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Ausgabe:

1983

Spalte:

919-921

Kategorie:

Systematische Theologie: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Hübner, Jürgen

Titel/Untertitel:

Die Welt als Gottes Schöpfung ehren 1983

Rezensent:

Wölfel, Eberhard

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Theologische Literaturzeitung 108. Jahrgang 1983 Nr. 12

920

mangelnde Fähigkeit zur Selbstkritik und zu differenzierender
Betrachtungsweise theologischer Probleme attestiert.

Das alles läuft im Ergebnis darauf hinaus, daß Barr den Fundamentalismus
als „pathologischen Zustand des Christentums" (S. 254), als
„Parasit der großen Konfessionen" (S. 276) wertet. Es sind vernichtende
Urteile, sie werden Widerspruch hervorrufen. Und Barr provoziert
ihn geradezu, weil er nicht selten von einer um Objektivität
bemühten Analyse und dem stringenten Nachweis zu Mutmaßungen,
Annahmen, ja - in der Sicht von Fundamentalisten - Unterstellungen
überwechselt. Ein engagierter Autor äußert sich. Welchen Standort er
selbst bezieht, wozu er selbst sich bekennt, das würde man mitunter
gern etwas genauer erfahren - und auch, ob er in dieser Auseinandersetzung
mit dem Fundamentalismus etwa eigene Vergangenheit aufarbeitet
, wie man gelegentlich vermuten möchte.

Die Schwächen der Untersuchung treten u. E. an fünf Punkten
deutlich zu Tage: 1. Es wird keine klare Begriffsabgrenzung zwischen
Fundamentalismus, Konservatismus- und Evangelikaiismus vorgenommen
, Barr benennt das gleiche Phänomen einmal mit dem
einen, dann mit dem anderen Ausdruck. So werden die beträchtlichen
Unterschiede verwischt, die Vorwürfe geraten zu pauschal. 2. Weithin
ungeklärt bleibt bei Barr die Entstehungs- und Entwicklungsgeschichte
des heutigen Fundamentalismus und welche Traditionen
zu seiner (unterschiedlichen) Ausprägung beigetragen haben. Zu
kurz kommt der zeitgeschichtliche Einfluß, kommen die Parallelen
und Querverbindungen zum römisch-katholischen Antimodernis-
mus des 19. und frühen 20. Jahrhunderts, zu wenig wird das Erbe aus
der Epoche der Orthodoxie des 17. Jahrhunderts beachtet. 3. Die verschiedenen
, z. T. gegensätzlichen Typen des Evangelikaiismus treten
kaum hervor, damit auch ihre unterschiedliche Affinität zum „harten
" Fundamentalismus. 4. „Unfehlbarkeit" und „Irrtumslosigkeit"
(infallibilitas, inerrantia) der Schrift, Schlüsselbegriffe für das fundamentalistische
Schriftverständnis, werden nicht gegeneinander abgehoben
, sondern wechselweise gebraucht. Solche begriffliche
Unschärfe ist ein durchgehender Mangel. Wird doch mit diesen Termini
durchaus Ungleiches ausgesagt. Zudem hängt die Inerrantia-
Vorstellung von einem bestimmten (im Falle des Fundamentalismus:
logisch-rationalen) Wahrheitsverständnis ab, dessen Analyse im
Zusammenhang einer solchen Untersuchung eigentlich unentbehrlich
wäre. 5. Daß dem Fundamentalismus ein umfassendes, nicht auf einzelne
Vergehen ausgerichtetes Sündenverständnis angekreidet wird
(„Sie besteht keinesfalls aus individuellen, erkennbaren sündigen
Taten, sondern umfaßt das gesamte Leben der Menschen", S. 53),
läßt die Vermutung zu, daß der Autor eine reformatorische Grundposition
preisgibt. Wäre die Alternative, ein moralisierendes Sündenverständnis
, nicht verhängnisvoll?

Berlin (West) Jobst Schöne

Hübner. Jürgen: Die Welt als Gottes Schöpfung ehren. Zum Verhältnis
von Theologie und Naturwissenschaft heute. München: Kaiser
1982. 148 S. 8' = Kaiser Traktate, 72. DM 16-.

Das Buch umspannt Vorträge der Jahre 1973-82, die, wie der Vf. in
seinem Vorwort schreibt (S. 7). „mehr auf praktische Vermittlung als
auf wissenschaftliche Forschung und Begründung abzielen". Indes ist
solides wissenschaftliches Fundament und einheitlicher, theologischer
Grundansatz überall erkennbar. Beide lassen die Heraushebung
eines eindrucksvollen Konzepts von Schöpfungstheologie
zu.

Den Einstieg hierfür gewinnt man vielleicht am direktesten durch
die Skizze von 1979: „Leben und Lebensbeginn in biologischer und
theologischer Sicht" (29^10; urspr. ein Diskussionsbeitrag im
Gespräch mit M. Eigen). Beide Wissenschaften beantworten die
Frage: „Was ist Leben?" nicht definitorisch, sondern orientiert an der
Funktionsweise von Leben hier und seiner Sinnseite dort. Gerade aus
der sauberen kategorialen Analyse der Differenz läßt sich so eine

Zuordnung beider Wissenschaften gewinnen. Die Theologie, aus der
Erfahrung des Lebens mit Gott um die ganzheitliche Fülle und Gegenwart
von „Leben" wissend (vgl. S. 31), ist betähigt, die naturwissenschaftlichen
Erfassenskategorien gleichsam einzubinden „in den größeren
Zusammenhang der Liebe" (39), ohne doch deren strukturelle
Eigenart im mindesten zu verwischen.

War bisher die Differenz Ausgangspunkt der Zuordnung, so zeigt
der Eingangsaufsatz von 1978: „Das Verhältnis von Naturwissenschaft
und Theologie heute" (9-28) auf: „Eine Konvergenz beider
Denkwege läßt sich nicht verkennen" (24). Die Naturwissenschaften
begreifen sich als prinzipiell sektorierte Erkenntnis (und Erkenntnismethodik
) und sehen sich heute mehr und mehr zum Blick über die
eigenen Grenzen hinaus veranlaßt (13ff). Auf der anderen Seite sieht
sich die Theologie genötigt, Geschichtlichkeit nicht mehr nur aufs
Individuum zu beziehen, sondern „die Geschichte als solche, als Prozeß
des menschlichen Lebens" (21) zu ihrem Thema zu machen.
Dabei begegnet ihr auf ihrem eigenen Denkweg ein fast Vergessenes
neu: Nämlich das Grundphänomen des Geschöpflichen: „Schöpfung
erscheint als Geschichte, Geschichte als Schöpfung" (23). Es beginnt
so die „Wiederentdeckung eines verlorenen Selbstverständnisses" (25)
und dies als Quelle eines gewandelten Verhältnisses zum Leben: „Die
Geschichte des Lebens kann als Segensgeschichte verstanden werden"
(26).

Was das bedeutet, macht Vf. z. B. deutlich an der Aggressionsdebatte
(1973: „Sanftmut oder Selbstverwirklichung", 41-60). Gerade
in der Ambivalenz des naturwissenschaftlich eruierten Aggressionsbegriffs
liegt sein Geheimnis. Die Aggression „kann nicht hinwegbefohlen
, sie muß integriert werden" (49). Es gilt dabei ihre „Dc-
struktivität in Konstruktivität umzuformen" (58). Erst in ihrer Einbindung
in die Liebe gelingt dies, wird sie in Pflicht genommen und
„zum Guten gewendet" (58). Diese Einbindung ist es eben, die die Erkenntnisse
der Naturwissenschaften frei macht „Für die Fülle des Lebens
, von der sie einen wichtigen Teil zu erforschen und zu erkennen
vermag" (39; vgl. o.).

Von hierher öffnet sich der Blick auf den weiten Bereich der Schöpfungsethik
wie von selbst. Er durchzieht eigentlich alle Aufsätze.
„Eine theologische Ethik (wird) so etwas wie eine Ethik der Mit-
geschöpflichkeit sein." Und entsprechend: Umwelt darf „nicht nur als
Umwelt, sondern (muß) als Mitwelt in den Blick" genommen werden,
„als mitgeschöpfliche Lebenswelt" (27). Vf. zeigt dieses grundsätzlich
Geltende an mehreren Themenbereichen auf, wir wählen als Beispiel
den von Technik und Ökologie (1978: „Der Mensch - Ausbeuter oder
Mitarbeiter Gottes?", 61-72). Das Handeln „im Geist des Schöpfers"
(66) führt hier zur „Konversion vom Sich-Nehmen zum Vernehmen
" (69), und dies bedeutet für die Geschichte des Lebens als
Segensgeschichte (s. o.): „Universalität von Technik braucht noch
nicht Absolutheit von Technokratie zu bedeuten" (690- Andere
Problemfelder, denen sich der Vf. widmet, sind die des Schwangerschaftsabbruchs
(89-98; vgl. 79 ff) sowie das bedrückende Thema der
Katastrophenmedizin (99-112).

Mit „Johannes Kepler und die theologischen Vorbehalte zum ko-
pernikanischen System" (1980; 113-135) schließt der wissenschaftliche
Teil des Buchs. Vf. wendet sich in die Historie zurück, um aus
ihr erneut ein Beispiel echter Schöpfungsfrömmigkeit zu gewinnen.
„Frömmigkeit" wird dabei verstanden „nicht im Sinne individueller
Gefühle, sondern als umfassende Ausrichtung des gesamten Lebenszusammenhangs
" (132). Bei Kepler kommt sie zum Ausdruck in der
modellhaften Ausarbeitung einer die Offenbarung Gottes in der Natur
deutenden Fundamentaltheologie (121). Darüberhinaus in einer aus
echter Frömmigkeit verantworteten Wissenschaft (124, 129f).

Zusammenfassend (und über das Buch hinaus) wird es die Frage
sein, wie sich für die Schöpfungsfrömmigkeit weiter eine noch
angemessenere kategoriale Begrifflichkeit entwickeln läßt (schon um
nicht wieder in die Weltlosigkeit purer Abhängigkeitsgefühle einzumünden
); wie sich die Christologie als theologisches Zentrum wirklich
behaupten kann (um die in Schöpfungstheologie angelegten