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Ausgabe:

1983

Spalte:

888-895

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Ittmann, Norbert

Titel/Untertitel:

Die Konfessionen Jeremias 1983

Rezensent:

Ruprecht, Eberhard

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Theologische Literaturzeitung 108. Jahrgang 1983 Nr. 12

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sellschafllichen Ort seiner Kirche, sondern auch für den Zusammenhang
der theologischen Einzeldisziplinen untereinander und nicht
zuletzt für die spirituelle „Innenseite" der theologischen Existenz.
Das Wahrnehmungsfeld, das den begrenzten Kapazitäten auch einer
kleineren Fakultät prinzipiell zugänglich ist, wird hier mit einem
bemerkenswert wachen Sinn für die Herausforderungen und Anfragen
der Gegenwart voll ausgeschritten - ein Verdienst, das in erster Linie
dem Initiator und Herausgeber Henning Schröer zuzuschreiben ist.

„Einführungen" wollen nicht an dem Anspruch einer Enzyklopädie
gemessen werden. Obwohl das Vorbild der „Kurzen Darstellung"
Schleiermachers in erfreulich vielen Einzelbeiträgen systematisch
präsent ist - ein herausragendes Beispiel einer umsichtigen Ortsbestimmung
ist die Reflexion des Kirchenhistorikers (F. J. G. Goe-
ters) auf die wissenschaftliche Aufgabe und Funktion seiner Disziplin
-, bleibt das erklärte Ziel des Buches bescheidener: Es will den faktischen
Bestand der Studienfächer in einer Weise darstellen, daß der
Anfänger eine möglichst genaue Vorstellung von dem je besonderen
Gegenstandsfeld und der ihm angemessenen Methode erhält, Erkenntnisziele
, aber auch offene „Ränder" zu sehen lernt und durch
gezielte Literaturangaben und Arbeitsschritte in den Studiengang
selbst eingewiesen wird.

Erstaunlich, daß sich bei dieser Präsentation die biblischen Fächer
(Altes und Neues Testament) vom Wandel der Zeit am wenigsten berührt
und beeindruckt zeigen! Während sich die Dogmatik (G. Sauter)
auf eine durchaus neue Weise als theologische Urteilslehre begreift -
sie versucht das Reden von Gott „mit den Mitteln überprüfbarer Aussagen
und wissenschaftlicher Verständigung" (125) einzuüben und
das in der Absicht („eines der wichtigsten Studienziele"!), „mit dem
sogenannten Laien kompetent über das sprechen zu können, was im
Katechismus... an Fragen aufgeworfen wird" (127) -; während
vollends die Praktische Theologie (H. Schröer) ihre überlieferte
Selbstbescheidung - die Ausbildung einer Berufskompetenz des Pfarrers
- energisch durchbricht (151) und auf dem Hintergrund eines
erheblich gewandelten Verständnisses von Kirche und Amt ihre
„Zielvorstellung" in dem „Aufbau" der Fähigkeit erblickt, „Handlungen
zu bedenken, Beziehungen zu reflektieren, Gefühle wahrzunehmen
, Intentionen zu verbalisieren" (162), findet sich in der Selbstdarstellung
der Exegese keine Fragestellung, ja kaum ein Satz, der
nicht vor 20 Jahren genau so hätte niedergeschrieben werden können.
Sollte hier wirklich nichts in Bewegung geraten sein?

Was dieses Buch auszeichnet und von einem schlichten Studienführer
markant unterscheidet, ist zweierlei: Einmal die in nahezu
allen Beiträgen sichtbar dokumentierte Fähigkeit, die Grenzen des
eigenen Faches auf die Einheit der Theologie - und das heißt zugleich:
auf ihren kirchlichen Auftrag - hin zu überschreiten. In einem nachdenkenswerten
Schlußkapitel (180ff) hat H. Dembowski eigens den
Versuch unternommen, „von der Sache" und „von der Funktion" der
Theologie her Modelle einer „kooperativen" Einheit zu skizzieren.
Um so unbegreiflicher freilich, ja im Grunde unverzeihlich, bleibt,
daß in diesem Band das Paradigma einer solchen, Theologie und Kirche
gleichermaßen auf den Prüfstand fordernden Einheit schlichtweg
fehlt: die ökumenische Theologie! Hier hat, wie der Herausgeber wohl
weiß (11), das „Normalprogramm einer Fakultät" (man kann in diesem
Falle ruhig von „Provinzialismus" reden!) den - allerdings nur
betrüblichen - Sieg über eine der wegweisenden theologischen Gegenwartsaufgaben
davongetragen. Das ist angesichts der Gesamtkonzeption
dieser Einführung schade.

Denn das Zweite, was von diesem Buch - nun uneingeschränkt - zu
rühmen ist und es nicht nur für den Studenten zu einer fesselnden
Lektüre machen dürfte, ist die im I. Teil gebotene „Einführung in die
Grundfragen der evangelischen Theologie" von H. Schröer - eine
Darstellung des Theologiebegriffs, wie man sie in ihrer Konzentration
auf den realen (nicht: den akademischen) Ort, an dem das Reden von
Gott heute verantwortet sein will, nicht gerade häufig findet. Ihr can-
tus firmus ist der biblische Imperativ: „Tu deinen Mund auf für die
Stummen!" (22.55). Dementsprechend begründet die Forderung nach

einem „kritischen" Begriff von Kirche (17)- sie ist eine „Konflikte",
ja „Zerreißproben" („Nachrüstung, Umweltschutz,... Verketzerung
Andersdenkender") auf sich nehmende Gemeinschaft (23) und als solche
der Ort, „von dem Theologie überhaupt herkommt und auf den
sie zuläuft" (16)-, nicht aber schon ein überliefertes Bildungsideal die
Notwendigkeit „präzisen und phantasievollen Denkens als Nachfolge
im Bereich des Denkens" (23). Die heute oft überschätzte Frage, ob
die Theologie dem Methodenideal einer „Wissenschaft" genüge, wird
denn auch erfreulich entspannt (mit kenntnisreichen Anmerkungen
zur Geschichte dieses Problems) in ihre Schranken gewiesen. Das
„gute Werk" denkender Rechenschaft über den Glauben steht im
Dienst der „Verständigung" und der „Bewahrung vor Ideologisie-
rung" (45). Um so größeres Gewicht legt Schröer auf die Entfaltung
des „zentralen Themas der Theologie", das er mit Karl Barth als
„Wort Gottes" bestimmt (47 ff), das er aber durchaus eigenständig auslegt
: Es zielt mit seiner Speerspitze nun nicht mehr primär auf die
Kanzel, sondern auf die Erschließung „neuer", bislang verstellter oder
unterdrückter Wirklichkeit (55). Dabei kommt ein lange vergessenes,
aus dem akademischen Lehrbetrieb längst herausgedrängtes Thema
überraschend neu zum Leuchten: der „Lebensstil als theologische
Frage" (67ff). Was Schröer hieran beinahe schon verlorenem Terrain
für die Theologie zurückzugewinnen versucht - nicht nur die Trias
reformatorischer Spiritualität (oratio, meditatio, tentatio), nicht nur
„Verantwortung" und „Gemeinschaft" als Eckpfeiler jeden Gottesdienstes
(neben Wort und Anwort), sondern auch die Verbindung von
sozialem Dienst und geistlicher Kontemplation (Taize) bis hin zur
Entdeckung moderner geistlicher Lyrik (72) - halte ich für eine der
bedeutsamsten, weil am stärksten in eine ökumenische Zukunft weisenden
Problemanzeigen des ganzen Buches. Wer sie nicht als einen
bloßen Appendix mißversteht, wird durch diesen großen Essay in ein
Studium der Theologie eingeführt, das kaum nach zwölf Semestern zu
Ende gehen dürfte.

Bern Christian Link

Altes Testament

Ahuis, Ferdinand: Der klagende Gerichtsprophet. Studien zur Klage
in der Überlieferung von den alttestamentlichen Gerichtspropheten
. Stuttgart: Calwer 1982. IX, 234 S. 8° = Calwer Theologische
Monographien, 12.

Ittmann. Norbert: Die Konfessionen Jeremias. Ihre Bedeutung für die
Verkündigung des Propheten. Neukirchen-Vluyn: Neukirchener
Verlag des Erziehungsvereins 1981. VIII, 211 S. 8° = Wissenschaftliche
Monographien zum Alten und Neuen Testament, 54.

Ahuis hat seine gleichnamige, von C. Westermann betreute Heidelberger
Dissertation von 1973 neu bearbeitet. Dabei hat er den Aufriß
der Arbeit völlig neu konzipiert, hat zu einer einfacheren und verständlicheren
Darstellungsform gefunden und hat inzwischen gewichtige
weiterführende Erkenntnisse gewonnen.

Es handelt sich um mehr als eine Spezialabhandlung zu den Konfessionen
Jeremias. Denn A. stellt sie in den Zusammenhang der gesamten
Gerichtsprophetie in Israel und fragt, wo vorher Klagen oder
Elemente von Klagen des von Jahwe beauftragten Boten im Zusammenhang
mit seinem Botenauftrag zu finden sind. So umfassend ist
diese Geschichte prophetischer Klage bisher noch nicht untersucht
worden.

Die Stärke der Arbeit liegt in ihrem klaren methodischen Ansatz.
A. arbeitet konsequent formgeschichtlich. In der gesamten Geschichte
der Gerichtsprophetie werden die Gerichtsworte der Propheten durch
die Botenformel „So spricht Jahwe" als Botenwort ausgewiesen. „Die
Gerichtspropheten sind deshalb als von Gott mit einem Gerichtswort
beauftragte Boten zu verstehen" (S. 2). Ausgehend von dieser längst
Allgemeingut gewordenen Erkenntnis fragt A., ob die Klagen im