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Ausgabe:

1983

Spalte:

778-781

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Autor/Hrsg.:

Bleyler, Karl-Eugen

Titel/Untertitel:

Religion und Gesellschaft in Schwarzafrika 1983

Rezensent:

Althausen, Johannes

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Theologische Literaturzeitung 108. Jahrgang 1983 Nr. 10

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tet. Der ÖRK versteht sich gegenüber seinen Mitgliedskirchen viel
bewußter als Träger der prophetischen Dimension kirchlichen Handelns
(anders als Vf. auf S. 285). Das ist nicht zu übersehen, selbst
wenn der ÖRK gelegentlich „Weltkirche"-Allüren zeigen sollte.
Aber deutlich ist doch, daß letzteres beim Antirassismus-Programm
am al lerwenigsten erkennbar wird.

In den Kapiteln II und III werden aus der Fallstudie Orientierungen
und Schlußfolgerungen für kirchliche Friedensarbeit abgeleitet,
gemeint ist natürlich vor allem die katholische Kirche in der BRD.
Die von Anfang an gewählte induktive Arbeitsweise findet hier ihre
folgerichtige Weiterführung. Sie ist gut gemacht und gipfelt in der
Unterscheidung zweier konkurrierender „Auffassungen und Gestalten
von Religion: Die symbolisch reproduzierende und die symbolisch
antizipierende." (S. 329) Vf. geht von der zweifellos richtigen
Vorstellung aus, daß kirchliches Handeln in sozialen und politischen
Bezugsfeldern nicht von der Position der Macht her erfolgen kann,
wenn diese Möglichkeit auch hier und da gegeben sein sollte, genutzt
wird und leider oft mißbraucht wird. Wichtiger ist das genuin kirchliche
ethische Handeln, das sich praktisch nur einer symbolischen
Sprache bedienen kann. Ihre Bedeutung sollte man freilich nicht
unterschätzen. Sie wirkt sich intern aus und bestimmt die Wirksamkeit
der Kirchen nach außen. Natürlich darf man nicht meinen, kirchliche
Institutionen hätten anderen Gesetzen zu folgen als nichtkirchliche
. Darum ist Selbstreproduktion das ihr innewohnende Bestreben.
Demgegenüber ist nun aber zu fragen, wie „der Konflikt zwischen
dem erklärten kirchlichen Hauptinteresse an der glaubwürdigen
Ankündigung eines ,heilen Zustandes' der Menschheit und dem tatsächlich
leitenden Interesse der Kirchen an ihrer institutionellen
Selbstreproduktion mittels Reproduktion der politisch-sozialen
Systeme gelöst werden" kann (S. 329). Die Antwort sucht Vf. in der
symbolisch antizipierenden Gestalt kirchlichen Handelns. Sie „hebt
sich von der symbolisch reproduzierenden ab durch ihr bewußtes Eingreifen
in das bestimmte politisch-soziale Diesseits der gesellschaftlichen
Gegensätze mittels situationsbezogener Auseinandersetzung
um die richtige Auslegung und Verwirklichung kirchlicher und
gesamtgesellschaftlicher Grundsätze. Sie steht in andauerndem kritischen
Austausch mit Instanzen und Gestalten nichtkirchlicher Vernunft
und ist vom Ansatz her eine stete, aber konstruktive Beunruhigung
gesellschaftlicher Zustände, damit aber eine glaubwürdige und
zukunftsträchtige Gestalt religiöser Selbstproduktion, die auch ein
gewisses Maß an Reproduktion zuläßt und braucht." (S. 3290 Konkret
entspricht dieser Aufgabe der Kirche vor allem die Bereitschaft
einer sachgerechten Analyse der Situation, in der sie jeweils lebt - im
vorliegenden Fall der Erkenntnis des Entkolonisierungskonflikts, der
die Kirchen auf der Seite der Kolonialmächte und wegen ihres antikommunistischen
Vorverständnisses nicht auf der Seite derer vorfindet
, die als Verbündete der Entrechteten angesehen werden müssen,
sowie die Bereitschaft, Solidarität mit den Armen und Entrechteten zu
üben - was Verständnis für ihr Handeln auch in der Gewaltfrage einschließt
, ebenso ein solches Verständnis für ihr Verhalten nach der
Entkolonisierung gegenüber den Kirchen und was schließlich bedeutet
, daß die Kirchen Europas ihre Interpreten und Fürsprecher sind,
um alle Formen des Neokolonialismus zu beseitigen.

Diese am Ende zugespitzten Forderungen des Vf. kann man nur
unterstützen, und das auch im Blick auf die protestantischen Kirchen.
Dennoch möchte der Rezensent nicht verschweigen, daß ihm im
Rückblick auf die Studie eine Reihe von Fragen offen geblieben ist. Sie
können nicht mehr alle erwähnt werden. Mit einem Gedanken soll die
Richtung angedeutet werden, in die sie alle mehr oder weniger verweisen
.

Von Anfang an bezeichnet Vf. „das Heil und Wohl des Menschen
als Ziel kirchlichen Handelns" (S. 20). Das meint er im Rahmen eines
dialogisch Aufeinander-Angewiescnseins von Offenbarung und
Naturrecht. „Der Sinn und die Aufgabe der Beziehung von Naturrecht
und Offenbarung besteht darin. Jenseits' und .Diesseits' notwendig
verbunden zu sehen, so daß das .Diesseits' eine vorläufige

Vorwegnahme der den Menschen zugesagten Gemeinschaft mit Gott
wird, die dennoch letztlich stets jenseits' ihrer .diesseitigen' Vorwegnahmen
bleibt." (S. 26) Dem Interesse des Vf., von dieser Grundansicht
aus den konstitutiven Stellenwert der in der Entkolonisierung
gegebenen Situation gegenüber deduktiv erfaßbaren theologischen
Wahrheiten zu behaupten und die induktive Methode der Studie
damit als theologisch relevant zu begründen, muß man zustimmen.
Zu fragen aber wäre, ob Vf. die Grenzen der Handlungsmöglichkeiten
der Kirche auch im Auge behält. Die Gemeinschaft mit Gott ist ihr
nicht einfach verfügbar. Und ob Heil in dem Sinne vorweggenommen
werden kann, daß die im .Jenseits' erwartete Verwirklichung des Heils
als Verlängerung diesseitiger Verwirklichungsversuche erhofft werden
kann, ist doch eben sehr fraglich (gegen Anm. 923 auf S. 287). Ist diesseitiges
Handeln und Hoffen nicht immer auch der Sünde verfallen
und eben nur durch die Erneuerung aus Tod und Auferstehung Christi
als antizipierendes Handeln möglich? Ist von dieser Voraussetzung
her die Aufgabe der Kirche überhaupt so einseitig als „Heilshandeln"
zu beschreiben? Ist die Sündhaftigkeit der Kirche vom Vf.
(S. 314-319) wirklich im Lichte des Kreuzes Christi gesehen? Wirkliches
„Zeichen seiner .Erlösung' von den .Sünden' der Welt und der
Kirchen" (S. 319) ist doch nur der Galgen von Golgatha, dessen
Leidensgestalt die Kirche mitzutragen hat, wenn sie Heil antizipiert.
Man wird den Eindruck nicht los, daß die Position, die hinter der
Negation der berechtigten Kritik des Vf. steht, doch eine Kirche ist,
die eben auch nur eine bessere Heilsanstalt ist als die gegenwärtige
Kirche. Man wüßte sich mehr mit dem Vf. eins, wenn dies die Kirche
des Kreuzes und der Nachfolge Jesu wäre. Vielleicht geht es bei diesem
Dissens eben auch um ein ökumenisches Problem.

Insgesamt handelt es sich bei dieser Studie um einen sehr wichtigen
Beitrag zum Verständnis nicht nur der Situation im südlichen Afrika,
sondern auch zur Kirchengeschichtsschreibung in Afrika, und das
nicht mir wegen ihres sehr hohen Informationswertes (das Literaturverzeichnis
gibt 361 Titel an, ein ausführliches Register ist ein zusätzlicher
Schlüssel für die vielen wichtigen Informationen), sondern auch
wegen der Darstellung der globalen Zusammenhänge, die jeden einbeziehen
und vor Entscheidungsfragen stellen.

Berlin Johannes Althausen

Bleyler, Karl-Eugen: Religion und Gesellschaft in Schwarzafrika.

Sozialreligiöse Bewegungen und koloniale Situation. Stuttgart
-Berlin-Köln-Mainz: Kohlhammer 1981. 207 S. gr. 8". Kart.
DM 49,80.

Wenn sich Religionen begegnen, sind gesellschaftliche Konflikte
auszuhalten. Wo unterschiedliche soziologische Bezugsfclder aufeinandertreffen
, werden Fragen gestellt, die die Identität der Menschen,
ihre Frage nach dem Sinn des Lebens, ja ihre religiösen Bezüge betreffen
. Und was so allgemein gilt, trifft in besonderer Weise in Afrika zu.
Das ist seit langem bekannt. Aufmerksame Missionare und Mitarbeiter
der afrikanischen Kirchen haben immer wieder darauf hingewiesen
und auch im eigenen Verantwortungsbereich ihre Konsequenzen
daraus gezogen. Einzelstudien über den religiösen Wandel Afrikas
angesichts gesellschaftlicher Umbrüche oder umgekehrt über den
gesellschaftlichen Wandel und seine Bedeutung lürdie Religion sind
schon eine ganze Reihe vorhanden. Der sehr gründlichen soziologischen
Untersuchung des Freiburger Fachrcdakteurs und Lehrbeauftragten
, Karl-Eugen Bleyler. kommt besondere Bedeutung zu. weil sie
sich zusammenfassend mit denjenigen gesellschaftlichen Phänomenen
Afrikas beschäftigt, die die Konflikte von Religion und Gesellschaft
in besonderer Weise widerspiegeln, mit den sozial-religiösen
Bewegungen. Sic bedient sich des weiträumigen soziologischen Instrumentariums
sehr differenziert und findet dadurch die Möglichkeit,
sich weitestgehend von religiöser oder theologischer Wertung freizumachen
. Gleichzeitig läßt sie aber auch erkennen, daß ihr die theologischen
und kirchlichen Kategorien für die Betrachtung der geschil-