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Ausgabe:

1983

Spalte:

106-107

Kategorie:

Religionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Khoury, Adel Theodor

Titel/Untertitel:

Toleranz im Islam 1983

Rezensent:

Tröger, Karl-Wolfgang

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Theologische Literaturzeitung 108. Jahrgang 1983 Nr. 2

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durch Einzelanweisung ausführlich ergänzt. Dem Verhältnis von
äußerem Tun und innerer Absicht wird, nachgegangen wie den
Formen der Rechtsfindung.

Günther Dietz-Sontheimer untersucht die Ethik im Hinduismus
. Bekannte und weniger geläufige Quellen werden von ihm kundig
interpretiert, die Karma-Theorie, die Kasten-Ordnung, der sattva-
und der dharma- Begriff sind weitere Themen seiner Studie. Was
besonders interessant ist für den europäischen Leser, ist der Hintergrund
des modernen Indiens, auf den mit seiner kaum zu fassenden
Fülle immer wieder Bezug genommen wird.

Faszinierend gelingt es J. Duncan M. Derrett in seinem Beitrag
„Gesetz und Moralität in orientalischen Religionen", herkömmliche
Mißverständnisse der westlichen Welt dem Leser bewußt zu machen.
Er will keine vergleichende Untersuchung in asiatischen Systemen
vorlegen, gar über vergangene Stadien dieser Systeme. Er geht der
Fragwürdigkeit von Verallgemeinerungen nach. Eigenarten, die,
ungeschrieben, Wertvorstellungen der Völker bestimmen, werden benannt
. Vf. zeigt, wieweit einzelne Religionen versuchten, die Gesetze
der Gesellschaft nach ihren Prinzipien zu gestalten und wieweit nicht.
Wenn hier, neben dem Judentum, noch einmal Buddhismus, Islam,
Hinduismus untersucht werden, ergeben sich doch keine Doppelungen
zu den entsprechenden anderen Studien des Handbuchs. Probleme
, die sich für die Kirche ergeben, wenn staatliche Gesetze ein
Verhalten erlauben, das nicht zur (bisherigen) Lehre paßt, werden nur
gestreift, aber zu lesen, wie andere Religionen mit ähnlichen Problemen
umgehen, ist schon aufschlußreich.

Tritt bei diesem materialreichen Beitrag die systematisch-theologische
oder -philosophische Fragestellung zurück, so ist Carl Heinz
Ratschows Studie „Von der Frömmigkeit. Eine Studie über das
Verhältnis von Religion und Sittlichkeit" ausgesprochen systematisch
-theologisch. Er geht von der Beobachtung aus, daß im Christentum
in den letzten 50 Jahren die Frömmigkeit zunehmend zerfalle.
Gleichzeitig zerfielen herkömmliche Gestaltungen wie Familie und
Ehe. Dennoch ersterbe nicht religiöses Suchen, ja religiöse Erfüllung.
Von der Aufklärung und von technisch ermöglichtem Lebensvollzug
her solchen Zerfall herzuleiten, sei ungenügend. Dem geht Vf. bei
Plato, Kant, Schleiermacher, N. Hartmann nach. Er versucht, das
Problem in der Zweideutigkeit des Gesetzes zu verwurzeln. Christentum
wie früher Buddhismus hätten eine Ethik aus ihrer jeweiligen religiösen
Mitte heraus entwickelt (Nachfolge bzw. Befreiung aus dem
Kreislauf der Geburten), beide Religionen kennten aber daneben eine
anders motivierte Ethik: eine natürliche Sittlichkeit, die im Dekalog
bzw, dekalogähnlichen Geboten sich ausspreche. Daß das buddhistische
Verbot des Tötens oder des Stehlens dem Grundanliegen des
Buddhismus widerspreche, es sei ja lebensfördernd, ist ein ungewohnter
Gedanke, er wird auch von den Darstellungen des Handbuchs
nicht im mindesten nahegelegt (der Verzicht auf Diebstahl schützt ja
den potentiellen Dieb eher vor dem Begehren, als daß der Erhalt des
Eigentums im Blick wäre), im Christentum käme nun aus der Spannung
zwischen Nachfolgeethik und gewissermaßen natürlichem Dekalog
das Problem, daß jeweils der eine Pol den anderen in sich verschlingen
könne. Aus den Verschiebungen im Nebeneinander von
Nachfolge-Sittlichkeit und Gebots-Moral sei der Zerfall von Frömmigkeit
im Christentum der Neuzeit, z. B. das Schwinden des Tischgebets
, herzuleiten. Da nicht Aufklärung, nicht Industriewelt, nicht
sog. Säkularisierung, sondern Verstellungen innerhalb des Glaubens
verantwortlich seien, sei mit der Neubesinnung hier einzusetzen.
Solcher Neubesinnung dient die genannte inhaltsreiche Studie auch
dem, der einzelnes anders akzentuieren möchte.

Wilhelm Dupre legt eine Studie unter dem Titel vor: „Kultur und
Ethos. Zum Problem der Sittlichkeit in Primitivkulturen". Hier führt
uns ein kundiger Gelehrter nicht eine Fülle von Material aus verschiedenen
Kulturen vor Augen, er setzt tiefer an und erörtert die Ver-
stehensmöglichkeiten unseres Bewußtseins für Gestaltungen aus einer
-Primitiven" Bewußtheit. So kann der Leser nicht letztlich unverstandene
Materialien sammeln, ihm wird ein etwas mühsamer, aber

fruchtbarer Versuch des Mit-Denkens, des Sich-Hinein-Denkens abverlangt
.

Das Buch ist ein wesentlicher Beitrag. Die Druckfehler sind unbedeutend
. Bei der Lektorierung sollte auf das grammatische Geschlecht
der Sanskrit- und Pali-Wörter geachtet werden, sonst ergeben sich
Fatalitäten, die einem maskulinen „corpus" entsprächen. Nyanati-
lokas Pluralbildung „Sutten" sollte nicht aufgegriffen werden, schon
gar nicht, daraus abgeleitet, „die Sutte".

Rostock Peter Heidrich

Khoury, Adel Theodor: Toleranz im Islam. München: Kaiser; Mainz:
Grünewald 1980. 220 S. 8° = Entwicklung und Frieden, Wissenschaftliche
Reihe, 22. kart. DM 22,50.

Das Buch enthält einerseits wesentlich mehr, andererseits aber auch
weniger als der Titel vermuten läßt. Es behandelt das Thema „Toleranz
" nicht bloß allgemein, sondern sehr konkret und detailliert,
indem es zunächst vom Koran aus und dann im Rahmen des islamischen
Rechtssystems allen Verästelungen islamischer Grund-Sätze
unter dem Gesichtspunkt der Toleranz nachgeht. Dabei kommen
natürlich die frühislamischen Verhältnisse zur Sprache. Aber das
Buch ist keine Geschichte der Toleranz im Islam von den Anfängen
bis zur Gegenwart, sondern eine systematische Darstellung dessen,
was Toleranz für Muslime im Verhältnis zu ihrer Umwelt bedeutet,
und zwar in einem umfassenden Sinne, der alle gesellschaftlichen Bereiche
einschließt. Dementsprechend ist die Abhandlung gegliedert.

Teil I „Die Toleranz im Frühislam" enthält drei Kapitel. Das erste
Kapitel „Religionsfreiheit und Toleranz in den Aussagen des Korans"
behandelt die Religionsfreiheit als solche unter koranischen Prämissen
, sodann „die Frage nach der Freiheit, einen einmal angenommenen
Glauben wieder abzulegen" (17) und schließlich das Verhält-
■ nis der Muslime zu Nichtgläubigen und Andersgläubigen, speziell zu
den Juden und Christen. Im Kapitel 2 „Der Medina-Staat. Muhammad
und die Nicht-Muslime" geht es üm Muhammads Stellung zu
den Juden und seine Abkommen mit Nicht-Muslimen. Kapitel 3
„Der Medina-Staat. Die rechtgeleiteten Khalifen und die NichtMuslime
" ist den Verträgen der ersten Khalifen und ihrem Verhalten
gegenüber Nicht-Muslimen „als Norm des späteren Gesetzes und
Grundlage der in späteren Zeiten erarbeiteten rechtlichen Bestimmungen
und Begründungen" (69) gewidmet. Hier wird auch das
Umar-Abkommen mit seinen verschiedenen Versionen besprochen,
und es werden wichtige Fakten über die Behandlung der christlichen
Gemeinschaften und der Christen als Bürger im islamischen Staat
mitgeteilt (Theorie und Praxis).

Teil II „Die Toleranz im islamischen Rechtssystem" geht zunächst
im Kapitel 4 auf die „Hauptquellen des islamischen Rechtssystems"
ein (Grundlagen des islamischen Gesetzes; Moral und Gesetz; die vier
Rechtsschulen; Grundbegriffe des islamischen Rechts). Es folgen in
Kapitel 5 wichtige und weitausholende Ausführungen zum sogenannten
„Heiligen Krieg" / Djihad (Aufteilung der Welt in „Gebiet des
Islams" und Gebiet der Nicht-Muslime; Bestimmungen für diese Gebiete
; zum Begriff Djihäd: Einsatz für die Sache des Islam in verschiedenen
Formen; Apostasie-Problem). In Kapitel 6 geht es um die „Beziehungen
des islamischen Staates zu fremden Ländern in Friedenszeiten
" (Abkommen; diplomatische und Handelsbeziehungen;
Muslime in nicht-islamischen Ländern, Nicht-Muslime in islamischen
Ländern). Die folgenden 5 Kapitel (7-11) sind der Behandlung
der Dhimmis gewidmet, d. h. aller derjenigen Gruppen und Personen,
die auf Grund von Abmachungen den Schutz der Muslime genießen.
Kapitel 7 behandelt den „Status der Dhimmis im Gebiet des Islams"
(Rechte und Pflichten der Dhimmis), Kapitel 8 „Die Religionsfreiheit
der Dhimmis" (Kultus und religiöse Erziehung, Kultgebäude, Stellung
der Leiter der Religionsgemeinschaften), Kapitel 9 „Die rechtliche
Stellung der Dhimmis im islamischen Staat" (Besuch von
Moscheen, Familienrecht, Mischehenfrage, Erb-, Prozeß-, Strafrecht,
Militärdienst), Kapitel 10 „Die wirtschaftliche Stellung der Dhim-