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Ausgabe:

1983

Spalte:

910-911

Kategorie:

Dogmen- und Theologiegeschichte

Autor/Hrsg.:

Hugolini de Urbe veteri OESA, Commentarius in Quattuor libros Sententiarum

Titel/Untertitel:

I. Quem edendum 1983

Rezensent:

Junghans, Helmar

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909

Theologische Literaturzeitung 108. Jahrgang 1983 Nr. 12

910

Bd. IV wiedergegebenen Bücher XIX und XX des Kommentars im
Vergleich mit anderen Werken des Kirchenvaters, vorhergehenden
Passagen des vorliegenden Kommentars sowie den Auffassungen vorchristlicher
Philosophen, gnostischer Gegner und anderer Kirchenväter
zu erhellen sucht. Willkommen sind auch die kurzen Durchblicke
durch Aufbau und Gliederung der beiden Bücher und die Liste
der Abweichungen von der Edition Preuschens. Zu den vielen Anmerkungen
im Text gesellen sich in einem Schlußteil 16 längere Anmerkungen
, die konkrete Sacherläuterungen zu heute weithin unbekannten
Phänomenen und Vorgängen bieten, zeitgenössische Durchschnittshaltungen
- so etwa zum Selbstmord - umreißen, Spezial-
probleme des exegesierten biblischen Textes behandeln und seltene
Vokabeln im Kommentar erklären.

Beide hier gedruckten Bücher des Johannes-Kommentars beschäftigen
sich mit Joh 8, suchen also Jesu Streitgespräch mit den Juden zu
erfassen. Es ist aufschlußreich, wie Origenes seine philosophischtheologischen
Überzeugungen in den Text hineinliest, sich aber auch
von diesem inspirieren läßt, um sich von Gegnern abzugrenzen und
seine christliche Überzeugung bei aller Nähe zu hellenistischen Denkmustern
herauszuarbeiten. Die Bemerkungen des johanneischen Jesus
sind ihm willkommener Anlaß, geistliche und fleischliche Abrahams-
Kindschaft, Gottes- und Teufelssohnschaft gegeneinander abzuheben.
Origenes ist überzeugt, daß der göttliche Logos keimhaft in allen
Menschen enthalten ist. Es gibt nur einen Logos, aber vielfältige logoi,
die sich sämtlich aus dem Logos herleiten. Hier kann er an die Annahme
von logoi spermatikoi anknüpfen. Gott hat keinen Menschen
hiervon ausgenommen, so daß es von Natur kein Teufelskind gibt,
denn das würde der Güte der göttlichen Schöpfung widerstreiten.
Andererseits ist aber auch kein Mensch vom Fall ausgenommen. Bevor
Christus als der personhafte Logos in die Welt kam, waren die stets
im Hinterhalt lauernden Dämonen mächtiger als die guten Anlagen
im Menschen, obgleich es in allen aufgrund der Schöpfung eine natürliche
Hinneigung zum Guten gab. Christus aber entmächtigte durch
seinen Kreuzestod, der (gegen Celsus) kein Ausdruck schimpflicher
Unterlegenheit, sondern freiwilliger Hingabe aus Liebe war, Sünde
und Tod, so daß wir nun mächtiger als die Dämonen sind. Origenes
weiß also von zwei Kräften, von denen keine vernachlässigt werden
darf: der göttlichen Hilfe und dem menschlichen freien Willen. Er
betont, stark die Freiheit des Menschen, das Gute oder das Böse zu
wählen; an dieser Wahl entscheidet sich das ewige Schicksal jedes
Menschen. Andererseits kennt Origenes die unterschiedlichen Bedingungen
der Menschen. Doch gibt es Hoffnung für jeden, der sich
nach dem Guten sehnt und Gott um Kraft hierfür bittet. Diese Sehnsucht
, umgesetzt in Taten, muß freilich vorhanden sein; dies gibt
vielen Ausführungen des Origenes einen ethischen Akzent. Gott
erkennt Sünder nicht, und wer sich wissentlich der Sünde ergibt, wird
ihr Knecht und geht verloren, weil seine Abwehrkraft erlahmt. Unendlich
schwerwiegender als die Verfehlungen der Heiden sind die der
Christen; Gipfelpunkt der Sünde ist der Verrat der Jünger. Zugleich
aber sieht Origenes, daß auch der Christ nie ganz heilig wird, sondern
lebenslang gelegentlich in Sünde fällt. Demgegenüber darf man indes
auf den im Innern wirksamen und letztlich alles vollbringenden Logos
mit seiner Heilungskraft vertrauen. Gotteskind ist man also niemals
von Natur her, so wenig man Teufelskind ist, denn kein Mensch ist
wesenhaft gut. Christen sind Adoptivkinder Gottes, denen Gott Anteil
an seinem Logos gibt. Im Gegensatz zu heidnischen Philosophen
betont Origenes, daß die Glaubenserkenntnis auch schlichtesten Christen
möglich ist, weil sie sich nicht menschlicher Kraft, sondern der
göttlichen Liebe verdankt. Zugleich aber denkt er sehr hoch von der
Erkenntnis mit ihrer einenden Kraft als einer Gottesgabe, die niemand
gering achten, um deren Vervollkommnung man vielmehr zeitlebens
bemüht sein sollte. Der Logos ist es auch, der die Materie
gestaltet und so aus der formlos-chaotischen Masse ein Geordnetes
schafft, das seinem Telos entspricht.

Diese Ausführungen oszillieren zwischen theologischer Fruchtbarkeit
und Gefährlichkeit. Wir begegnen dem Kirchenvater mit großem

Respekt, werden aber der sublimen Verführung durch (semi-) pelagia-
nische Gedanken widerstehen.

Rostock Gert Wendelborn

Hugolini de Urbe veteri OESA: Commentarius in quattuor libros Sen-
tentiarum, I. Quem edendum, curavit W. Eckermann. Würzburg:
Augustinus Verlag 1980. LXI, 407 S. 8° = Cassiciacum, Suppl. Bd.
VIII. Kart. DM 130,-; Lw. DM 140,-.

Hugolinus de Urbe veteri ist kein anderer als der 1373 verstorbene
Hugolin von Orvieto. Der Hrsg. hat sich für die lateinische Benennung
des Herkunftsortes dieses Augustinereremiten entschieden, wie sie
sich in dem Prolog des Recollectors dieses Werkes findet. Das birgt die
Gefahr in sich, daß in manchen Bibliotheken die Werke dieses Scholastikers
getrennt aufgeführt werden. Ohne Zweifel überwindet die Forschung
die unterschiedliche Benennung mittelalterlicher Personen -
die zu manchen Verwechslungen führt - am leichtesten, wenn sie den
Herkunftsort so schreibt, wie er heute in dem jeweiligen Land geschrieben
wird.

Der Hrsg. behandelt in seiner Einleitung ausführlich die Entstehung
des Werkes und seine Überlieferung.

Hugolin erläuterte den Studenten 1348/1349 die vier Sentenzenbücher
des Lombarden in Paris. Es entstanden dadurch Mitschriften
seiner Zuhörer, die Reportata. Einer seiner Schüler entschloß sich, das
Werk herauszugeben. Er sammelte Mitschriften seiner Kommilitonen
und stellte einen Text zusammen, bei dem es ihm auf Vollständigkeit
ankam, wahrscheinlich um 1352. In einem weiteren Arbeitsgang ging
es ihm um einen Text, der „logisch und sprachlich kritischen Ansprüchen
genügen konnte" (XVII). Diese Endredaktion - die sog. Recol-
lectio-war 1365 abgeschlossen.

Diese Arbeit entstand nicht nur aus Sammlerleidenschaft oder zur
Verehrung des Lehrers, sondern sie hatte eine bestimmte Funktion.
Der Recollector unterzog sich der mühevollen Arbeit, weil er das Ergebnis
seiner eigenen Vorlesung über die Sentenzenbücher zugrunde
legen wollte (XVIII; 3,40- Das ist eine äußerst interessante Beobachtung
, die verdient, auch für die weitere Überlieferungsgeschichte berücksichtigt
zu werden.

Der Hrsg. hat 21 erhaltene Handschriften sorgfältig beschrieben
(XVIII-XLIII. XLV-LVI). Er mußte dabei viele Veränderungen feststellen
, die sowohl Ergänzungen als auch Kürzungen betreffen. Unter
diesen Umständen war eine äußerst anstrengende Forschung erforderlich
, um das angestrebte Ziel zu erreichen, „die möglichst genaue
Rekonstruktion jenes Textes, den der Recollector abfaßte" (LVI).
Denn weder das Konzept von Hugolin noch das zusammenfassende
Reportatum noch die Erstfassung der Recollectio sind erhalten. Der
Hrsg. hat seine Aufgabe gelöst, indem er ein Stemma entwickelte und
die Lesarten danach bewertete, wie weit sie von der Recollectio entfernt
sind.

Es lohnt sich, über die Ursache für das Entstehen der Handschriften
nachzudenken. Waren sie tatsächlich nur das Werk von Schreibern
, die entweder gedankenlos bzw. unaufmerksam oder mit unangebrachten
Einfällen den Text veränderten? Muß nicht mehr damit
gerechnet werden, daß auch diese Handschriften wie die Recollectio
von 1365 von Theologen angefertigt wurden, die sich dadurch eine
Grundlage für ihre eigene Betätigung als Sententiar schufen und sich
Freiheiten gegenüber ihrer Vorlage erlaubten, indem sie wegließen,
was ihnen nicht mehr nennenswert erschien, bzw. erläuterten, was
ihnen für ihre Studenten zu kurzgefaßt vorkam? Es wird daher grundsätzlich
zu fragen sein, wieweit die handschriftliche Überlieferung
scholastischer Sentenzenkommentare als mangelhafte Leistung
unfähiger Schreiber zu bewerten ist oder als eine Geschichte von Bearbeitungen
mit bestimmten Zielen angesehen werden muß.

Die Edition des Sentenzenkommentars von Hugolin stellt eine
wichtige Ergänzung zu den Werkausgaben in der Reihe „Spätmittelalter
und Reformation" dar. Sie erleichtert ganz wesentlich das Ein-