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1983

Kategorie:

Praktische Theologie

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Theologische Literaturzeitung 108. Jahrgang 1983 Nr. 2

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Offenbarung orientiert. Diese kognitiven Aspekte gehen auf primäres
metaphysisches Fragen und Verstehen zurück, wie es sich unter günstigen
Bedingungen schon beim Vierjährigen regen kann. Christliche
Gottesbeziehung ist selbstverständlich auch erlebnisverwurzelter,
reifer Glaube an Jesus Christus und ist lernbereite, aber nicht ver-
balistische Offenbarung für die Bibel. Schließlich ist die reife Religiosität
an einem prosozial reagierenden autonomen Gewissen
erkennbar, das die Voraussetzung für moralisches Verhalten ist, das
Einsichten in die eigene Verantwortung und in schuldhaftes Versagen
ermöglicht und das zur Verhaltensveränderung motiviert.

Diese verschiedenen Aspekte der reifen Religiosität, die wie eine an
bestimmten Menschen beobachtbare Wirklichkeit beschrieben werden
, aber zugleich normativen Charakter haben, werden nun von
Grom wie Lernziele behandelt. Die empirischen Erkenntnisse werden
in dem Sinn herangezogen, daß sie zeigen sollen, welche Faktoren die
gewünschte Entwicklung begünstigen und welche sie stören oder verhindern
. Der kognitive Wachstumsprozeß der Gottesbeziehung kann
z. B. durch Angst und Wunschphantasien oder durch die Vorstellung
von Gott als Macher, Lenker und als körperhaftem Weltraummenschen
fehlgeleitet werden. Die Theorie Piagets über die Entwicklungsstufen
des kindlichen Denkens und Elemente aus der Freudschen
Religionstheorie dienen dazu, die Ursachen solcher Fehlentwicklungen
aufzudecken und Regeln über den günstigen Verlauf der Entwicklung
zu formulieren. Aus ihnen leitet der Verfasser zu allen Einzel-
Aspekten konkrete Ratschläge für das Verhalten des Erziehers gegenüber
den verschiedenen Altersstufen ab und übt Kritik an Praktiken,
welche für die normierten Wachstumsprozesse schädlich sind.

Um das Buch zu würdigen, möchte ich zunächst die Gelehrsamkeit
des Verfassers hervorheben. Es ist ihm gelungen, aus den verschiedenen
, unter sich teilweise gegensätzlichen Betrachtungsweisen der
psychologischen Schulen eine Synthese zu bilden. Vertreter der Lerntheorie
werden von ihm ebenso beachtet wie die Piaget-Schule mit
ihren kognitiv-strukturgenetischen Theorien. Er nimmt Gesichtspunkte
aus den Theorien Freuds ebenso auf wie Auffassungen heutiger
Psychoanalytiker, Neoanalytiker und humanistischer Psychologen
. Wie gründlich er über die psychologischen Schulen Bescheid
weiß, zeigt er in den Anhängen des Buches, in denen er über den
Diskussionsstand auf verschiedenen Forschungsgebieten (Narzißmustheorie
, Piagets und Kohlbergs Stufentheorien, Verhältnis zwischen
Gottesvorstellung, Selbstwertgefühl und Elternwahrnehmung,
ursprüngliches prosoziales Verhalten beim Kleinkind, Verständnis
und Praxis des Bittgebets beim Heranwachsenden) referiert und sich
kritisch mit ihnen auseinandersetzt. Diese Anhänge sind lehrreiche
Einführungen in das jeweilige Problem und Beiträge zur kritischen
Auseinandersetzung.

Wie weit die Gesamtdarstellung Groms diesen Lehrbuchcharakter
für alle Interessierten hat, hängt davon ab, ob man sein Darstellungsprinzip
annehmen kann: dieses Ineinander von empirischer und normativer
Betrachtungsweise. Ich selber habe in dieser Hinsicht Bedenken
. Eine solche Synthese von Antworten auf die Frage „Was muß in
der christlichen Erziehung angestrebt werden?" mit Aussagen über
die Frage „Was läßt sich in der Erziehung überhaupt erreichen?
Welche Faktoren spielen bei der Entwicklung mit?" ist vermutlich
nur für einen offenbarungsgläubigen Forscher (oder für einen naiven
Positivisten) möglich. Die nicht hinterfragte Sicherheit von Wertaussagen
über die reife Religiosität sind doch wohl bei Grom implizit
(manchmal auch explizit) aus dem katholischen Dogma abgeleitet.
Eine Gottesvorstellung, die der Seinigen nicht entspricht, gerät
dadurch schnell unter das Werturteil, sie sei unreif, transzendenzwidrig
oder scheintranszendent. Vitale und heute weit verbreitete
Formen von Religiosität wie die vorkonziliare katholische Volksfrömmigkeit
oder die evangelikal-fundamentalistische Religiosität
kommen entweder in den Beschreibungen der reifen Religiosität nicht
vor oder sind Fehlformen religiöser Entwicklung. Läßt sich aber die
Vielfalt religiöser Wirklichkeit überhaupt erkennen, wenn man von so
genau festgelegten Normen der wahren Religiosität ausgeht?

Die durch normative Vorgaben bedingte Einengung des Blicks auf
die Wirklichkeit zeigt sich m.E. auch in manchen Anweisungen für
die religionspädagogische Praxis. Grom verlangt z. B. von den Erziehern
, daß „das erste ausdrückliche Sprechen von Gott diesen auf
keinen Fall als den allmächtigen Beschützer zeigen soll, den das Kind
in seinen Verlassenheitsgefühlen und Schutzbedürfnissen mobilisieren
kann, sondern als den Guten, den es in seinen Positiverfahrungen
dankbar lobpreisen und auf den es in seinen Bemühungen
um prosoziales Verhalten hören kann." Die Absicht hinter dieser
Anweisung bejahe ich, aber ich meine, mit der Anweisung sei der
durchschnittliche Erzieher überfordert. Denn in Angsterfahrungen
und Grenzsituationen, in denen er von sich selber keine Hilfe mehr
erwartet, ist seine Zuwendung zu Gott emotional am stärksten und
darum für das Kind am spürbarsten. Es dürfte darum auch nicht
zutreffen, daß die von Grom beschriebenen „Ersteinführungen" zu
Schlüsselerlebnissen für das Religiöse werden, sondern die zufälligen
Begegnungen des Kindes mit dem Religiösen, wenn es gewohnheitsmäßig
oder gelegentlich am religiösen Tun von Erwachsenen teilnimmt
. Die durchschnittliche religiöse Entwicklung verläuft nicht so
zielgerichtet, wie der Verfasser es wünscht und mit seinem Buche
fördern will.

Basel Walter Neidhart

Archiv für Religionspsychologie 14, 1980: Keilbach, Wilhelm: Zur Frage
tiefenpsychologischer Religionstheorien (S. 9-18) - Lang, Bernhard: Israels
Propheten im Licht von Sundens Rollenpsychologie (S. 19-27) - Griesl, Gottfried
: Psychoanalyse in der Praktischen Theologie (S. 28-36) - Krenn, Kurt:
Seele und Gewissen (S. 37-44) - Berger, Heribert: Religion und das Kind
(S. 45-52)-Schindler, Johann: Religion und Motivation (S. 53-60)- Popielski,
Kazimierz: Die Bedeutung der „Leitidee" für den Persönlichkeitsaufbau
(S. 61-69) - Oerter, Rolf: Zur Transformation des Religiösen in der modernen
Gesellschaft (S. 70-91) - Gösselbaur, Jakob, u. Volker von Edlinger: Kirchlicher
Konservatismus und Angst (S. 92-121) - Prokop, Heinz: Gedanken zur
„Psychopathologie von Ideologie und Intoleranz (S. 122-135)-Pakesch, E., W.
Pieringer, u. H. Ladenhauf: Religionspsychopathologische Gesichtspunkte der
Zwangsneurose (S. 136-141) - Wittgenstein, Ottokar G.: Mythos und Mytho-
pathologie (S. 142-152) - Muth, Robert: Spätantike Kaisererlässe aus psychologischer
Sicht (S. 153-160)-Stein, Herbert: Gibt es einen gnostischen Narzißmus
? (S. 161-167) - Baumann, Theodor: „Geist" als Bezeichnung für Mystik
(S. 168-191) - Björkhem, örjan: Definitionsprobleme der modernen Mystikforschung
(S. 192-200) - Nilsen, E. Anker: Religion and Personality Integration
(S. 201-211) - Wikström, Owe: A case of „possession" (S. 212-227) - Beii-
Hallahmi, Benjamin: Psychology of Religion - what do we know (S. 228-236) -
Källstad, Thorvald E.: A brand snatched out of fire" (S. 237-245)-Schweriner,
Josef: Strukturen des Bösen (S. 246-253)- Prokop, Otto: Ist Okkultismus eine
Ersatzreligion (S. 254-259)-Oepen, Irmgard: Aberglaube und Parapsychologie
unter dem Dach der Kirche? (S. 260-262)- Hirschlehner, Stefan: Das Problem
der Schuld in der Zeit der Analgetica (S. 263-269) - Hochenegg, Leonhard:
Prophetenwahn bei Schizophrenen (S. 270-276) - Jaworski, Marian: Die Konzeption
der Anthropologie und das Menschenbild bei Karol Wojtyla
(S. 277-292).

Böttcher, Hans: Psychologische Faktoren des Gelingens von Ehe (Diako-
nie8, 1982 S. 154-162).

Goding, Andre: Orthodoxie. «Les jeux de la rationalite et de la regulation
sociale» (Jean-Pierre Deconchy)(NRTh 114, 1982 S. 555-576).

Kuli, Ulrich: Biologische Grundlagen menschlichen Verhaltens (Univ. 37,
1982 S. 183-189).

Messerschmidt, Rosemarie: Aufgaben eines Seelsorgers im Umgang mit Körperbehinderten
(ZdZ 35,1981 S. 379-388).

Mitscherlich, Alexander: Fragen der Ich-Psychologie (Univ. 37, 1982
S. 121-127).

Prinz, Franz: Arbeiterseelsorge in der Bundesrepublik (StZ 107, 1982
S. 125-137).

Scharfenberg, Joachim: Religiöse Elemente in Seelsorge und Beratung
(ZdZ 36, 1982 S. 147-154).
v. Severus, Emmanuel: Elemente christlicher Spiritualität (EuA 58, 1982

S. 85-92).

Ulich, Eberhard: Forschungen der Psychologie über Arbeit und Motivation
des Menschen (Univ. 37,1982 S. 301-306).