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Ausgabe:

1983

Spalte:

772-773

Kategorie:

Kirchenrecht

Autor/Hrsg.:

Plathow, Michael

Titel/Untertitel:

Lehre und Ordnung im Leben der Kirche heute 1983

Rezensent:

Micskey, Koloman N.

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Theologische Literaturzeitung 108. Jahrgang 1983 Nr. 10

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zu Beginn dieses Jahrhunderts: Jede richtige Teilerkenntnis trägt in
sich die Tendenz, sich zu verabsolutieren und somit zur Spaltung, zur
Schul- und Gruppenbildung beizutragen.

H. Clinebell, der sich in den letzten Jahren zu einer der zentralen
Figuren der pastoralpsychologischen Bewegung entwickelte, sucht
dieser Gefahr mit einem integrativen Theorie- und Praxismodell entgegenzuwirken
, das auf den Zentralbegriff des „Wachstums" konzentriert
ist, und in dem „Mut zu einem fruchtbaren Eklektizismus"
(S. 15) gemacht werden soll.

In den ersten sechs hier vorgelegten Kapiteln werden zunächst die
Ziele der wachstumsorientierten Beratung als Belebung des Geistes,
Wiederbelebung des Körpers, Erneuerung unserer menschlichen
Beziehungen, der Beziehung zur Biosphäre, sowie zu Organisationen
und Institutionen bis zur Belebung der Beziehung zu Gott beschrieben
. Dann werden die Arbeitsprinzipien der Wachstumsarbeit vorgestellt
, die in der schlichten „Wachstumsformel" kulminieren:
„Wachstum = Zuwendung + Konfrontation" (S. 52), und in der auch
eine Auseinandersetzung mit dem Bösen vorgenommen wird, das
allerdings von Clinebell (wie schon von Wilhelm Busch) eher als das
Gute, das man läßt, angesehen wird. Es entsteht dabei die konkrete
Utopie eines Netzwerkes, für das keineswegs ein „riesiges Anwachsen
der Therapeuten und beruflichen Wachstumshelfer erforderlich" ist,
sondern von Gruppen, „die von ausgebildeten Laien geleitet werden,
herzlich und fürsorglich sind und durch den Umgang mit ihren
eigenen Krisen gewachsen sind" (S. 62).

Verlauf und Methoden der wachstumsorientierten Beratung werden
vorwiegend an einer Fallstudie erläutert, während ein Kapitel
über die Lebensphasen wieder mehr entwicklungspsychologische
Theorie in Anlehnung an Erikson bietet. Geistliches Wachstum wird
schließlich als der Schlüssel allen Wachstums überhaupt aufgewiesen,
wobei die Kriterien einer gesunden und seelenhygienisch einwandfreien
Religiosität aufgelistet werden. Dem entspricht das 6. Kapitel,
in dem auf biblische und theologische Ressourcen der wachstumsorientierten
Beratung verwiesen wird, nach einer Synthese zwischen
biblischen Wachstumssymbolen und humanistischer Psychologie
gesucht wird (S. 144) und die Richtung auf eine „ganzheitliche Theologie
" hin eingeschlagen wird, wie Clinebell sie teilweise in Ansätzen
der Prozeßtheologie, aber vor allem in der feministischen Theologie
verwirklicht sieht.

Fast jedem Kapitel ist eine kleine Meditationsübung nachgestellt,
die wohl der emotionalen Aneignung durch den Leser dienen soll. Am
Schluß gibt es sogar einen Fragebogen, mit dessen Hilfe man ganz
leicht sein gesamtes Leben sofort ändern kann.

Insofern ist es also doch auch wieder ein typisch amerikanisches
Buch, das aber srhr flüssig geschrieben ist und mit seinen lebendigen
Beispielen auch 1 raxisnähe ausstrahlt. Hervorzuheben ist die überaus
sorgfältige Übersetzung (W. Becher und A. Hartmann), der man nur
ganz gelegentlich etwas mehr Mut zur Lösung vom Wortlaut des Originals
gewünscht hätte. („Gipfelerfahrung" und „axiologische
Depression" sind natürlich korrekte Übersetzungen, nur weiß wirklich
jeder, was damit gemeint ist?)

Zum Ganzen habe ich zwei Bedenken anzumelden:

1) So sehr ich es leid bin, die Ergüsse einer positionellen Theologie
zu lesen, die sich mittels immer kleinlicherer und subtilerer Differenzierungen
profilieren müssen und so sehr ich es begrüße, daß hier einmal
das alle Verbindende mit kräftigen Strichen herausgehoben wird:
Könnte mit dem Zauberwort „Wachstum" nicht eine Einheitsformel
gefunden sein, die nun andererseits jede auch vernünftig erscheinende
Differenzierung verwischt? Es kommt mir am Ende doch mehr wie
eine Palette denn als ein Gemälde vor, wenn da eine Schattierung Tillich
gelegt wird, dort eine Lage feministischer Theologie interpretiert
wird, dort eine Nuance Erikson, garniert mit ein paar Tupfern Ökologie
, hier etwas Psychoanalyse, aufgehellt durch Verhaltenstraining,
hier ein Schuß Mystik und dort ein Körnchen politische oder auch
Prozeßtheologie. Ich staune, welche Autoren da doch schlankweg in
einem Atem genannt werden und zweifele, ob die wirklich alle nur

eins wollen, nämlich Wachstum! Ich finde es auch gar nicht leicht,
dem Autor selber zu begegnen, obwohl er scheinbar mit seiner ganzen
schulterklopfenden Individualität auf jeder Seite präsent zu sein
vorgibt!

2) Und das andere: Wieso eigentlich Wachstum? Der für mein
Empfinden wirklich monomane Gebrauch dieser Vokabel auf buchstäblich
jeder Seite läßt es fast übersehen, daß der Verfasser es völlig
unterläßt zu begründen (oder theologisch abzuleiten), warum denn
nun ausgerechnet der Wachstumsbegriff in der Lage sein soll, die auseinander
driftenden Einzelerscheinungen der Seelsorgebewegung
zusammenzuhalten? Er ist von einer solchen Allgemeinheit und Formalität
, daß durch ihn tatsächlich alles mit allem verbunden werden
kann. Wachstum als eine Art Universalkleber also im Sinne von
O'Neill: "Thegrace ofGod isglue"?

Ich möchte jedenfalls den Autor besser gegen den Vorwurf verteidigen
, er liefere nur das religiöse und seelsorgerliche Gegenstück zu
einer typisch kapitalistischen Wachstumsideologie, denn das will er
mit Sicherheit nicht! Aber vielleicht gibt der zweite Band etwas mehr
Aufschluß und mehr Denkanstöße, auf die man nur gespannt sein
kann.

Kiel Joachim Scharfenberg

Kirchenrecht

Plathow, Michael: Lehre und Ordnung im Leben der Kirche heute.

Dogmatische, rechtstheologische und pastoraltheologische Überlegungen
zu den Lebens- und Visitationsordnungen unserer evangelischen
Kirche. Göttingen: Vandenhocck & Ruprecht 1982. 314 S.
gr. 8° = Forschungen zur systematischen und ökumenischen Theologie
, 43. Kart. DM 58,-.

1) Wenngleich der Titel von „Lehre und Ordnung im Leben der
Kirche" spricht, gilt das primäre Interesse der Untersuchung
Plathows dem Fragekomplex „Lebens- und Visitationsordnung".
Teile A und B des dreiteiligen Werkes tragen diesem primären Interesse
ausdrücklich Rechnung. Teil A steht unter dem Titel: „Die
Lebens- und Visitationsordnung der VELKD und der unierten Landeskirchen
innerhalb der EKD", Teil B „Die Vorgeschichte der
Lebens- und Visitationsordnung der VELKD und der unierten Landeskirchen
im Kirchenkampf'. Wohl trägt der umfangreichste Teil C
den Titel: „Systematische Überlegungen: Lehre und Ordnung im
Leben der Kirche", aber auch hier geht es vornehmlich um Ordnungsund
Visitationsprobleme. In diesem Teil C werden zuerst theologische
Überlegungen zur Ordn'ungsfrage aus der jüngsten Vergangenheit
der prostestantischen Theologie in Deutschland referiert. So zum
Beispiel: „Edmund Schlinks Begründung der Ordnung in der Schlüsselgewalt
", „Wilhelm Maurers parakletisches Verständnis der
Lebensordnung", „Karl Barths christokratisch-liturgische Ordnung"
(S. 106ff;108ff;lllf).

Den einzigen systematisch-theologischen Abschnitt im Sinne von
„Dogmatik" finden wir auf den Seiten 123 bis 127, wo eine Art
Zusammenfassung theologisch gültiger Ausführungen über die Kirche
vorliegt („Das Kirchenverständnis").

Auf den Seiten 127 bis 151 werden rechtstheologische Konsequenzen
des vorangehend zusammengefaßten Kirchen Verständnisses auseinandergelegt
, während die anschließenden Überlegungen uns vielseitig
und gut über verschiedene rechtstheologische Positionen - (zum
Beispiel R. Sohm, G. Holstein, H. Liermann, Erik Wolf, J. Heckel,
H. Dombois) informieren (S. 151-228).

Das Werk schließt mit pastoraltheologischen Erörterungen der
Lebensordnungs- und Visitationsfragen und mit Schlußthesen, die
den Inhalt knapp zusammenfassen (S. 228-295 bzw. S. 295-297).