkte der weiteren Behandlung des Themas liegen im
Deismus, in der Aufklärung und in den Anfängen indologischer Forschung
sowie in den Indienbildern der Romantik Hegel und Schopenhauer
sind eigene Kapitel gewidmet. Ein weiteres Kapitel behandelt
die „Ausschließung Indiens aus der Geschichtsschreibung der Philosophie
".

Der zweite Teil der Arbeit umfaßt die Geschichte der Aneignung
europäischer Einflüsse auf Indien und setzt nach einem kurzen Überblick
über die frühe indische „Xenologie" bei Ram Mohan Roy als
dem .Vater des modernen Indien' ein. Gegenüber .mythischer' Überhöhung
dieser Person und ihres Werkes will Vf. eher ernüchternde
Feststellungen in der neueren Forschung unterstützen. Sehr schön
lebendig wird in der deutenden Darstellung H.' die hermeneutische
Situation Ram Mohan Roys, die er in seiner „Mehrsprachigkeit", in
seinem „intcrkulturellen Wirkungshorizont" und in seiner „Stellung
zwischen Selbstbehauptung und Rczeptivität" (244) gegeben sieht.
Mit einem Ausblick auf die Entwicklung im 20. Jahrhundert geht Vf.
dann dazu über, zentrale Themen (Philosophiebegriff, Dharmaver-
ständnis, indische Doxographien und die „Gcschichtslosigkeit" des
indischen Traditionsverständnisses eingehender und kritisch zu
untersuchen. Der von P. Hacker stammende Begriff des indischen
„Inklusivismus als eine für die indische Tradition maßgebliche Form
des Eingehens auf andere Religionen und Weltanschauungen" (430)
wird zum Anlaß genommen, um ihn mit dem „europäischen Universalismus
" zu konstrastieren.

In diesem Zusammenhang sei eine Anmerkung in eigener Sache erlaubt
. Daß in meiner Auseinandersetzung mit dem universalen Gel-