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Ausgabe:

1983

Spalte:

120-121

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Oberlinner, Lorenz

Titel/Untertitel:

Todeserwartung und Todesgewißheit Jesu 1983

Rezensent:

Holtz, Traugott

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Theologische Literaturzeitung 108. Jahrgang 1983 Nr. 2

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bestimmt auch Lukas' Kompositionsaufgabe entsprechend. Er mußte
Zusammenhänge herstellen, was er vor allem mittels Summarien und
des dramatischen Episodenstils (E. Plümacher) tat, und den Richtungssinn
der Ereignisse deutlich machen, unter anderem durch die
Reden und durch Vor- und Rückverweise (S. 1070- (Zu den Mitteln
gehören wohl auch die Parallelen zwischen Lukasevangelium und
Apostelgeschichte, von denen auf Schneiders Anregung W. Radi,
Paulus und Jesus im lukanischen Doppelwerk, 1975, einen wichtigen
Aspekt untersucht hat.)

Was die Gattung angeht, so nennt Schneider die Apg eine historische
Monographie (wie Conzelmann), betont aber, daß damit Verkündigungsabsicht
nicht ausgeschlossen sei. Die darstellerischen Mittel
stammen weniger aus der profanen als der biblischen und hach-
biblischen jüdischen Geschichtsschreibung. Den Quellenwert der Apg
beurteilt Schneider vorsichtig positiv. Die Chronologie ist vertraut:
Paulus' Bekehrung 31/32 (S. 133, aber 476 Anm. 40?), Apostelkonzil
48/49, Korinth etwa 49-52/53, Verhaftung in Jerusalem 57/58,
Romreise 59/60-60/61 (in der Synopse verschiedener Chronologien
S. 133 ist keine, die das Apostelkonzil auf 43/44 datiert, was immerhin
F. Hahn, Das Verständnis der Mission im Neuen Testament,
1963, 2. Aufl. 1965, S. 77 tut; G. Lüdemann, Paulus als Heidenapostel
I. Studien zur Chronologie, 1979, der alles umwirft, kam zu
spät). Textlich (imponierende Übersicht über die Zeugen S. 154-165)
ist die alexandrinische Form, das heißt Nestle, im allgemeinen
ursprünglich, aber gelegentlich auch die „westliche", z.B. 12,10;
19,9; 20,15; 27,5. Im letzten Paragraphen ist besonders die Wirkungsgeschichte
(u.a. Einfluß aufs Kirchenjahr, S. 180-182) bemerkenswert
. Die bisherige kritische Forschung konnte Schneider dank Haen-
chen, E. Gräßer (ThR 1960, 1976, 1977) und W. Gasque (A History
of the Criticism of the Acts of the Apostles, 1975; dazu ThLZ 104,
1979 Sp. 193-196) kurz fassen (jetzt auch F. Bovon, Luc le theolo-
gien. Vingt-cinq ans de recherches (1950-1975), 1978; dazu ThLZ
106,1981 Sp. 37-39).

Die Auslegung von Apg 1-8 möchte ich lieber zusammen mit dem
zweiten Teil besprechen. Man kann einen Kommentar erst wirklich
beurteilen, wenn man mit ihm gearbeitet hat. Hier wenigstens die
Exkurse des ersten Teils: Die Himmelfahrt Jesu (eine Entrückung,
wesentlich lukanisch, vgl. G. Lohfink, aber vielleicht nicht ganz ohne
Anhalt in der Tradition), Die zwölf Apostel als ,Zeugen', Zitate aus
dem Alten Testament, Pfingsten und der heilige Geist, Petrus in der
Apostelgeschichte, Besitz und Besitzverzicht, Die Wundererzählungen
, Zur Christologie der Apostelgeschichte, Parusie und Parusic-
erwartung. Die Hellenisten und Samaria.

Am Ende stehen Register der griechischen Wörter und der zitierten
antiken Autoren. Solche Register kommen seit einiger Zeit in Kommentaren
vor. Das sollte Schule machen.

Wenn ich mir etwas wünschen darf: Einen Exkurs über Lukas' Sicht
des Judentums und, was nicht dasselbe ist, seine Stellung zu Israel.
Und etwas Zusammenfassendes über Bildung und Weitergabe apostolischer
Tradition und besonders über die Paulustradition der Apg,
abgesehen von den längeren Quellen. Es gibt ja einiges, nicht nur an
den handgreiflichen Punkten wie 13,38f; 15,11 (dazu K.Wurm,
Rechtfertigung und Heil. Eine Untersuchung zur Theologie des Lukas
unter dem Aspekt „Lukas und Paulus", Diss. theol. Heidelberg 1978);
26,16ff. So hält Schneider es für möglich, daß Lukas' Zeugenbegriff
einen Ansatz in paulinischer Tradition hat (S. 230; anderes
S. 102 f. 144). Könnte das nicht auch für Lukas' historische Gesamtperspektive
gelten, nach der sich das Evangelium von Jerusalem
nach Rom ausgebreitet hat (eigentlich schon falsch, es breitet sich
nicht aus, sondern schlägt eine Schneise)? Drängte sich diese Sicht aus
den Dingen auf, wie sie in den achtziger Jahren lagen, oder ist sie
Nachwirkung des Mannes, der sein Amt wie Rom 15,14ff beschrieben
verstand (und dadurch übrigens das Eschaton hinausgeschoben
hatte - erst Spanien, dann die Parusie)?

Heidelberg-Ziegelhausen Christoph Burchard

Oberlinner, Lorenz: Todeserwartung und Todesgewißheit Jesu. Zum

Problem einer historischen Begründung. Stuttgart: Kath. Bibelwerk
1980. 190 S. gr. 8° = Stuttgarter Biblische Beiträge, 10. Kart.
DM 39,-.

Das Buch ist die geringfügig überarbeitete Fassung einer Habilitationsschrift
mit dem Titel „Hat Jesus seine Jünger zur .Leidensnachfolge
' berufen? Zum Problem einer historischen Begründung der
Todeserwartung und Todesgewißheit Jesu", die im SS 1979 der theologischen
Fakultät der Universität Freiburg vorlag. Von diesem
ursprünglichen Titel her erklärt sich der etwas merkwürdige Aufbau
der Arbeit, durch den ein in jeder Hinsicht gewichtiger Teil 2 gerahmt
wird durch zwei je einige Seiten umfassende Teile über „Jüngerschaft
und Leidensnachfolge" und „Jüngerschaft - der vorbehaltlose Dienst
für die Gottesherrschaft in der Nachfolge Jesu". Es ist gut, daß der
jetzige Titel des Buches seinen Inhalt und sein Ziel klar ausspricht.

O. setzt im Hauptteil mit methodischen Überlegungen dazu ein,
daß auch auf dem Gebiet seiner Fragestellung nicht allgemeine Überlegungen
, nicht Möglichkeiten oder gar eine sententia communis
historische Einsicht erbringen können, sondern nur der überzeugende
Nachweis von Tatsächlichkeit, der auf der kritischen Analyse der
Überlieferung beruht. Dem ist nur zuzustimmen, nur zeigt gerade
dieses konsequente Buch mit beeindruckender Deutlichkeit, wie entscheidend
der Kreis ist, in dem die Analyse der Einzelüberlieferung
und die Gesamtbeurteilung des Gegenstandes, dessen Erhebung sie
dient, zusammengeschlossen sind.

In der Durchführung orientiert sich O., wie es seinem gleichsam
negativen Untersuchungsziel entspricht, an den Vorgaben der wissenschaftlichen
Literatur. Das betrifft sowohl die Auswahl der Texte als
auch deren Behandlung, die vornehmlich darauf gerichtet ist, ihre
Beweiskraft hinsichtlich einer Todesgewißheit Jesu abzuweisen oder
zumindest als fragwürdig zu erweisen. Der Vf. geht dabei durchweg
mit methodischer Sörgfalt und verantwortetem Urteil zu Werk, so daß
man seine Erhebungen stets ernsthaft beachten wird. Weder aus dem
Schicksal des Täufers noch aus einer (unbegründet) vorausgesetzten
„galiläischen Krise", noch aus dem Postulat einer allgemeinen Todfeindschaft
der jüdischen Führungsschicht konnte oder mußte eine
Todesgewißheit Jesu erwachsen. Und auch keine Einzelüberlieferung
zumindest aus der Zeit vor den letzten Tagen Jesu in Jerusalem gibt
für sie einen positiven Beleg. Das ist nach O. aber auch deshalb gar
nicht möglich, weil in dieser Zeit keine Veranlassung für die Erwartung
eines gewaltsamen Endes bestand, da Jesus nicht von tödlicher
Feindschaft bedroht war (der „Todesbeschluß" Mk 3,6 wird als
redaktionelle Bildung erwiesen). Erst im Verlauf des letzten Aufenthaltes
Jesu in Jerusalem hat der Wille, Jesus zu vernichten, Gestalt
gewonnen, und ist durch ein geschichtlich kontingentes Zusammenspiel
von Sadduzäern und Römern zur Ausführung gelangt. Den Anlaß
dazu soll ein Tempelwort Jesu gegeben haben (Mk 14,58), dessen
Wortlaut und ursprünglicher Ort freilich nicht mehr genau rekonstruiert
werden können. Die Tempelreinigung dagegen kann nach O.
keine eigene Bedeutung für die Verurteilung Jesu beanspruchen.

Alle Logien, die eine Todeserwartung aussprechen, erweisen sich
O. in solcher Bedeutung als sekundär, mit einer Ausnahme. Allein
Mk 14,25par hält seinem kritischen Urteil stand; er formuliert die
Hypothese, „daß Jesus in der Situation des letzten Mahles schon um
die Pläne seiner Gegner, ihn zu beseitigen, wußte und dieses sein Wissen
im eschatologischen Ausblick, einem ,Trostwort', an die Jünger,
zugleich als Ausdruck der Bereitschaft, den Tod auf sich zu nehmen,
mitteilte" (S. 134). Die Grundlage dieser Hypothese ist eine durchaus
kühn zu nennende Konstruktion!

Auch wenn man O. bei der kritischen Eliminierung einer Reihe
häufig strapazierter Belege für eine Todeserwartung Jesu zustimmen
muß, bleibt doch ein Rest, der seine Gewißheit in Frage stellt. Das ist
einmal die „Leidensweissagung" Mk 9,31 a, zu deren Beurteilung O.
richtig auf die Problematik der Menschensohn-Frage verweist (die er
im Rahmen seiner Arbeit - natürlich - nicht lösen kann); sein Urteil