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Ausgabe:

1983

Spalte:

768-769

Kategorie:

Systematische Theologie: Ethik

Titel/Untertitel:

Johannes Paul II. Papst, Dem Leben in Liebe dienen 1983

Rezensent:

Wiebering, Joachim

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Theologische Literaturzeitung 108. Jahrgang 1983 Nr. 10

768

Heilung ein. Es geht dem Vf. sowohl um Heilung des einzelnen Menschen
als auch um Heilung des öffentlichen Lebens, indem „Mitverantwortung
in schöpferischer Freiheit" geweckt wird.

Der Band umfaßt acht Kapitel, von denen die ersten drei Themen
der Bioethik behandeln: Verantwortung für menschliches Leben und
seine Weitergabe, Gesundheit und Heilen, Tod und Sterben. Der Vf.
bietet hier eine weitgespannte medizinische Ethik, die auch ausführlich
auf Fragen der Genetik und Manipulation, der Psychotherapie
und der Bevölkerungspolitik eingeht. Er wirbt - sozusagen im Blick
auf die traditionellen Normierungen in der moraltheologischen Tradition
- um mehr Differenzierung bei der Beurteilung der Sterilisation
oder der Sterbehilfe, die eben nicht von einer starren Norm her
gesehen werden dürften. Eindeutig ist die Ablehnung des Schwangerschaftsabbruchs
(es sei denn, es handle sich um die Rettung des Lebens
der Mutter) und jeder heterologen Befruchtung bei Kinderlosigkeit.
Breit wird das Ethos des Arztes besprochen, das sich vor allem auf sein
Verhältnis zum Patienten auswirkt, dessen „Recht auf ein Sterben mit
Würde" ebenso wie sein „Recht auf Wahrheit" unterstrichen werden.
Der Leser dieser Kapitel findet unter den Autoren, die ausführlich
zitiert und referiert werden, eine Fülle von Namen aus dem evangelischen
Bereich, woran wieder der Konsens zwischen katholischer
Moraltheologie und evangelischer Ethik erkennbar wird. Die
Gemeinsamkeit beruht auf der Grundentscheidung, „der eigenen
Sterblichkeit bewußt ins Auge zu schauen und von dort her die Sinngebung
des Lebens zu vertiefen" (98).

Das vierte Kapitel leitet zur „Heilung des öffentlichen Lebens"
über, indem es zunächst das christliche Verständnis von Welt entfaltet
. Als ihr Merkmal erscheint die „Vielschichtigkeit", und die
Kirche steht ihr nicht gegenüber, sondern ist ein „verwundeter Heiler
". Sowohl Dietrich Bonhoeffers Aussagen über die Eingestaltung
der Christuswirklichkeit in die Welt wie auch Martin Luthers „Idee"
von den zwei Reichen (allerdings ausdrücklich in der Interpretation
von Ulrich Duchrow) werden zustimmend herangezogen, um die verantwortliche
Gestaltung der Welt als Aufgabe christlichen Lebens zu
begründen. Zukunftsausrichtung (unter Würdigung der marxistischen
Impulse dazu) und Nüchternheit gegenüber einem Ignorieren der
Gefahren werden zusammengebunden. Das bleibt allerdings - wie die
meisten solcher Versuche, ein christliches Weltverständnis zu entwickeln
- ein Mosaik von Bausteinen, deren Verbindung zu einem
sinnvollen Ganzen nicht einleuchtet.

Konkreter geht es in dem folgenden Kapitel zu, das „Elemente einer
Umweltethik" vorstellt. Hier ist die neuere ökologische Diskussion
aufgegriffen, werden die vielfältigen Ursachen der Umweltbelastung
genannt und eine „ökologische Strategie" in Form von notwendigen
Schritten vorgestellt. Es scheint mir jedoch fraglich zu sein, ob „ein
nüchterner geläuterter Anthropozentrismus" (205) als Basis für die
Einstellung zur natürlichen Umwelt ausreicht. Wenn Eingriffe in die
Natur ausschließlich von den Bedürfnissen der Menschen her zu
rechtfertigen sind, wird es schwerfallen, die Bedürfnisse der Natur
auch im Blick zu behalten, und die Pointe der Ökologie zielt doch
wohl gerade darauf, der Wechselbeziehung von Mensch und Natur
gerecht zu werden und nicht bloß die Bedürfnisse der Menschen etwas
zurückzuschrauben. Ebenso scheint mir nicht das Wirtschaftswachstum
als solches eine „Kampfansage" zu verdienen, sondern die ungerechte
Verteilung dieses Wachstums (gegen 2100- Es ist schon bemerkenswert
, daß der Vf. dieses in der katholischen Moraltheologie noch
weithin unbeackerte Feld so ausführlich bestellt, auch wenn man
dabei nicht mit allem einverstanden sein mag.

Eine Fülle von Themen wird in den wohl nicht zufällig im Plural
betitelten Kapiteln „Wirtschaftsethische Gesichtspunkte" und
„Aspekte zur Ethik der Politik" angeschnitten. Beide Male versucht
der Vf., die Ausführungen am Beginn unter eine theologische Klammer
zu stellen: die „Ökonomie der Seligpreisungen", die auch das
wirtschaftlich-gesellschaftliche Leben „in die Perspektive der Seligpreisungen
" hineinholt, und die „Politik des Evangeliums", bei der
die politische Praxis von Menschen gestaltet wird, „die ganz vom

Geist des Evangeliums durchdrungen sind". Die Sozialethik setzt sich
für „soziale Gerechtigkeit" (30611), Subsidiarität auf allen Ebenen
(311 ff), die Sozialfunktion des Eigentums (326ff) und die Integration
bisher Diskriminierter (Frauen, Gastarbeiter, Arbeitslose) ein. Dabei
wird auch kräftig Kritik an der eigenen kirchlichen Vergangenheit
geübt, etwa am „Klerikalismus" und dem Spiel mit der politischen
Macht (372ff). Die politische Theologie bei J. B. Metz wird positiv
aufgenommen, aber eine gewaltsame Veränderung politischer Strukturen
abgelehnt. Angesichts politischen Unrechtes bleibt dem Christen
eine „vernünftige Gehorsamverweigeru'ng" und der Appell an
das Gewissen derer, „die sich direkt an Verbrechen beteiligen oder aus
dieser Situation Gewinn schlagen" (413ff). Ähnlich wird im abschließenden
Kapitel „Friede auf Erden" für die Gewaltlosigkeit im Sinne
Mahatma Gandhis und eine Mobilisierung des öffentlichen Bewußtseins
gegen die Schrecken des modernen Krieges plädiert.

Zweifellos ist es dem Vf. gelungen, gerade auf die aktuellen Herausforderungen
an die Ethik aufmerksam zu machen und kein heißes
Eisen zu scheuen, das dabei angefaßt werden muß. Dabei kommt es
dann zu politischen oder ökonomischen Urteilen, die nicht jeder
Leser teilen wird, aber der Vf. tritt auch nicht mit dem Anspruch auf,
die alleinverbindliche Lehre zu vertreten, sondern appelliert an die
schöpferische Freiheit zum ethischen Urteil. Ein „autonomes Weltethos
", wie es der Vf. im Anschluß an Alfons Auer vertreten will, verbindet
rationale Argumentation mit theologischer Begründung und ist
darum sicher für Kritik und andere Meinungen offen.

Leipzig Joachim Wiebering

Dem Leben in Liebe dienen. Apostolisches Schreiben: Über die Aufgaben
der christlichen Familie in der Welt von heute Papst Johannes
Pauls II. Mit einem Kommentar von Franz Böckle. Freiburg-
Basel-Wien: Herder 1982. 203 S.

Zu den Fragen der Sexual- und Familienethik hat sich Karol
Wojtyla bereits in einem 1960 in Lublin erschienenen Buch „Liebe
und Verantwortung" (deutsch München 1979) geäußert. Im Herbst
1980 hat sich die Römische Bischofssynode vier Wochen mit dem
gleichen Thema befaßt und als Ergebnis dem Papst 43 Propositiones
überreicht, die die Anregung für das vorliegende Apostolische Schreiben
gegeben haben. Es ist in vier Teile gegliedert: Die Familie heute -
Licht und Schatten, Ehe und Familie im Plane Gottes, Die Aufgaben
der christlichen Familie, Familienpastoral: Zeiten, Strukturen, aktiv
Beteiligte, besondere Situationen.

Dem evangelischen Leser lallt bei der Lektüre vor allem auf, in
welch hohem Maße die Kirche als „Lehrerin und Mutter" (so ausdrücklich
in Ziffer 33) für Ehepaare und Familien angesehen wird. Als
„Lehrerin" vermittelt die Kirche die sittlichen Normen Tür ein gesundes
Ehe- und Familienleben, wobei besonders auf die Aussagen des
zweiten Vatikanums und die Enzyklika „Humanae vitae" Papst
Pauls VI. verwiesen wird. Als „Mutter" steht die Kirche den Ehepaaren
und Familien bei persönlichen Schwierigkeiten in der Erfüllung
dieser Normen bei, doch die „Mutter" korrigiert die „Lehrerin
" natürlich nicht, sondern bemüht sich um eine geduldige „pasto-
rale Führung". Erst in der „Pastoral" des vierten Teiles wird darauf
hingewiesen, daß sich auch die Familien gegenseitig helfen.

Ferner ist bemerkenswert, daß besondere Aufmerksamkeit der gleichen
Würde und Verantwortlichkeit der Frau sowohl in der Familie
als auch im gesellschaftlichen Leben zugewandt wird. Die „Anmaßung
männlicher Vorrechte" wird ausdrücklich getadelt, und nirgends
findet sich etwa eine Aussage darüber, daß dem Vater bei der
Erziehung noch besondere Rechte zukommen. Eine Abkapselung der
Familie von der Gesellschaft und den anderen Erziehungsinstanzen
soll vermieden werden, doch der Staat muß erkennen, „daß die Familie
eine Gemeinschaft eigenen und ursprünglichen Rechtes ist. und
hat deshalb die ernste Verpflichtung, sich in den jeweiligen Beziehungen
zur Familie an das Subsidiaritätsprinzip zu halten" (Z. 45).