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Ausgabe:

1983

Spalte:

115-116

Kategorie:

Judaistik

Autor/Hrsg.:

Eschwege, Helmut

Titel/Untertitel:

Die Synagoge in der deutschen Geschichte 1983

Rezensent:

Stemberger, Günter

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Seite 1

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Theologische Literaturzeitung 108. Jahrgang 1983 Nr. 2 116

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Einzelbeobachtung, wird aber den eigenen kritischen Maßstäben und
den eigenen Zielsetzungen nicht voll gerecht. Terminologisch nicht
glücklich ist der Ausdruck "refrain line" bei variierenden und inhaltlich
weiterfuhrenden Wiederaufnahmen (in 11,20-30; XI.3-14;
VII.6-25). Dabei leuchtet speziell bei 11,20-30 die Strukturierung
nicht ein. Was als „Stanza" ABC und als "double line" abgegrenzt
wird, auch was als Übersetzung und Interpretation geboten wird, ist
problematisch. Der Schluß-Satz, als „Coda" angesetzt, ist dem Wortlaut
zwar an Ps 26,12 angelehnt, jedoch kein Zitat, das in Anführungsstriche
gesetzt werden dürfte. Inhaltlich gesehen bilden A mit B und C
mit der sog. closing stanza samt „Coda" je eine Einheit. Es ist unverkennbar
, daß die letzte Doppelzeile der sog. "closing stanza" („Sie
spannten ein Netz mir, es fängt ihren Fuß,/ und Fallen stellten sie mir,
sie fielen darein") ihre unmittelbare sachliche Fortsetzung mit der
Stichwortverbindung rägäl (Fuß) im Schluß-Satz („Coda") findet:
„Aber mein Fuß steht auf ebenem Plan / aus ihrer Versammlung
(Mitte) preise ich Deinen Namen!" Die Neigung zur Überbetonung
der kleinen Stanzas als Schlüsseleinheiten für die Struktur verstellt
teilweise den Blick für den Gedankengang und für den Aufbau im ganzen
. Am besten geglückt und wirklich überzeugend dargelegt sind die
Beobachtungen zu den Eröffnungs-Stanzas (auch in der Zusammenfassung
S. 155ff). Schade, daß der Blick über die Hodajot nie hinausgeht
, nicht einmal in jenen Partien, die klare Entsprechungen in 1QS
haben.

Brühl Johann Maier

Eschwege, Helmut: Die Synagoge in der deutschen Geschichte. Eine
Dokumentation. 2. Aufl. Dresden: Verlag der Kunst [1980] 1982.
204 S.,241 Abb. aufTaf. 4°. Lw. M 38,-; Ausland40,-.

Die Synagoge, überall Mittelpunkt jüdischen Gemeindelebens, ist
auch in Deutschland stets die wichtigste äußere Erscheinungsform
jüdischen Lebens gewesen, der äußere Spiegel der inneren Geschichte
und Entwicklung der Gemeinden, ihrer rechtlichen Lage ebenso wie
ihres Verhältnisses zur nichtjüdischen Umwelt. So ist die von
H. Eschwege vorgelegte Dokumentation des Synagogenbaus in
Deutschland eine wertvolle Ergänzung zu den üblichen Darstellungen
jüdischer Geschichte (inzwischen liegt auch die von Eschwege schon
benutzte Tübinger Dissertation von Harold Hammer-Schenk im
Druck vor: Synagogen in Deutschland, 2 Bde., Hamburg 1981). Das
Buch enthält eine geschichtliche Einleitung (9-56), einen Abbildungsteil
mit ausführlichen Erläuterungen (57-176), Literaturverzeichnis
(177-179), Worterklärungen (180-182), Dokumente zur Geschichte
der Synagoge (183-196) sowie diverse Register.

Die historische Einleitung gibt in der Darstellung der Anfänge der
Synagoge und ihrer Liturgie am ehesten zur Kritik Anlaß, auch wenn
manche Verzeichnung auf die notwendige Kürze der Darstellung zurückzuführen
ist. E. scheint mit der Existenz von Synagogen schon zur
Zeit des ersten Tempels zu rechnen: nur deshalb habe das religiöse
Leben nach 586 keine Unterbrechung erfahren. Hier müßte man
zumindest andeutungsweise die sonst üblichen viel späteren Zeitansätze
erwähnen, wie auch die Angabe der 480 Synagogen in Jerusalem
zur Zeit Jesu deutlich als späte Tradition zu kennzeichnen wäre.
Die Behauptung, das Judentum sei seit dem Exil in seiner sozialen Zusammensetzung
ein Volk ohne Bauern gewesen, das fast ausschließlich
aus städtischen Händlern bestand, ist eine Verkürzung der Tatsachen
; diese Entwicklung ist erst viel später erfolgt. Fragwürdig ist
die Angabe, die Kultsprache der Priester im Tempel sei Aramäisch,
die der Synagoge Hebräisch gewesen. Daß Justinian die Synagogen in
seinem Reich allgemein in Kirchen verwandelte, stimmt nicht; ebenso
befremdet die einseitige Begründung des jüdischen Widerstands
gegen Konversionsversuche damit, daß das eigene Recht „die ökonomische
Grundlage der Juden sicherte und von ihrem religiösen Bekenntnis
praktisch nicht zu trennen war" (12). Die Seiten 9-13 müßten
für eine Neuauflage völlig neu formuliert werden.

Bedeutend besser und im allgemeinen zuverlässig ist die Darstellung
der späteren Entwicklung. Die einseitig ökonomische Begründung
der Judenverfolgungen im Mittelalter (15) ist allerdings eine zu
grobe Vereinfachung. Im Zusammenhang mit dem dreijährigen Lesezyklus
liberaler Synagogen (26) wäre das spätantike palästinische Vorbild
dazu zu erwähnen. Druckfehler dürften die Daten für die Zerstörung
von Dura Europos S. 17 (265 statt richtig 256) und die Zerstörung
des Tempels S. 83 sein (580 statt 586), ebenso S. 99 1938 statt
1838.

Der wertvollste Teil des Buches ist die 241 Abbildungen umfassende
Bilddokumentation. Sie umfaßt eine repräsentative Auswahl
von Synagogen in Deutschland innerhalb der Grenzen nach dem
ersten Weltkrieg; der Schwerpunkt liegt dabei natürlich auf dem
19. und 20. Jahrhundert. Neben Abbildungen von Synagogen und
Bauplänen dafür sind auch Bilder zu den jüdischen Festen und zum
Familienleben aufgenommen, ebenso Dokumente zur Gründung von
Synagogen wie zu ihrer Zerstörung in der NS-Zeit. Die Bildlegenden
sind relativ ausführlich, besonders auch in der Baubeschreibung.
Allerdings sind auch hierzu kritische Anmerkungen nötig. Daß die
Synagoge von Worms von Kreuzfahrern beschädigt bzw. zerstört
wurde (58), ist durchaus nicht sicher (siehe dagegen Germania Judaica
I, Tübingen 1963, 4440; daß Raschi dort eine Talmudhochschule
leitete (59), ist bloße Legende; daß es in München schon kurz nach
seiner Gründung ein „Judengäßlein" gab (128), ist nicht belegbar (erst
im späten 13. Jh.). Die Stiche zu den jüdischen Festen sind nicht
immer genügend erklärt, bei Abb. 79 ist z. B. nicht gesagt, daß es das
Versöhnungsfest ist. Auch stört, daß von jüdischen Bräuchen immer
in der Vergangenheit gesprochen wird, als ob es sie nicht mehr gäbe.
Manche Bilder sind nur aus dem Abbildungsverzeichnis im Anhang
zu identifizieren (z. B. Abb. 91. 92. 95); auch müßte oft deutlicher
sein, welche Beschreibung zu welchem Bild gehört. In der Liste S. 197
zu Abb. 33 und 34 ist wohl links das Aquarell, auch 76 und 77 scheinen
in der Beschreibung vertauscht zu sein. Woher Abb. 213 stammt
(Flugblatt, Zeitung, Plakat?), ist überhaupt nicht angegeben. Daß die
ästhetische Bewertung einzelner Bauten individuell ist, versteht man
hingegen. Aus den Abb. 161-169 ist mir z. B. das hohe Lob für die
Synagoge von Essen durchaus nicht einsichtig.

Trotz dieser Kritiken im Detail des Textes muß man dem Verfasser
für die sehr gut ausgewählte Bilddokumentation dankbar sein; die
Bildunterlagen zu sammeln war gewiß kein einfaches Unternehmen.
Der erstaunlich niedrige Preis des gut ausgestatteten Bandes wird
gewiß zu seiner Verbreitung beitragen und somit das Judentum in
einem wichtigen Punkt tiefer verstehen lassen. Vielleicht regen die
obigen Anmerkungen auch zu einer Überarbeitung des Textes für eine
zu erwartende Neuauflage an.

Wien Günter Stcmberger

Bethge, Eberhard: Dietrich Bonhoefler und die Juden (ZdZ 36, 1982
S. 105-112).

Carlson, David C: Vcngeance and,Angehe Meditation in Testament of
Moses9and 10(JBL 101,1982S. 85-95).

Gero, St.: Henoch und die Sibylle (ZNW 73,1982 S. 148-150).

GM, Moshe: The Tustaris. Family and Scet. Tel-Aviv: Kamai Press 1981.
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Lapidc, Pinchas: Mit einem Juden die Bibel lesen. Stuttgart: Calwer;
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Petuchowski, Jakob J.: Wie unsere Meister die Schrift erklären. Beispielhafte
Bibelauslegung aus dem Judentum, aus der „Biblia Rabbinica" ausgewählt,
übers, und erläutert. Freiburg-Bascl-Wien: Herder 1982. 144 S. 8'.
DM 16,80.

Schonewald, Jacobus: Der gegenwärtige Stand des christlich-jüdischen Dialogs
. Zum Gedenken an James Parkes (1896-1981). (MDKI 33, 1982
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Stadelmann, Helge: Ben Sira als Schriftgelchrter. Eine Untersuchung zum
Berufsbild des vor-makkabäischen Sofer unter Berücksichtigung seines Verhält-