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Ausgabe:

1983

Spalte:

921-923

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Arens, Edmund

Titel/Untertitel:

Kommunikative Handlungen 1983

Rezensent:

Schmidt, Heinz

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Seite 1, Seite 2

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Theologische Literaturzeitung 108. Jahrgang 1983 Nr. 12

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Gefahren einer bloßen theologia naturalis zu vermeiden. Vgl. hierzu
die wichtige Auskunft des Verfassers S. 67: „Der mündige Mensch
kann nicht mehr natürliche Theologie, sondern er muß Theologie der
Natur treiben. Es geht nicht darum, wie der Glaube, sondern wie die
Schöpfung gerettet wird"). Sicher gilt (92): „Die ethische Frage kann
nicht abstrakt gelöst werden." Zugleich wird es aber weithin ein Kriterium
der theologischen Brauchbarkeit ethischer Theoriebildung sein,
in welchem Ausmaß sie Handreichung zur Lösung konkreter,
anstehender Probleme und zur Aufhellung der Situation sein kann.

Die „Kursbestimmung" des Vf. hat unserer Meinung nach gerade
hier zu recht einleuchtenden Ergebnissen geführt. Vor allem bleibt
zum Schluß auch seine einfache, zur Reife durchgearbeitete Sprache
zu rühmen. Angesichts der schwierigen durchdachten Problemfelder
ist die einfache Klarheit der Sprache keineswegs selbstverständlich.
Bei Gelegenheit begegnet im Buch (110) der schöne, an die bekannte
Tillichsche Prägung erinnernde Ausdruck: „Mut zur Schöpfung". So
könnte man auch die gesamte, inhaltsreiche Aufsatzsammlung überschreiben
.

Raisdorf b. Kiel Eberhard Wülfel

Praktische Theologie: Allgemeines

Arens, Edmund: Kommunikative Handlungen. Die paradigmatische
Bedeutung der Gleichnisse Jesu für eine Handlungstheorie. Düsseldorf
: Patmos 1982. 424 S. 8" = Patmos Paperback. Kart.
DM 48,-.

In der Gleichnisauslegung stehen sich heute metapherntheoretische
und pragmatisch-argumentationstheoretische Auffassungen gegenüber
. In Fortschreibung der pragmatischen Theorien schlägt die
Arbeit eine Integration beider Richtungen auf „fundamentalpragmatischer
" Basis vor. Ausgangspunkt sind ein Verständnis von Texten
als kommunikative Handlungen und ein pragmatisches Interesse an
der Analyse kommunikativer Strukturen im Hinblick auf eine vorausgesetzte
Normativität kommunikativer Basisstrukturen. Ziel ist die
Explikation einer pragmatischen Gleichnistheorie als paradigma-
tischer Einführung in eine „praktisch-fundamentaltheologische
Handlungstheorie", die in Gleichnissen „innovatorische Sprachhandlungen
" Jesu, d. h. genauer „narrative" fiktional-metaphorische
Argumente Jesu zur Rechtfertigung seines Verhaltens und zur
Begründung seines Wahrheitsanspruchs sieht. Den mit linguistischen
und handlungstheoretischen Ansätzen nicht vertrauten Leser könnten
die genannten Schlüsselbegriffe abschrecken, weil sie die Notwendigkeit
signalisieren, sich in umgangssprachlich schwer vermittelbare
Wissenschaftstraditionen einzuarbeiten. Mit einer verständlichen
Sprache und einer anschaulichen historisch-genetischen Darstellung
der Theorieentwicklung hilft die Dissertation diese Schwelle zu überwinden
.

Die Befürchtung, die theologische Hermeneutik könne die politische
und soziale Stoßkraft der lebenspraktisch wirksamen Theologie
Jesu verdunkeln, begleitet den Verfasser bei der Durchsicht der
Gleichnisforschung der letzten hundert Jahre. Er unterscheidet historische
(u. a. Jülicher, Jeremias, Linnemann), existentiale (Fuchs, Jün-
gel, Eichholz) und linguistisch-literaturwissenschaftliche (Bultmann,
Via, Güttgemans, Crossan) Theorien. Obgleich die im wesentlichen
von P. Ricoeur inspirierten metapherntheoretischen Ansätze
(Aurelio, Weder) Elemente der drei genannten Theorien bereits
integrieren, stehen sie dank ihrer dominierenden linguistisch-literaturwissenschaftlichen
Ausrichtung in der Gefahr einer Enthistorisie-
rung und Poetisierung der Botschaft Jesu. Dem soll ihre Einbindung
in eine pragmatisch orientierte Handlungstheorie abhelfen. Zu diesem
Zweck stellt Arens im umfangreichsten (III.) Teil seiner Arbeit die
pragmatische Theoriebildung von ihren philosophischen Anfängen
bei James und Dewey mit besonderem Schwerpunkt bei der linguistischen
Pragmatik dar (Peirce, Morris, Austin, Searle, J. Schmidt). Hervorzuheben
ist die Neuerschließung der pragmatisch orientierten
materialistischen Sprachtheorie, besonders die durch Volosinov
herausgestellte Funktion von Sprache und Ideologie für die Konstitution
der zwischen materieller Basis und Überbau angesiedelten
„Interaktionsverhältnisse". Die vergleichende Diskussion der Theoriebildung
von Apel und Habermas führt schließlich zum Vorschlag
einer die Universalpragmatik des letzteren und die Transzendentalpragmatik
des ersteren noch einmal reflexiv aufnehmenden „Fundamentalpragmatik
als Fundierungsinstanz", die die Konstitutiva der
immer schon vorgegebenen kommunikativen Lebensform in Akten
transzendentaler Reflexion erfaßt. Der Begriff Fundamentalpragmatik
anstelle der Apelschen Transzendentalpragmatik nimmt das
Anliegen von Habermas ernst, in der Universalpragmatik den Gegensatz
zwischen transzendentaler und empirischer Analyse aufzuheben.
Der Vorschlag kann allerdings auch nicht die oft formulierte Streitfrage
lösen, ob über eine Normierung von Interaktionsstrukturen in
der idealen Sprechsituation Kriterien zur inhaltlichen Beurteilung
von Normen, Werten und Sinnmustern gewonnen werden können.

Seinen eigenen Ansatz einer pragmatischen Gleichnistheorie entfaltet
Arens über drei Elemente: die fiktional-metaphorischen Gleichnistexte
dienen als Kommunikationselemente zwischen Subjekten,
die über das lebenspraktisch realisierte und sprachlich explizierte
Verständnis der Gottesherrschaft diskutieren. Ausgehend von der von
Habermas so genannten „Doppelstruktur" der Sprechakte (illokutive
und propositionale Funktion) gelten die Gleichnisse als innovatorische
Sprachhandlungen Jesu, die eine neue Verständigung zwischen
Jesus und seinen pharisäischen Gegnern über die Gottesherrschaft
ermöglichen sollen, weil Jesus durch sein Verhalten die vorher unproblematische
kommunikative Praxis in dieser Sache in Frage gestellt
habe. Gleichnisse seien demzufolge „quasi-diskursive" Rede, womit
sowohl gegen einseitig den argumentativen Charakter betonende
Gleichnistheoretiker wie gegen ausschließlich analogisch-metaphorische
Interpreten eine Verbindung von Argumentation, Analogie
und Ideologiekritik betont wird. Arens nimmt die Integration der drei
Gesichtspunkte eindeutig von der Argumentation her vor, weil er die
Funktion der Gleichnisse vor allem in der diskursiven Rechtfertigung
der Praxis Jesu aus seinem Selbst- und Gottesverständnis mit dem Ziel
eines neuen Einverständnisses sieht. Jesus ringt mit seinen Kontra^
henten um Verständigung, „indem er ihnen metaphorisch-ironisch-
verfremdend die Unsinnigkeit ihres an partikulare Interessen und
Normen gebundenen Verhaltens aufzeigt angesichts der - in der
Sprache der Theorie kommunikativen Handelns - Universalität,
Egalität und Reziprozität menschlicher Kommunikation als Bedingung
und normatives Fundament des Menschseins, jesuanisch gesprochen
im Angesicht der mit ihm hereinbrechenden Gottesherrschaft, in
die alle eingehen sollen, systematisch-theologisch gewendet, angesichts
der Universalität des Heilswillens Gottes".

Die Interpretation der Gleichnisse als Argumente in Jesu konkreter
historischer Auseinandersetzung verschärft die Frage nach ihrer Relevanz
für spätere, die Jeremias und Linnemann nicht befriedigend
lösen konnten, die aber auch bei existentialer Interpretation nur mit
einem gleichbleibenden Anspruch auf Korrektur jedweden Selbstverständnisses
beantwortet werden kann. Die pragmatische Gleichnistheorie
erkennt in den Gleichnissen Jesu eine universal gültige Kommunikationsstruktur
, die durch analoge Kommunikationsmodelle in
gegenwärtigen Handlungssituationen die ihr angemessene Konkretion
erfährt. Die Ähnlichkeit zwischen der in der „idealen Sprechsituation
" normativ gesetzten Kommilnikationsstruktur und der in Jesu
Praxis wirksamen Strukturen ist nicht zu übersehen. Im Anschluß an
Pcukerts versuchten Aufweis einer Aporie der normativ gesetzten
Kommunikationsstruktur angesichts der unabgegoltenen geschichtlichen
Leiden und des Todes reklamiert Arens den handlungstheoretisch
postulierten normativen Kern menschlicher Interaktion allerdings
für das Reich Gottes und weist damit - vermutlich ungewollt -
auf die theologischen Implikate der transzendental - und universalpragmatischen
Spitzenaussagen hin.