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Ausgabe:

1983

Spalte:

62-63

Kategorie:

Systematische Theologie: Ethik

Autor/Hrsg.:

Kramer, Rolf

Titel/Untertitel:

Arbeit 1983

Rezensent:

Petzoldt, Martin

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Theologische Literaturzeitung 108. Jahrgang 1983 Nr. 1

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Scheidung her erhalten die Tugenden ihre Echtheit, werden die „erste
Bekehrung" und der Unterschied von Todsünde und läßlicher Sünde
erläutert. Für den evangelischen Leser ist es allerdings problematisch
zu lesen, daß die Grundoption zum Guten hin theologisch als Rechtfertigung
beschrieben werden könne. Zu wenig kommt dabei der theo-
zentrische Charakter der Rechtfertigung zum Zuge, wie das folgende
Zitat aus diesem Zusammenhang belegt: „Das gnädige Tun Gottes
baut auf dem Guten auf, das im Menschen auch dann noch fortdauert,
wenn er sich in einer Grundoption von Gott abwendet" (221).

Auffallend ist weiter, wie stark die geschichtliche Dimension des
natürlichen Sittengesetzes betont wird, die es verbietet, aus dem statisch
verstandenen Wesen des Menschen ethische Normen abzuleiten,
wie das in früheren Werken der Moraltheologie der Fall war. Allerdings
ist das Naturrecht als das von Gott den Heiden ins Herz geschriebene
Gesetz Gottes der Wortoffenbarung in Jesus Christus
gleichgestellt, weil „wir das natürliche Sittengesetz nicht neben das
Gesetz Christi stellen, sondern es im Gesetz Christi ehren" (319f). Auf
diese Weise kann zwischen Schöpfungsoffenbarung und Wortoffenbarung
kein Widerspruch entstehen. Auch im Kapitel über die Sünde
setzt sich H. kritisch mit der katholischen Tradition auseinander, sofern
in ihr eine quantitative Bestimmung der Trennungslinie zwischen
den verschiedenen Arten der Sünde vorgenommen worden ist, hält
aber am Begriff der Todsünde fest.

Schon in der Einleitung hat der Vf. sein Interesse an einer ökumenischen
Weite der Moraltheologie bekundet. Diese ökumenische Öffnung
wird nicht bloß darin sichtbar, daß zahlreiche evangelische
Autoren bei den Literaturverweisen genannt und zum Teil auch ausdrücklich
zitiert werden. Es ist vor allem anzuerkennen, daß die evangelische
Position zum Beispiel im Verständnis von Gesetz und Evangelium
ohne Polemik dargestellt wird, auch wenn dabei etwa Luthers
Betonung des usus theologicus legis im Sinne Melanchthons kritisiert
wird (345). Der katholische Autor vermag hier Melanchthon und Calvin
mehr abzugewinnen als der Stellungnahme Luthers und sieht im
usus didacticus oder tertius usus legis das primäre Sinnziel des
Gesetzes.

Im zweiten Band wendet sich der Vf. den Fragen zu, die vor allem
den einzelnen Christen betreffen, ohne das Programm einer „Indivi-
dualethik" zu forcieren, die von der „Sozialethik" im dritten Band
unterschieden wäre. Leitbegriff ist nun die Wahrheit im Sinne von
„wahr sein", „wahr denken", „die Wahrheit tun" (37). Wahrheit als
befreiende Macht wird im Blick auf die innere Wahrhaftigkeit, auf
Treue und auf Achtung der Ehre jedes Menschen betrachtet. Das
zweite Kapitel reflektiert die Moral der Schönheit, wobei Kunst, Fest
und Feier, Spiel und Tanz sowie der Humor Gegenstand des Nachdenkens
sind. Der Rahmen der Überlegungen ist freilich so beschaffen
, daß die Kunst von ihrer religiösen Funktion her beschrieben
wird: „Die sakrale Kunst ist die Krone aller schönen Künste, die sich
>n ihr zum Gebet, zum bewußten Gotteslob vollenden" (133). Offener
für zeitgenössische Fragestellungen ist das folgende Kapitel, das einer
„Ethik der Kommunikation" gewidmet ist und der Verantwortung
derjenigen, die in Presse, Film und Fernsehen, Hörfunk und Werbung
arbeiten. Hier macht der Vf. ausdrücklich auf die Gefahren aufmerksam
, die von „politischen, ideologischen und wirtschaftlichen Mächten
" ausgehen, „die andere manipulieren wollen und denen es, wenn
sie von Freiheit reden, nur um ihre geschäftlichen oder politischen
Zwecke geht" (166). Für den verantwortlichen Umgang mit den
Massenmedien werden dann allerdings wieder Ratschläge genannt,
die in den Bereich der Individualmoral gehören: sorgfältige Auswahl,
kritische Aufnahme des Angebots und Konsumaskese, vor allem der
Werbung gegenüber. Die Aussagen über die öffentliche Meinungsbildung
, die den Bereich der Individualmoral eindeutig übersteigen,
bleiben demgegenüber blaß.

Die vier folgenden Kapitel kreisen - für eine Moraltheologie zumindest
unerwartet - um den Glauben und seine Mitteilbarkeit. So wird
ausführlich über die Probleme der Glaubensverkündigung in einem
-kritischen Zeitalter" und einer „dynamischen Ära" gehandelt und

eine umfangreiche Auseinandersetzung mit den verschiedenen Formen
des Atheismus geführt. Das führt den Leser ziemlich weit von
den speziellen Problemen der Moraltheologie ab, und erst am Schluß
begegnet ihm in der Frage nach einer „Moral ohne Glauben"
(357-361) eine ethische Thematik. Die Art und Weise, in der auf den
Ökumenismus eingegangen wird und „Dimensionen einer ökumenischen
Moraltheologie" eröffnet werden, kann nur als wohltuend engagiert
bezeichnet werden, auch wenn gerade in puncto Mischehe keine
neuen Perspektiven sichtbar werden. „Die neue Gesetzgebung rät
auch weiterhin von Mischehen ab, aber es besteht ein lebendigeres
Bewußtsein, daß bisweilen die Mischehe die bestmögliche Ehe ist. . .
Die Kirche sollte eine verungültigende Gesetzgebung nicht auf Menschen
ausdehnen, die nicht durch den Glauben zu ihrgehören" (318f).
Auf dieser Linie müßte eigentlich eine kritische Haltung zu jeder Ehegesetzgebung
von seiten der Kirche möglich sein.

Erst das letzte Kapitel behandelt dann die Fragen nach der Sinnbedeutung
der Sexualität und der Ehe. Sexualität wird als „eine fundamentale
Modalität unseres gegenseitigen Bezugs, unseres Verhaltens
zu uns selbst und zu Gott" gewürdigt (467). Mit Nachdruck wird die
„androzentrische" Tradition abgelehnt und die Gleichwertigkeit von
Mann und Frau in jeder Hinsicht betont. Die „Sprachregeln" geschlechtlichen
Lebens sind jeweils kulturell bedingt, so daß sie nicht-
etwa in der Mission der Kirche - auf andere Kulturen übertragen
werden können. „Verantwortliche Weitergabe des Lebens geht die
Ehegatten gemeinsam an" (495), während die Methodenfrage nach
Meinung des Vf. sekundär ist. Im Anschluß an einen Vortrag des heutigen
Papstes wird „Humanae vitae" sehr behutsam aufgegriffen und
eine andere Methode der Empfängnisverhütung als die dort einzig erlaubte
nicht als Verstoß gegen die kirchliche Tradition gewertet.
Ebenso wird dafür plädiert, daß Ehegatten, die nach einer gescheiterten
ersten Ehe in einer „soliden Zweitehe" leben, nicht von der
Eucharistie ausgeschlossen bleiben sollten (515).

Der besondere Vorzug des sehr breit angelegten Werkes ist wohl die
seelsorgerliche Art, mit der der Vf. alle anstehenden Fragen behandelt
. Dadurch bleibt das Buch im ganzen auf einer zwischen der päpstlichen
Lehrautorität und den neueren theologischen Ansätzen in der
katholischen Theologie vermittelnden Linie. Es fällt auf, wie sehr sich
der Vf. bemüht, wirklich die ganze Welt vor Augen zu haben, wenn
z. B. ausführlich auf die polygamen Eheverhältnisse Afrikas eingegangen
wird. So vermittelt das Buch die Kenntnis mancher englisch- und
französischsprachiger Autoren, wobei evangelische und katholische
Literatur in gleicher Weise herangezogen werden. Unbefriedigend ist
höchstens die Breite des Spektrums der behandelten Themen, ohne
daß dem Leser zwingend deutlich wird, warum fundamentaltheologische
und dogmatische Themen in diesem Zusammenhang mitbehandelt
werden. Dem Seelsorger wie dem mündigen Christen, der sich
von dem Umfang des Buches nicht schrecken läßt, steht zweifellos ein
Buch zur Verfügung, das die durch das zweite vatikanische Konzil getroffenen
Impulse bereits verarbeitet hat und sich in die neue nicht
mehr kontrollierende, sondern verständnisvoll beratende moraltheologische
Argumentation ganz einfügt.

Leipzig Joachim Wiebering

Krämer, Rolf: Arbeit. Theologische, wirtschaftliche und soziale
Aspekte. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1982. 148 S. Kart,
kl. 8' = Kleine Vandenhoeck-Reihe, 1482. DM 16,80.

Das vielschichtige Problem „Arbeit" erfährt in diesem Bändchen
eine solide Beleuchtung von den verschiedenen Seiten her, die sich
heute dazu zu Wort melden. Es ist eine theologisch orientierte Arbeit,
die in eine „Sozialethische Zusammenfassung" mündet. Dabei erhalten
konkrete Problemstellungen aus der Umwelt des Vf. den ihnen gebührenden
Stellenwert. Ausgehend von den biblischen Bezügen wird
die evangelische Sozialethik und darauf die katholische Soziallehre
beleuchtet. Entfremdung, Sinn und Recht in bezug auf Arbeit fordern