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Ausgabe:

1983

Spalte:

128-129

Kategorie:

Kirchengeschichte: Alte Kirche, Christliche Archäologie

Autor/Hrsg.:

Harnack, Adolf von

Titel/Untertitel:

Kleine Schriften zur alten Kirche 1983

Rezensent:

Irmscher, Johannes

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Theologische Literaturzeitung 108. Jahrgang 1983 Nr. 2

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nes Amtsgebietes, also des römischen Nordafrika, durch römische
Eingriffe nicht beschnitten wurde (S. 57).

Die Verbindung mit der Ostkirche mit ihren Patriarchen in Alexandrien
, Antiochien, Jerusalem und Konstantinopel stand auf noch
schwächeren Füßen. Der römische Bischof stellte für die Bischöfe des
Ostens, zumal nach der Erhebung Konstantinopels zur Reichshauptstadt
, im allgemeinen keine überlegene Größe dar. Nicht die „päpstlichen
" Legaten waren beim ersten ökumenischen Konzil (Nikäa 325)
herausragende Gestalten, sondern Kaiser Konstantin d. Gr. gab entscheidende
Impulse, wie denn die Herrscher auch künftig die großen
Konzile einberiefen. - Immerhin haben im 4. Jh. Damasus und Siri-
cius wesentliche Elemente eines Primates der römischen Kirche geschaffen
. Aus dem Anspruch, daß im römischen Pontifex Petrus in
realer Weise wirke und handle, wurden jurisdiktionelle (sowie dogmatische
, was W. kaum bemerkt) Forderungen abgeleitet und bereits
in Dekretalen, soweit angängig, niedergelegt. Mit Recht kann W. hervorheben
, daß die Pontifices sich in ihrer Diktion dabei weithin an die
kaiserliche Rechtssprache anlehnten. Sprache und Sache gehen
jedoch noch enger zusammen. Und wenn W. sagt, daß es „nach Siri-
cius' Auffassung für die päpstliche Gewalt weder räumliche noch zeitliche
oder personelle Beschränkungen" (S. 143) gab, so hätte eindeutiger
auf den analogen Versuch der Steigerung kaiserlicher (auf Divini-
sierung wie Cäsaropapismus ausgehender) wie „päpstlicher" Macht
(die den monarchischen Episkopat auf sich zuordnen wollte) hingewiesen
werden sollen. Sollte - dies eine Nutzanwendung besonderer
Art - Mailand, das unter Ambrosius (ca. 373-397) ernsthafte Rivalin
der römischen Ansprüche war, dies nicht auch ein wenig in seiner
Eigenschaft als neue weströmische Residenz vermocht haben? Bei
allem Verständnis für Ambrosius' Leistung muß auch auf die allgemeinen
Machtverhältnisse und Einflußsphären geachtet werden. Dies
gilt natürlich auch für das Zeitalter Leos I.

Der bedeutende Papst, vielleicht der erste, der das Prädikat wirklich
verdient, hätte zweifellos (auf seiner Petrusmystik aufbauend) weniger
deutlich gegenüber Konzilen in Norditalien, Spanien, Nordafrika,
Gallien oder Illyrikum auftreten können, wenn das Weströmische
Reich nicht bereits faktisch in Agonie gelegen hätte, so daß ihm auch
wichtige Vermittlerrollen auf weltlicher Ebene - so gegenüber Attila
und Geiserich - zufielen. Natürlich konnten sich die Auffassungen
Leos „von den singulären Vollmachten des Papstes über die ganze
Kirche" (S. 336) auf den Konzilen von Ephesus (449) und Chalcedon
(451) so nicht durchsetzen, zumal Beamte des oströmischen Kaisers
die Synode leiteten und die Legaten Leos von vielen der möglicherweise
etwa 500 Bischöfe (davon nur 5 aus dem Westen) nicht im vollen
Umfang ernst genommen wurden. DerTomus Leos-mit der markanten
Formulierung: „Petrus hat durch Leo gesprochen" wurde
angenommen -, jedoch wohl nur deshalb, weil er letztlich der geltenden
Tradition und der orthodoxen Lehre entsprach. Andererseits
stellte sich die Ostkirche unter Leitung des Bischofs von Konstantinopel
als geschlossener Jurisdiktionsbereich dar. Die Fäden zu Rom
waren eben nicht sehr fest, zumal keiner der östlichen Bereiche, ausgenommen
das Illyrikum, irgendwie von der Kirche Italiens abhängig
war. Übrigens griff Leo in die Bereiche der westlichen Kirchensprengel
, insbesondere in Konzilsangelegenheiten, gern als „befehlender
Oberherr" (S. 312) ein, beließ den teilweise unter germanischen Herrschern
stehenden Kirchen aber auch nicht wenige Elemente jurisdik-
tioneller Eigenständigkeit (auch in Fragen der „causae maiores").

Daß vom Westen wie vom Osten nicht selten an den römischen
Bischof appelliert wurde - vor allem von Abgesetzten oder solchen,
die der Häresie verdächtig waren -, ist verständlich. Die einzelnen
Päpste gewannen durch ihr, gar nicht so häufig erfolgreiches, Eingreifen
dabei immer an Einfluß, an auctoritas. Sie entwickelten eben im
Zuge solcher Verhandlungen, mit leitenden Bischöfen oder mit Pro-
vinzialsynoden, die Feinheit ihrer Kasuistik und ihrer jurisdiktionel-
len Schärfe, wobei - was schärfer als bei W. herausgestellt werden
müßte - gerade eine gewisse Verschwommenheit wichtiger Begriffe
(auctoritas, potestas) mit ihrer ,Belastung' durch jahrhundertelangen

Gebrauch in der römischen Politik und Profanhistorie Möglichkeiten
zu einer Veränderung der Wertigkeit und des Wortinhaltes gab.
Auctoritas kann eben neben Einfluß, Geltung, Autorität auch jenes in
der Übersetzung nicht Faßbare meinen, das bereits Augustus in seinen
Res Gestae (34) absichtlich in einer Zwischenposition zwischen dem
juristisch Greifbaren und dem ganz Unwägbaren belassen hatte2. Sollten
die Päpste so völlig anders verfahren sein? W. zeigt, etwa in seinen
Untersuchungen über die Beziehungen der römischen und der nordafrikanischen
Kirche in der pelagianischen Affäre (sie!), daß er die
Problematik im Grunde auch sieht. Spricht er nur aus Vorsicht nicht
davon, daß Mt 16,18f in der Übersetzung und Umformung mittels der
römischen Amtssprache eben ein anderes Gesicht und Gewicht erhalten
konnte als beim Evangelisten? (Von der Sache her kann auch
gefragt werden, ob ein Erstberufener nicht mehr bedeutet als eine
ganze Gruppe von Spätberufenen.)

Augustinus, selbst ein Mann mit großer Autorität, dürfte mehr als seine
Amtskollegen etwas von der „auctoritas" mitbekommen haben, die sich bei den
römischen Pontifices in jahrhundertelangem Wirken herausgebildet hatte. Insofern
trägt er zwar die nordafrikanischen Konzile mit, die sich gegen den juristischen
Primat des Papstes wenden, zeigt sich in Briefen an die Päpste (177,209)
jedoch als gefugiger. Eine „entscheidende Lehrgewalt" der römischen Bischöfe
erkannte er mit seiner eigenständigen Ekklesiologie freilich auch nicht an.
obwohl er ihnen im Brief 43 (3,7) mit der Formulierung, daß in der römischen
Kirche „Semper apostolicae cathedrae viguit prineipatus" ein erhebliches Zugeständnis
macht oder doch zu machen scheint. Auch konzediert W. anhand von
Augustins Brief 209, in dem der Bischof dem Papst Coelestin I. wegen einer
personellen Fehlentscheidung bußfertig die Bereitschaft zum Rücktritt vom
Amt anbietet, daß der Nordafrikaner (persönlich) offenbar „weder die Erlaubtheit
eines Appells nach Rom noch die Kompetenz des Papstes, in Afrika einzugreifen
" (S. 258) bestritten habe. Freilich bleiben hierzu Fragen ofTen.

Eine Schlußbetrachtung rundet die umfangreiche und aussagekräftige
Arbeit ab, die neben „Ausgewählter Literatur" ein Register sowie
einen aus „Literaturangaben und exkursartigen Anmerkungen"
(S. 376-441) bestehenden Anhang enthält. Erfreulicherweise werden
hier wie in den Anmerkungen zahlreiche Quellentexte, die im Text
meist in Übersetzung erscheinen, im Original zitiert, so daß ein
Nacharbeiten erleichtert wird. Lücken in der deutschen, englischen
und französischen Literaturbenutzung fallen mir auf. Heutzutage
freilich ein kompliziertes und mithin weites Feld.

Halle (Saale) Hans-Joachim Diesner

1/2 Daß Autor wie Leser von den Quellen wie von der Sache her immer wieder
auf das Problem der „auctoritas", insbesondere eben der Päpste, gestoßen
werden, verdeutlicht, wie sehr es noch an einer wirklich klärenden Untersuchung
hierzu fehlt. Wenn W. „auctoritas" oft mit „Autorität" übersetzt, erscheint
dies nicht selten als Notbehelf.

Harnack, Adolf von: Kleine Schriften zur Alten Kirche. Berliner Akademieschriften
1890-1930. Mit einem Vorwort von Jürgen
Dummer. 2 Bde. Leipzig: Zentralantiquariat 1980. XXXIV, 845 S.
u. VI, 908 S. gr. 8" = Opuscula, 9. Lw. M 470,-.

Die wissenschaftliche und geistesgeschichtliche Bedeutung Adolf
von Harnacks (1851-1930) braucht in dieser Zeitschrift, die er mitbegründete
und über Jahrzehnte prägend mitherausgab, nicht hervorgehoben
zu werden; umso mehr aber werden es gerade ihre Leser begrüßen
, daß der anzuzeigende Reprint im Rahmen der verdienstvollen
Reihe „Opuscula" (Sammelausgaben seltener und bisher nicht vollständig
erschienener wissenschaftlicher Abhandlungen. Unter Mitwirkung
von Hans-Holm Bielfeldt und Rudolf Grosse herausgegeben
von Werner Peek) ermöglicht werden konnte.

Das ausführlich gehaltene Geleitwort resümiert den bleibenden
Ertrag der Arbeiten Harnacks zur Alten Kirche, seine bibliographischen
Angaben sind besonders dankenswert. Beigegeben ist ihm eine
eindrucksvolle Porträtzeichnung Harnacks, die dem ihm zeitgenössischen
Künstler Ismael Gentzsch verdankt wird; leider gibt der erste