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Ausgabe:

1983

Spalte:

99-102

Kategorie:

Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Achten, Gerard

Titel/Untertitel:

Die theologischen lateinischen Handschriften in Quarto der Staatsbibliothek Preussischer Kulturbesitz Berlin 1983

Rezensent:

Karpp, Gerhard

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99

Theologische Literaturzeitung 108. Jahrgang 1983 Nr. 2

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Und im Referat über den „Zufall als religionsphilosophische Frage"
gewinnt die Vision der Providentia dei liberalis dann vielleicht ihren
stärksten Ausdruck, wenn Neuenschwander sowohl die Modelle einer
verabsolutierten Notwendigkeit als auch des verabsolutierten Zufalls
zurückweist zugunsten der Chiffre des Gottes, der in seiner gütigen
Vorsehung den Zufall und das Böse in Kauf nimmt um der Chance der
Freiheit willen: „Der Gott der Freiheit, der den Zufall wie das Böse in
Kauf nimmt, ist nicht der würfelnde Gott, der gleichgültig Schicksal
spielt; sowohl der allverwaltende Gott wie der würfelnde Gott sind
ungenügende Chiffren, um die Wirklichkeit auszudrücken. Es sind
beides Chiffren einer unmenschlichen Welt.

Dem stellt sich gegenüber die Chiffre des Gottes als Lebendigkeit,
der die Schöpfung als lebendigen Prozeß wollte. Damit ist die unerhörte
Fülle des Reichtums gegeben, die uns an der Welt immer wieder
fasziniert, aber auch die Tragik und die Verzweiflung des Sinnlosen
im Kleinen und im Großen, wie sie durch den Zufall und das Böse
möglich sind und wirklich werden.

Solche Chiffren dienen der Interpretation des Ganzen, sie sind als
solche aber nicht im einzelnen verifizierbar und deshalb nicht als wissenschaftlich
präzise Aussagen zu verstehen, sondern als Interpretationsmodell
, um sich in der existentiellen Welt zu orientieren. Das
würde also bedeuten, daß der Zufall bejaht würde, aber nicht als das
letzte Grundprinzip der Welt, sondern gleichsam als sekundäres Prinzip
, das gewaltige, zum Teil unheilvolle Folgen zeitigt, das in seinem
Funktionieren durch die Wahrscheinlichkeitsrechnung beschrieben
werden kann, das aber letztlich als Basis dient für die unerhörte
Chance des Lebens und der Freiheit, - des verantworteten Lebens und
der verantworteten Freiheit" (251 f).

In dem uns so also von Gott selbst aufgetragenen Kampf gegen das
malum brauchen wir Christen Bundesgenossen. Da ist es m. E. hilfreich
, wenn Neuenschwander, wie schon im Schlußwort seines
Buches „Denker des Glaubens" drei mögliche Selbstverständnisse des
Menschen unterscheidet: „Der Mensch kann sich verstehen als verdankte
Existenz, als geforderte Existenz oder als beliebige Existenz.
Die drei Existenzauslegungen schließen sich nicht gegenseitig einfach
aus, entscheidend ist die Rangordnung. Der Glaube ist es, der sich primär
als verdankte Existenz versteht. . . Das Verhältnis der drei Partner
ist dialektisch. Der beliebigen Existenz gegenüber stehen verdankte
und geforderte Existenz zusammen als engagierte Existenz.

Der verdankten Existenz gegenüber aber treten geforderte und beliebige
Existenz als die Formen des Nichtglaubens im evangelischen
Sinne.

Beliebige Existenz ist eigentlich atheistische mit mehr unverbindlich
-ästhetischem oder mehr nihilistischem Einschlag" (200). Zur
geforderten Existenz gehört nach Neuenschwander neben gesetzlicher
Frömmigkeit ausdrücklich auch der atheistische Humanismus. Damit
eröffnet sich ein breites Spektrum des Bündnisses engagierter Existenzen
im Kampf gegen das malum.

Mit Absicht habe ich einige der Grundgedanken Neuenschwanders
ausführlicher und ihn selbst ausgiebig zu Wort kommen lassend vorgestellt
und auf anderes, durchaus für ihn auch wesentliches dafür verzichtet
, etwa seine Beiträge „Zum Problem der Toleranz" (Zwischen
100-109), „Glaube und Unglaube als Grundformen menschlicher
Existenz" (220-232), oder seinen Beitrag zu einem interdisziplinären
Seminar des Collegium Generale der Universität Bern vom 8. Mai
1977 „Gotterfülltes und gottleeres Universum" (253-263). Denn
wirklich fruchtbar werden seine mannigfachen Anregungen für uns
wohl immer nur dann werden, wenn wir als Leser in das unmittelbare
Gespräch mit ihm selbst eintreten, wozu dieser Gedenkartikel anregen
wollte.

Als Praktischem Theologen sei mir abschließend die Anregung
gestattet, daß seine Predigten, die, auch soweit sie gedruckt vorliegen,
nur schwer zugänglich sind, in einem handlichen Auswahlband einem
breiten Leserpublikum erschlossen werden möchten, denn der so
unerbittliche Kritiker allzu vollmundiger Theologie konnte, ohne im
geringsten schizophren zu werden und die von ihm uns so nachdrücklich
ans Herz gelegte Wahrhaftigkeit zu verletzen, sehr positiv und
hilfreich predigen.

Nach Neuenschwanders Darstellung ist „die Wendung zu Paulus"
eines der Kennzeichen der neuen liberalen Theologie. So sei an das
Ende dieses Gedenkartikels ein Wort des großen Völkerapostels
gesetzt, das mir für Neuenschwanders Grundhaltung als Theologe
recht kennzeichnend zu sein scheint: „Jetzt sehen wir in einem Spiegel
nur undeutliche Bilder, dann aber von Angesicht zu Angesicht.
Jetzt ist mein Erkennen Stückwerk; dann aber werde ich erkennen,
wie auch ich ganz erkannt worden bin. Nun aber bleiben Glaube,
Hoffnung, Liebe, diese drei, die größte unter diesen aber ist die
Liebe."

Allgemeines, Festschriften

Achten, Gerard: Die theologischen lateinischen Handschriften in
Quarto der Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz Berlin.

Teil 1. JVIs. theol. lat. qu. 141-266. Wiesbaden: Harrassowitz 1979.
250 S. 4' = Kataloge der Handschriftenabteilung/Staatsbibliothek
Preußischer Kulturbesitz: Reihe 1, Handschriften; Bd. 1, Lw.
DM 90,-.

Mit diesem Band eröffnet die Handschriftenabteilung der Staatsbibliothek
Preuß. Kulturbesitz in Berlin (West) eine neue Katalogreihe
für die Handschriften (Hss.). Schon die 1977 begonnene Reihe
„Nachlässe" (bisher G. Hauptmann und J. G. Herder) hatte den Fortgang
der seit langem vorbereiteten Katalogisierung angezeigt. Die Eröffnung
einer weiteren Reihe für Inkunabeln, Einblattdrucke, Flugschriften
u. a. wird erwogen.

Zugleich gehört der neue Band zu den etwa 70 Hss.katalogen, die
seit 1960 durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft gefördert wurden
, nachdem diese die Katalogisierung mittelalterlicher abendländischer
Hss. in ihr Förderungsprogramm aufgenommen hatte. Die
dort durch den Unterausschuß für Hss.katalogisierung entwickelten

und in den bisherigen Katalogen (mehrere Bände jeweils für Stuttgart,
Nürnberg, Hamburg, Darmstadt, Frankfurt/M., München SB und UB
u. a.)angewandten Richtlinien (1974 in 2. Aufl. erschienen) bestimmten
Aufbau und Methode der Beschreibungen auch dieses Bandes. Der
Inhaltsbestimmung eines Codex geht somit jeweils eine gründliche
Beschreibung des Äußeren (von Wasserzeichen-, Lagen- und Schriftbestimmung
bis hin zum Einband, und ggf. künstlerischem Buchschmuck
) und der Provenienz und Geschichte der Hs. voraus.

Dem vorliegenden Katalog theologischer Hss. kommen insbesondere
G. Achtens umfassende Kenntnisse der mittelalterlichen Geisteswelt
und speziell des spätmittelalterlichen Ordens- und Universitätslebens
sehr zugute, wie z. B. die Beschreibungen der komplizierten
Sammelhss. der Erfurter Kartäuser zeigen. Dieser neue Katalogband
schließt sich - trotz modifizierter Methodik - als Ganzes dem besonders
von V. Rose beispielhaft gearbeiteten Katalogwerk der Berliner
lateinischen Hss. (5 Bände, 1893-1919) gut an. Dies ist wichtig, da er
die von Rose nicht schon unter den „Codices electorales" beschriebenen
Hss. der Theol. lat. quart.-Reihe enthält. Rose hatte nämlich
von den 381 Hss. dieser Reihe 178 aus Gründen des Alters, der Provenienz
und des Besitzstandes der Kurfürstl. Bibliothek bei der Veröffentlichung
seiner Kataloge vorweggenommen, in denen vor allem