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Ausgabe:

1983

Spalte:

133-135

Kategorie:

Systematische Theologie: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Barth, Hans-Martin

Titel/Untertitel:

Wohin - woher mein Ruf? 1983

Rezensent:

Winter, Friedrich

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Theologische Literaturzeitung 108. Jahrgang 1983 Nr. 2

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dem ebenfalls von ihm als Heilsgeschehen bezeichneten Glaubensgeschehen
zu verwischen drohen, ja, wohl den Glauben als den eigentlichen
Vermittlungsakt erscheinen lassen. Ob sich gegenüber einem
hier attackierten geschichtstheologischen und dem hier vertretenen
existential-theologischen fundamentaltheologischen Ansatz nicht
(auch im Sinn des Luthers des Großen Galaterkommentars) ein chri-
' stologischer Ansatz aufdrängt, der sich zwar nicht so leicht als
Anknüpfungspunkt für eine natürliche Theologie anbietet (vgl. S. 26),
aber vielleicht gerade deshalb, weil auf einen systematisch festgelegten
Anknüpfungspunkt verzichtet wird, eine größere Offenheit für den
konkreten Menschen inklusive seiner politischen Lebensbezüge (auch
für die Auseinandersetzung mit dem Marxismus) verspricht? Denn
wo die Ausgangsfrage der Theologie nicht die nach der Identität meines
Ichs ist, sondern die nach der Identität des gekreuzigten mit dem
auferstandenen, zur Rechten Gottes sitzenden und wiederkommenden
Herrn, wo also der übergreifende Charakter des Christusgeschehens
bedacht wird, da ist zwar nicht das sola fide aufgehoben und das
Eschaton nicht vorweggenommen, wohl aber seine Bezeugung nicht
nur durch Worte, sondern auch durch zeichenhaftes Tun möglich,
ohne gleich unter das Verdikt einer theologia gloriae zu fallen. Daß
solche Möglichkeit nicht in den Blick kommt, sondern alles, was
außerhalb der Alternative „messianische" oder existentiale Eschato-
logie liegt, auch betr. der Lutherdeutung, links liegen bleibt (der Name
Iwands fällt überhaupt nicht!), das scheint mir eine bedenkliche
Schranke dieser in der Fragestellung so interessanten Arbeit.

Bonn Walter Kreck

Barth, Hans-Martin: Wohin - woher mein Ruf? Zur Theologie des
Bittgebets. München: Kaiser 1981. 260 S. Kart. DM 32,-.

Worum es theologisch gesehen entscheidend geht, wird im letzten
Teil des Buches klar (4. Dreifaltiges Beten zum dreieinigen Gott,
S. 153-206). Im Unterschied zu einer spekulativ westlichen (H.U. von
Balthasar), orthodox-östlichen und existential interpretierten (H. Ott)
Trinitätstheologie des Gebetes soll es zu einer „anthropologischen
Deutung der Trinitätslehre weitergehen . .. Der glaubende Mensch
befindet sich in einer ,trinitarischen' Situation, die ihm . . . gerade im
Gebet bewußt. . . wird. Er begreift sich als geschaffen, erlöst und zur
Vollendung berufen" (S. 158). Von daher gilt: Gott ist dem Beter im
Geist nahe und ist nicht nur ein ihm gegenüber stehender Dialogpartner
(theistisches Denken). Zugleich geht Gott als Schöpfer und Richter
nicht im Menschen auf (mystisches Denken). „Gott steht so weit
außerhalb des betenden Menschen, wie er ihm innerlich gegenwärtig
ist. Jesus Christus ist der wahre Beter, in dem beides zueinander findet
" (S. 174). Im Geschehen des Gebetes verwirklicht sich Gott selbst
in seiner dreifachen Art, den Menschen zu umgreifen. Und zugleich
verwirklicht sich der Mensch selbst, indem er im Geist zum Vater
durch Jesus Christus betet. Damit ist der heute umstrittene Begriff der
Selbstverwirklichung trinitarisch interpretiert übernommen worden.
- Der Beter lebt in der betenden Gemeinde, die ihn als einzelnen ihn
selbst sein läßt und findet Erhörung in der „eschatologischen Erfüllung
". Gottes Fülle enthüllt sich in der Spannung von Verborgenheit
und Verheißung seines Reiches. „Im Bittgebet selbst fängt Gottes heilvolle
Zukunft an, sich zu verwirklichen" (S. 192). - Die in diesem
Kapitel sich anschließenden „Konsequenzen" im Blick auf den Gottesdienst
, das Gebet des Einzelnen und das Beten als „Dimension des
Lebens" sind nicht sehr stark ausgeführt, enthalten allerdings einige
wesentliche Beobachtungen, die sich freilich nicht zwingend aus den
vorhergehenden Überlegungen ergeben; vgl. z.B. die Forderung nach
dem Schweigen im Gottesdienst (S. 195).

Zur Vorbereitung der Grundthese dient das 3. Kapitel (Das trinitarisch
umgriffene Bittgebet, S. 112-152). In ihm werden biblische Elemente
für ein trinitarisches Gebetsverständnis zusammengetragen,
wobei das Alte Testament besonders kurz zu Wort kommt. Aus einem

theologiegeschichtlichen Überblick wird deutlich, daß es immer wieder
Ansätze zu einem trinitarischen Gebetsverständnis gegeben hat.
Hier wird summarisch vieles erwähnt, ohne daß es möglich ist, sich
auf eine ausführliche Monografie zur Geschichte des christlichen Gebetes
zu berufen (S. 214). Heute sieht Vf. Ansätze zu einer Theologie
des Gebetes bei G. Ebeling (Gebet im Horizont des ersten Glaubensartikels
), K. Barth (Christologische Begründung des Gebets) und
P. Tillich (Gottes Geist als Schöpfer des Gebets). Zwischen ihren
Lehrbegründungen zum Gebet soll es zu einer Synthese im trinitarisch
anthropologischen Denkansatz kommen.

Ein erstes Kapitel dient dazu, vier Begründungsmodelle des Gebetes
vorzustellen: Das Bittgebet als Akt des Gehorsams, die naive Bitte
„um etwas", die Bitte „um Gott", das Bittgebet als Veränderung des
Beters (und seiner Situation). Dabei kommen jeweils typische Autoren
mit bestimmten Gebeten zu Wort, deren Aussagen analysiert werden
(M. Luther, I. von Loyola, Thomas von Aquin, P. Schulz,
G. Otto). Jeweils schließt sich daran eine biblische Begründung an,
eine Reflexion des zugrunde liegenden Gottes- und Menschenverständnisses
, und abschließend wird dann immer die damit sich verbindende
Theorie der Erhörung diskutiert (1. Theologische Begründungsmodelle
des Bittgebets, S. 19-72). Die klaren Ausführungen
gerade in diesem Teil, die auch durch Zeichnungen und Tabellen
unterstützt werden, enden mit einem Ausflug in die Transaktionsanalyse
. Den vier Typen des Bittgebets entsprechen auf Seiten des
Menschen vier Typen des Selbstverständnisses. Eltern-Ich, Kindheits
-Ich, Erwachsenen-Ich und das alle drei Zustände harmonisch
einschließende Ich entwickeln auch bestimmte Neigungen, sich einem
der vier Gebetstypen zuzuwenden.

Ähnlich wie der erste ist auch der nächste Abschnitt aufgebaut und
trägt am stärksten Erörterungscharakter (2. Das Gebetsverständnis
der Religionskritiker, S. 73-111). Kritik am Gottesbegriff schließt
auch immer die These von der Unhaltbarkeit des Gebetes mit ein und
umgekehrt. So werden Gott und das Gebet mit Hilfe psychologischer
Kategorien negativ beurteilt. Das Gebet soll negativ erklärt werden
aus mangelndem Selbstbewußtsein, als falsches Wunschdenken, als
Flucht in die Regression; positiv als Gott nicht weiter benötigendes
Mittel zur psychologischen und moralischen Selbsteinwirkung.

Methodisch geht Vf. in diesem interessanten Teil so vor, daß er
jeweils Beispiele erläutert (T. Moser, K. Tucholsky, F. Nietzsche,
D. Diderot), dann aber auch die Berechtigung der jeweiligen Gebetskritik
positiv wie negativ diskutiert. - Dieser Abschnitt zerläuft dann
etwas in einer Darstellung der sprachanalytischen Beobachtungen des
Philosophen D. Z. Philipps zur Frage, was es bedeutet zu sagen, daß
Gott ein Gebet erhört hat (S. 105).

Gegen Ende der einzelnen Gesprächsgänge im ersten und zweiten
Teil erfolgt immer der Hinweis, daß es zur Klärung der anstehenden
Probleme und ihrer Synthese eines theologisch und anthropologisch
zureichenden Lösungsmodelles bedarf, das Vf. dann, wie gesagt, im
Modell seines trinitarischen Gebetsverständnisses zur Verfügung
stellt. Zum Ganzen des Weges sind Äußerungen in einem vorlaufenden
Abschnitt zu finden: „O. Beten-zu wem?" (S. 11-18).

Mit diesem Buch wird eine beachtliche Monografie zur Frage des
Bittgebetes, ja des Gebetes überhaupt vorgelegt, die sich durch Klarheit
, theologische Durchsichtigkeit und persönlich gedeckte Einsicht
(z. B. S. 190) auszeichnet. „Ich schreibe für die Betenden und Denkenden
" (S. 18). Viel Material ist bereitgestellt worden; vgl. die Anmerkungen
(S. 207-241), die Literaturhinweise (S. 242-250), die verschiedenen
Register (S. 251-260). Das Ganze ist überwiegend verständlich
geschrieben. Auf die ersten beiden Teile wird in den letzten
beiden Teilen Bezug genommen und umgekehrt, auch wenn sie vielleicht
partienweise noch mehr miteinander hätten verschränkt
werden können.

Der Inhalt des Buches ist sehr stark durch die Auseinandersetzung
mit anthropologischen Strömungen der Gegenwart geprägt: (Tiefen-)
Psychologie, Transaktionsanalyse, Sprachphilosophie, Anhänger der
Philosophie Feuerbachs - unter denen freilich marxistische Kritiker