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1983

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Systematische Theologie: Allgemeines

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Theologische Literaturzeitung 108. Jahrgang 1983 Nr.l 1

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Bischof Julius Bursche. - Für Litauen werden an Senior Gaigalat die
Tendenzen bei der Neuordnung der Kirche dargestellt.

Das abschließende V. Kapitel „Das Luthertum auf den Wegen zur
Begegnung" belegt den Satz: „Die gesamte Geschichte der Kirchen an
der Ostsee seit der Reformationszeit ist Geschichte der Kommunikation
gewesen" (S. 167). Wesentlich zusammenfassende Kraft eignete
den Universitäten. Die Bedeutung Rostocks im Reformationsjahrhundert
Tür den Weg der schwedischen Kirche tritt später zurück.
Königsberg besitzt integrierende Funktion für den baltischen und
westslavischen Raum. Seit 1632 gewinnt Dorpat höchste kommunikative
Bedeutung. - Sympathisch berührt das liebevolle Votum für die
„Symbolgestalt kirchlicher Zusammengehörigkeit über Länder- und
Volksgrenzen hinaus": Gustav Adolf (S. 179ff.; Ausnahme bleibt
Dänemark). - Nathan Söderblom mit seiner Faszination findet erneut
Würdigung und die Bedeutung des schwedischen Kirchentums für die
Herausbildung der ökumenischen Bewegung im Luthertum und
darüber hinaus. Auch die politischen Konsequenzen finden Erwähnung
: „Söderblom .. . verband . . . die Betonung seines Luthertums
mit der Friedensarbeit der Kirchen" (S. 208). Auf die gegebene Fülle
des Materials zu den Konferenzen und „Weltkonventen" sei hingewiesen
, in dem nun die schwedische Kirche bald als „Mutterkirche"
(S. 21 I) erscheint.

Vorgestellt werden Linien der lutherischen Begegnung bis in die
jüngste Zeit (Leuenbergef Konkordie). Bei der hohen historischen
Einschätzung der Luther-Akademie Sondershausen (seit 1932) überrascht
das Fehlen jeglichen Hinweises auf die fruchtbare Weiterarbeit
seit 1950 in der DDR in vielfältigen ökumenischen Bezügen. Als empfindlicher
Mangel erscheint das Ignorieren der ertragreichen Aktivitäten
des Nordisch-Deutschen Kirchenkonventes, der alljährlich seit
langer Zeit in der DDR zusammentritt. Ergänzend sei hingewiesen auf
die von Landesbischof Dr. Heinrich Rathke (Mecklenburg) initiativreich
gepflegten Kontakte zu den lutherischen Gemeinden wie auch
zur Orthodoxie in der Sowjetunion. Auch diese Bemühungen gehören
mit zu der im Nachwort (S. 233-235) formulierten „Leibhaftigkeit
lutherischer Begegnung in Vergangenheit und Gegenwart, die in den
Ländern des Ostseeraums greifbar wird". Ansonsten bietet das Buch
mannigfaltige Grundlagen und Anregungen für „selbstkritische Erfassung
im Rahmen des gesamten Luthertums im Ostseeraum". „Die
Beachtung der geschichtlichen Vorgänge, der Sachlage, wie sie sich
derzeit darstellt, wird davor bewahren, die mit ihnen zusammenhängenden
theologischen und kirchlichen Fragen gering zu achten"
(S. 2340.

Addenda: Ergänzend zum Literaturverzeichnis sei genannt: WoldcmarGast-
pary: ..Bischof Bursche und die polnische Sache" (1972 poln.; 1979 dt ). - Ein
Hinweis auf das Colloquium charitativum zu Thorn 1645 und die unterschiedlichen
Haltungen des irenjisch-ökumenischen Johann Quistorp d. Ä. in
Rostock und des strengen Abraham Calov (damals noch in Danzig) dazu hätte
die Darstellung belebt.

Corrigenda: Bischof Mantcuflel von Cammin. ein Gegner der Reformation,
starb 1544; erst damals folgte ein evangelischer Bischof (zu S. 61). Diepommer-
sche Kirchenordnung von 1535 (Bugenhagen) blieb weiter in Schwcdisch-
Pommern gültig (zu S. 61 f) - Die Vereinigung der Freistaaten Mecklenburg'
Schwerin und Mecklenburg/Strclitz erfolgte erst 1933 (nicht 1918); die Vereinigung
beider Landeskirchen galt mit dem 1. Juli 1934 als durchgeführt (zu S. 62).
- Der Reichsdeputationshauptschluß war 1803 (nicht 1802; zu S. 65).

Wismar Michael Bunners

Systematische Theologie: Allgemeines

Duchrow, Ulrich: Christenheit und Weltverantwortung. Traditionsgeschichte
und systematische Struktur der Zwcircichelchre. 2.,
verb. Aufl. Stuttgart: Klctt-Cotta 1983. XIV, 659 S. 8 Lw. DM
48,-.

Die erste Auflage des Buches von Ulrich Duchrow: Christenheit
und Weltverantwortung wurde in ThLZ 96,1971 Sp. 935-938 vorgestellt
und besprochen. Inzwischen ist eine zweite Auflage erschienen,
die an sich einen unveränderten Abdruck der ersten Auflage darstellt,
aber in einem Nachwort am Schluß des Buches „Verbesserungen im
einzelnen, einige grundsätzliche Erwägungen und ausgewählte Literaturnachträge
" (p. VIII) bringt.

Von den grundsätzlichen Erwägungen sei folgendes wiedergegeben
:

So positiv die Aufnahme des Buches in vielen Ländern (wie der
DDR) war, „so brach ein offener Streit in der Bundesrepublik aus, als
ich begann, die Andeutungen des Schlußkapitels im Rahmen des
internationalen Luthertums auszuführen" (S. 651). Es geht darum,
daß in der Bundesrepublik vielfach lutherische Kirchen an einem
dualistischen („dichotomischen") Verständnis von Luthers Zweireichelehre
festhalten (wie ein solches im Anfang unseres Jahrhunderts
durch W. Herrmann, R. Sohm, F. Naumann, M. Weber und
E. Troeltsch geprägt wurde und in der Zeit des Nationalsozialismus
die Anpassung der Kirchen an dessen Politik rechtfertigen konnte),
demzufolge man nicht Kirche und Evangelium „mit Politik vermischen
" dürfe („zum Beispiel beim Streit um die Remilitarisierung
der Bundesrepublik und um ihre Ausstattung mit Atomwaffen",
S. 653). Duchrow widersteht der dualistischen „Fehlrezeption"
Luthers, d. h. der Ausgrenzung einer eigengesetzlichen und autonomen
Vernunft für die „Weltlichkeit" aus einem bloß die „Innerlichkeit
" bestimmenden Glauben und schreibt: „Noch nie bedurfte
Vernunft so sehr des Glaubens und der Hoffnung und der Liebe, die
aus der Offenbarung der Liebe Christi kommt, wie heute. Darum sind
zwölf Jahre nach Erscheinen des Buches alle seine Elemente zu unterstreichen
, die Gottes eschatologischen Kampf gegen die Mächte des
Bösen und damit die Wachsamkeit gegen den Mißbrauch von Macht
sowie die Eigenständigkeit der Kirche zu treuerer Nachfolge Jesu
Christi betonen." (S. 654)

Als berechtigte Frage empfindet Duchrow den Einwand: zu stark
werde die „offizielle Linie" betont zuungunsten der Außenseiter wie
Waldenser, Wiclif, Hus, .linker Flügel der Reformation' und zu sehr
„die Tradition der Anstaltskirche thematisiert" (S. 655). In Aufnahme
dieses Einwandes bekräftigt Duchrow seine - im Text aber
doch angelegte - Überzeugung, daß für die Wahrnehmung von Weltverantwortung
in der heutigen immer gefährlicher werdenden Weltsituation
es radikaler Nachfolgcgruppen bedarf, die den Rahmen von
Ortsgemeinde und Regionalkirche sprengen. Aber: „Die Zuspitzung
der die Menschheit bedrohenden Gefahren hebt nicht die unauf-
gebbaren Orientierungshilfen von Luthers RRL (Reiche-, Regi-
menten- und Ständelehrc) auf. die in diesem Buch entfaltet sind."
(S. 656) Es gibt gewiß Defizite bei Luther (von Tödt genannt, s.
S. 653). Und bei aller Bejahung von Luthers Ablehnung des Mönchsstandes
müsse die Diskriminierung als Sekte radikaler Nachfolgegruppen
(wie auch der historischen Friedenskirchen) durch die lutherische
Anstaltskirche überwunden werden und ein über Luther hinausgehendes
Verständnis der Bergpredigt (das ihr auch sozialethische
Relevanz gibt) und der Nachfolge bejaht werden.

Wenn wir in der Besprechung der ersten Auflage als „theologische
Grundtendenz" herausstellten, daß das Buch „stärker Vernunft und
Weisheit mit Jesu .neuem Geist' zu ,neuer Schöpfung'" verbinde
(Sp. 935) und auch zeige, wie Luther die Vernünftigkeit der Bergpredigt
zur Geltung bringt (Sp. 938), so spricht Duchrow jetzt doch
ausdrücklich aus, daß Vernunft an sich „ambivalent" ist und noch vor
der Unterscheidung von menschlich und unmenschlich steht. „Wir
leben nicht in einer Zeit der .vorhandenen' (M. Honecker), sondern
der ambivalenten, oft auch dämonisch verblendeten Vernunft. Sie
bedarf der Korrektur durch die Hoffnung auf Gottes die menschlichen
Möglichkeiten übersteigendes Schöpfungs- und Geschichtshandeln
ebenso wie das klare Lebenszeugnis der Kirche Jesu Christi, daß Erneuerung
des Sinnes und auch Erneuerung von Institutionen aus dem
Glauben und der Liebe möglich ist (Rö 12,1 f) "(S. 656)

An dem Zweifachen, daß der erneuernde Christusgeist Handeln
gemäß der Vernunft ermöglicht, aber auch deren kritische Fähigkeit