Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1983

Spalte:

60-62

Kategorie:

Systematische Theologie: Ethik

Autor/Hrsg.:

Häring, Bernhard

Titel/Untertitel:

Frei in Christus, Bd. I, Bd. II 1983

Rezensent:

Wiebering, Joachim

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2

Download Scan:

PDF

59

Theologische Literaturzeitung 108. Jahrgang 1983 Nr. 1

60

in mannigfachen Zusammenhängen ethischer Tradition bedeutsam
ist (z. B. Unterscheidung von Legalität und Moralität, Begründung
staatlichen Sträfens, Widerstandsrecht). Der Abschnitt über die
„Institutionen" ist ebenfalls recht kurz gehalten (S. 90f).

Das 5. Kapitel „Richtlinien für das sittliche Handeln" (S. 106ff)
sucht das Problem der sittlichen Normen mit Hilfe des Begriffs
„Richtlinien" zu erfassen und stellt Modelle theologischer Ethik (Dekalog
, Bergpredigt, Liebesgebot) vor(S. 137ff). Unter der Überschrift
„Der Hinweis auf den Willen Gottes" (S. 107ff) wird zunächst das
Verhältnis von Gesetz und Evangelium besprochen, vor allem in vorsichtiger
Distanzierung von Karl Barths programmatischer Vorordnung
des Evangeliums vor dem Gesetz. Eingehend wird die urchristliche
Paränese als imperativische Auslegung des Indikativs des Heils
auch in ihren konkreten Ratschlägen und Empfehlungen behandelt
(S. 119ff). Dabei wird zurecht die Situationsbezogenheit und damit
der historische Kontext dieser Paränese betont (etwa bei der Gestaltung
von Eigentumsordnung und Ehe, S. 125; bei der Sklavenfrage in
den Haustafeln, S. 127). Gerade wenn man den theologischen Ausführungen
zur Begründung der Ethik (S. 130ff) gerne folgt, wünscht man
sich freilich eine schärfere Unterscheidung zwischen der Aufgabe
einer Paränese (als Zuspruch des Willens Gottes und Beanspruchung
der Person, des Christen, ihres ,,Gut"seins) Und der methodischen
Reflexion normativer Ethik (welche zu begründen hat, warum bestimmte
ethische Richtlinien gelten sollen und welches Handeln, an
diesen Richtlinien gemessen, „richtig" ist). Von daher würde dann
vielleicht auch neues Licht auf die Frage fallen, was denn das spezifisch
Christliche in der Ethik sei (S. 137ff), ob dies in der Motivation
zum Handeln, in der Ermächtigung zur Liebe (IKor 13!), wobei die
Liebe nicht Norm, sondern Urteilsinstanz, Urteilskraft ist, oder ob es
in konkreten Inhalten, „Normen", „Richtlinien" bestehe (zu S. 151).
In der Notwendigkeit einer Vermittlung von Situation und Richtlinien
(S. 154) ist Wiebering wiederum uneingeschränkt zuzustimmen
.

Eine Eigentümlichkeit bildet das abschließende 6. Kapitel „Handeln
aus Glauben im Beziehungsfeld der Kirche" (S. 155ff). Hier wird
eine Ekklesiologie in nuce vorgelegt. Überzeugend ist diese Ekklesio-
logie vor allem aufgrund der Existenz einer Kirche in einer sozialistischen
Gesellschaft, wodurch sich von selbst ein enger Zusammenhang
zwischen Ekklesiologie und Ethik ergibt (vgl. vor allem S. 175ff:
„Kirche als Zeugnis- und Dienstgemeinschaft"). Wiebering beruft
sich auf Paul Lehmanns „Methodik einer Koinonia-Ethik" (S. 156).
Das Schlußkapitel ist sicherlich paränetisch wichtig. Aber wegen der
Knappheit der Ausführungen bleibt manches unausgesprochen. Es
fehlt beispielsweise weitgehend das Kirchenrecht (ein auch ethisch
wichtiger Problemkreis), ein Ethos des kirchlichen Amtes, die Verbindung
von Sakramentsgemeinschaft und Wohltätigkeit. Eine bruderschaftliche
Leitung der Kirche (S. 169ff) löst zudem nicht alle Probleme
rechten kirchlichen Handelns und Verhaltens, wie Verfasser
selbst andeutet. Leitend sind für Wiebering die Gesichtspunkte der
Gemeinschaft der Christen als Lebensraum, welcher auch der Ethik
vorgegeben ist (S. 160ff: „Die communio sanctorum als ethisches
Subjekt") und der ökumenischen Offenheit (S. 180ff: „Ökumene und
Weltverantwortung"). Ganz kurz wird nur das Thema „Eschatologie
und Ethik" am Rande gestreift, wobei für ihn entscheidend ist, daß Jesus
nicht als „politischer Revolutionär" zu verstehen sei und man
nicht von der Kirche erwarten durfte und dürfe, „daß sie ein Programm
zur Veränderung der Gesellschaft entwickeln könnte"
(S. 174). Das Stichwort „Utopie" taucht gar nicht auf. Insgesamt ist in
theologischer Hinsicht in diesem Grundriß als eigener Beitrag vor
allem beachtenswert die Wiederentdeckung einer Schöpfungsethik
(Beispiel: Umwelt).

Die kritischen Bemerkungen zu einzelnen Abschnitten sollen und
wollen keineswegs Bedeutung und Gewicht dieses gelungenen Studienbuches
mindern. Manches konnte wohl auch aus Raumgründen
gar nicht berücksichtigt werden. Aber einige Ergänzungen wären sinnvoll
und wünschenswert. Didaktisch geschickt und gut informiert

über den Diskussionsstand auch außerhalb der evangelischen Ethik
bietet Wiebering nämlich dem Studienanfänger im Fach Ethik eine
vorzügliche und anregende Hilfe zur Orientierung, die zur künftigen
Weiterarbeit einlädt.

Bonn Martin Honecker

Häring, Bernhard: Frei in Christus. Moraltheologie für die Praxis des
christlichen Lebens. Bd. I: Das Fundament aus Schrift und Tradition
. Bd. II: Der Weg des Menschen zur Wahrheit und Liebe.
Freiburg-Basel-Wien: Herder 1979/80 [3. Aufl. 1982]. 460/555
S. gr. 8'. Lw. DM 62-u. 74,-.

Der Name des Vf. ist über die Fachkreise hinaus durch sein mehrbändiges
Werk „Das Gesetz Christi" bekannt geworden. Genau fünfundzwanzig
Jahre nach dessen Erscheinen legt H. erneut eine große
zusammenfassende Darstellung der Moraltheologie vor, die nun
bezeichnenderweise nicht mehr das Gesetz Christi, sondern die Freiheit
in Christus in den Mittelpunkt stellt. Dazwischen liegt eben das
zweite Vatikanische Konzil, auf dessen Konstitutionen und andere
Texte mit vielen Zitaten hingewiesen wird, und dazwischen liegt auch
eine spürbare Erneuerung der Moraltheologie in Richtung auf die
stärkere Berücksichtigung des biblischen Zeugnisses und auf die
Offenheit zum Dialog mit den Humanwissenschaften. Die Folgen die
ser Vorgänge haben das Gesicht der katholischen Moraltheologie in
erheblichem Maße verändert und unter anderem die Verbindungs
linien zur evangelischen Ethik in früher ungeahntem Maße verstärkt
Das wird nun auch eindrücklich an dem neuen Gesamtentwurf deutlich
, den H. zunächst in englischer Sprache verfaßt und veröffentlich:
und dann für die deutsche Ausgabe selber bearbeitet hat.

Das Leitmotiv des ersten Bandes, der als Grundlegung für das Gesamtwerk
zu verstehen ist, sind „schöpferische Freiheit und Treue in
Mitverantwortung" (98). Das Leben in Christus wird als „Formung
der christlichen Persönlichkeit", als „Gewinn der Mitte, der heilen
Person" (103) beschrieben. Deswegen wehrt sich der Vf. immer wieder
dagegen, eine bloß normative Ethik zu schreiben, die sich allein an
der Frage „Was soll ich tun?" orientiert. „Raum und Betonung konkreter
Normen hängen von dem jeweiligen Verständnis christlichen
Lebens und dem besonderen Ziel der Moraltheologie ab" (331). Die
Integration der Normenfrage in das umfassendere Bild der verantwortungsvollen
Persönlichkeit wendet sich ausdrücklich gegen eine
moraltheologische Tradition, die im Dienste einer nur auf Kontrolle
kirchlicher Ordnungen gerichteten Beichtpraxis stand. So ist das Buch
von Kritik gegen „Moralisten" der eigenen Kirche durchzogen, die
das „Herrschaftswissen" an die Stelle von „Heilswissen" oder zumindest
„Seinswissen" gesetzt haben. „In solchen Situationen führte die
Moralausbildung zur Kenntnis vieler Einzelgesetze, aber ohne ganzheitliches
Kennen des einen großen Gesetzes der Liebe, der Barmherzigkeit
, der rettenden Gerechtigkeit Gottes" (47). Entsprechend diesem
Grundansatz kommt es H. darauf an, mit'seinem Buch weniger
zum „Beichtvater" alten Stils als vielmehr zu verantwortlichen Priestern
und Laien zu sprechen.

Die Disposition des ersten Bandes umfaßt acht Kapitel. Nach
einem biblischen Durchblick, um die Bibel in ihrer Ganzheit vor
Augen zu haben, und einem knappen Rückblick auf die Geschichte
der Moraltheologie wird das Leitmotiv „Verantwortung in schöpferischer
Freiheit und Treue" in seinen Aspekten entfaltet. Das vierte
Kapitel bietet eine biblische Theologie der Freiheit in Christus, die
trinitarisch ausgestaltet ist. Erst nach diesem knapp zweihundert Seiten
umfassenden Anlauf werden die klassischen Themen katholischer
Moraltheologie in Angriff genommen: die Grundentscheidung, das
Gewissen, Naturrecht und andere Normen, Sünde und Bekehrung.
Bemerkenswert ist dabei etwa, wie ausführlich über die „Grundoption
" reflektiert wird, die verstanden wird als ,Jene umfassende
Richtung der menschlichen Gesinnung und Intention, die die ganze
Dynamik der Ausrichtung und damit auch die Qualität der einzelnen
Entscheidungen und Akte mitbestimmt" (174). Von der Grundent-