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Ausgabe:

1983

Spalte:

775-778

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Autor/Hrsg.:

Lay, Michael van

Titel/Untertitel:

Kirche im Entkolonisierungskonflikt 1983

Rezensent:

Althausen, Johannes

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Theologische Lileraturzeitung 108. Jahrgang 1983 Nr. 1Ü

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mcn. Vor allem ist sein theoretischer Rechtsanspruch immens: „Die
katholische Kirche beansprucht als einzige Kirche Christi volle Juris-
diktionshoheit über alle Getauften, mögen sie in ihr oder in einer
anderen christlichen Gemeinschaft getauft sein, mögen sie sich zu ihr
bekennen oder nicht." (S. 119) Aber auch der faktische Geltungsbereich
dieses Rechtssystems ist gewaltig. Darin allerdings liegen
ungeheure, mit rationalen Mitteln wohl nicht lösbare, die gesamte
gesellschaftliche Situation zutiefst belastende Probleme. Die römischen
Katholiken, die im Bereich grundrechtsbestimmter Verfassungsstaaten
leben und zu deren „Funktionieren" Entscheidendes
beitragen, haben ein Rechtssystem religiös zu bejahen, das dem modernen
Rechtsstaat widerspricht. Konsequenterweise klingt die
Untersuchung Neumanns in einer Warnungaus: „Welch gesellschaftlicher
Sprengstoff darin enthalten ist, wird die Zukunft erweisen".
(S. 351)

Neumanns Grundriß ist thematisch vom C.I.C. bestimmt, übernimmt
aber dessen Aulbau (vgl. S. 430 nicht, da dieser höchstens
historisch, nicht jedoch rechtssystematisch plausibel ist.

Der Grundriß besteht aus drei Teilen. Teil I umfaßt die Abschnitte
I und 2. Hier werden GrundbegrilTc des Rechts und des Kirchenrechtes
sowie deren historische Entwicklungen besprochen. Den
Schluß dieses Abschnittes bildet die kurze Erörterung des kanonischen
Strafrechtes. Der zweite, umfassendste Teil mit den Abschnitten
3 bis 8 bespricht die verfassungsmäßige Struktur der röm.-katholischen
Kirche (Papsttum. Kurie, Konzile. Bisehofsamt, Synoden.
Parochie usw.), dann das besondere Recht der Mission, das
Ordensrecht, das Sakramentsrecht, das Lehramt und das Vermögensrecht
. Besonders kritisch ist Neumanns Stellungnahme hinsichtlich
der im Rahmen des Sakramentsrechts besprochenen sogenannten
„Laisicrung": „Der Betreflende soll sozial heimatlos, berufslos und
geistlich ortlos gemacht werden." (S. 272)

Der dritte Teil (zugleich Abschnitt 9) ist dem Problcmkrcis Staat
und Kirche gewidmet. Nach einem historischen Überblick werden die
verschiedenen Formen des Verhältnisses von Kirche und Staat
besprochen. So z. B.: Identität von Staat und Religion, Slaatskirchen-
tum, Landeskirchenhoheit, totale, distanzierte, neutrale Trennung
von Kirche und Staat, freundschaftliche Partnerschaft.

..Das Kirchenrecht gehört nicht zu den gefragtesten Fächern", sagt
Neumann im ersten Satz seines Vorwortes (S. XV). Das könnte sich
ändern, setzten sieh hier seine theologische Wertung des Gegenstandes
und seine Kunst der Darstellung durch.

Wien Koloman N. Micske)

Ökumenik: Allgemeines

Lay. Michael van: Kirche im Entkolonisierungskonflikt. Eine Fallstudie
zum Krieg um die Entkolonisierung Mocambiques
1964-1974. Mit einem Vorwort von W. Dreier u. einem Nachwort
.F. J. Couto. München: Kaiser; Mainz: Matthias-Grünewald-
Verlag 1981. 399 S. 81 = Entwicklung und Frieden, 23. DM 56,-.

Eine sozialwissenschaftliche Studie über die Entkolonisierung
Mocambiques und die Rolle der Kirchen in diesem Geschehen muß-
das erwartet der wache Leser nicht anders - mit diesen Kirchen ins
Gericht gehen. Vf. tut das ohne jede Beschönigung und Rücksicht.
Seine sorgfältig erarbeitete Darstellung gibt ihm dazu weitgehend das
Recht. Seine Sprachgewandtheit verführt ihn gelegentlich zu journalistischer
Schärfe, hilft andererseits aber auch zur Zusammenschau
scheinbar unabhängiger Fakten oder auch zum Verständnis der gelegentlich
dialektischen Sicht des Vf.

Es ist erstaunlich, welche Bandbreite der Standpunkte in der Reihe
der Publikationen der Wissenschaftlichen Kommission des katholischen
Arbeitskreises Entwicklung und Frieden in der BRD zu Worte
kommt. Daß nach dem ersten Buch (vgl. die Besprechung über

Ansprengcr, Der Schwarz-Wciß-Konflikt in Afrika, in ThLZ97,
1972 Sp. 3161) mit seiner mehr auf Dokumentation gerichteten
Arbeitsweise mehr und mehr parteiisch geschriebene Monographien
erseheinen müssen, liegt in der Natur des Konflikts im südlichen
Afrika, mit dem sich die Kommission vordringlieh beschäftigt. Dennoch
ist bemerkenswert, daß Vf. mit der Frelimo, der er sieh durch
Begegnungen an Ort und Stelle innerlich voll verpflichtet weiß, auch
deren „natürliche Alliierte" (S. 206), d. h. die sozialistischen Staaten
Europas und China als Verbündele versteht und behandelt (S. 251,
297 u. ö.) und konsequent gegen alle Formen des Antikommunismus
l/usammenfassend S. 346IT) vorgeht. Nach dem Buch zu urteilen, gehörte
er schon während der frühen 70er Jahre zu den freien, meist
Ökumenisch zusammengesetzten Solidaritätsgruppen westlicher Länder
, die. zumeist von Studenten getragen, gegen eine den Kolonialmächten
in die Hand arbeitende Informationspolitik der Kirchen
eigene parteiische Maßnahmen ergriffen, um Gerechtigkeit für die
Unterdrückten zu erkämpfen. Seiner Studie spürt man nicht nur diesen
Hintergrund ab. Sie bedient sich auch der marxistisch-leninistischen
Wirtschafts- und Sozialanalyse und verteidigt sie als notwendig
zur Klärung der wahren Situation (S. 336ff u. ö.). Und sie verrät
gelegentlieh auch einen offensichtlich bis in den Bereich der Emotion
hineinreichenden Anti-Institutionaltsmus, wie er in diesen Kreisen oft
zu linden war (vgl. besonders S. 284, aber auch andere Stellen). Das
alles hilft dazu, ein engagiertes Urteil zu fällen und eine Darstellung
vorzulegen, die sehr zur Klärung oft verunklarter Zusammenhänge
beiträgt, und das umso mehr, als die Arbeit bis zuletzt ihre Gedanken
ausführlich belegt und wissenschaftlich hinterfragt, systematisiert und
autbereitet.

Die in den ersten beiden Dritteln des Buches vorgelegte historische
Studie behandelt die Entkolonisierung Mocambiques als einen Kon-
llikt. der nurauf der Basis historischer Einsichten und nur im Kontext
weltweiter Zusammenhänge voll erklärbar ist. Neben einem Einblick
in die Kolonialgesehiehte besonders Portugals werden dabei ökonomische
und vor allem auch militärpolitische Aspekte stark berücksichtigt
. Dann geht Vf. auf die Rolle der Kirchen ein, und zwar nicht
nur derer in Mocambique, sondern ebenso derer in Amerika und
West-Europa sowie in den sozialistischen Ländern. Auch die internationalen
kirchlichen Gremien werden behandelt. Das ist ein so global
angelegtes Programm, daß die Darstellung in einigen Passagen etwas
oberflächlich wird. Jedenfalls ist die zusammenfassende Beurteilung
der Situation in den Kirchen der sozialistischen Länder (S. 2240 viel
/u pauschal. Sie ist auch nicht belegt. Daß Vf. es hier weithin mit Kirchen
zu tun hat. die auf Grund ihrer konfessionellen Tradition eine
eigengeprägte Haltung gegenüber f ragen des Rassismus und Kolonialismus
- übrigens auch nicht alle gleichlautend - einnehmen, wird
nicht erkennbar (gl. auch S. 2490. Daß die Kirchen in der DDR eine
besondere Beziehung zur Frelimo herzustellen bemüht waren, ist Vf.
auch entgangen. Und leider ist auch die Behandlung der CFK
(S. 217-225), so sehr ihre ausführliehe Erwähnung hier zu begrüßen
ist, nicht differenziert genug, etwa was ihre Zusammenarbeit mit der
Weltfriedensbewegung oder was ihre Rolle als gemeinsame Plattform
der Kirchen in sozialistischen Ländern angeht. (Nikodim war nicht
Patriarch, S. 249.) Am schlimmsten wirkt sich die mangelnde Gründlichkeit
in der Auswertung einschlägigen nichtkatholischen Quellenmaterials
bei der Behandlung des „Programms zur Bekämpfung des
Rassismus" und des Ökumenischen Rates der Kirchen überhaupt aus
(S. 159, 193f, 246ff u. ö.). Vf. hätte besser getan, sich auf die katholische
Kirche zu beschränken. Seine Urteile über den Bereich der protestantischen
Kirchen kann man ihm so nicht abnehmen. Darum
muß er sich auch die Kritik gefallen lassen, daß die in den Kapiteln II
und HI vorgenommene Generalisierung der Kirchen (evangelische
und katholische werden immer zusammen gesehen) nicht begründet
ist. So einfach kann man das unterschiedliche ekklesiologische Selbstverständnis
nicht über Bord werfen. Es wäre interessant zu erfahren,
ob das dem Vf. möglicherweise nur unterläuft, weil er eben kirchliche
Institutionen weniger unter theologischen Gesichtspunkten betrach-