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Ausgabe:

1983

Spalte:

764-766

Kategorie:

Systematische Theologie: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Pfeiffer, Helmut

Titel/Untertitel:

Offenbarung und Offenbarungswahrheit 1983

Rezensent:

Dalferth, Ingolf U.

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Theologische Literaturzeitung 108. Jahrgang 1983 Nr. 10

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nicht in der Sinnhaftigkeit von Phänomenen, in historischen und
sozialen Verhältnissen, aber auch nicht in dem Sinn des Lebens, der
dazu ruft, sich auf das gegebene Leben einzulassen. Die Frage nach
Sinn zieht statt dessen in eine ständige Aufbruchstimmung hinein."
(S. 130)

Bleibt Sinn dann jenseitig, transzendent, unvermischt mit der Welt,
gleichsam doketisch (Kap. Vlll)? Ja, sofern wir mit Symbolen, Vermittlungsgestalten
(Ex 32,1-6), den Raum für Gottes Offenbarung
vorschreiben; Nein, sofern Gottes Gebot an den Menschen ergeht, in
dem von Gott gesetzten Lebensraum zu bleiben: also den Tod als Setzung
Gottes anzunehmen (Joh 5,24); die Gemeinschaft als Stiftung
Gottes anzunehmen, etwa im Abendmahl; kosmischen Sinn so anzunehmen
, daß Gott allein der jeweils Gebende ist und uns niemals universaler
Sinn offensteht.

Kap. IX: „Sinn" in der Geschichte Jesu Christi: Zeigt die Sinnfrage
an, daß wir Menschen die durch unser Rechtfertigungsbedürfnis hervorgebrachten
Beziehungen für die Wirklichkeit selbst nehmen, so
hatte schon Nietzsche diese schützende Schein-Welt als Ausweichmanöver
vor der nackten Welt entlarvt. „Nietzsche hat jedoch - wie
Goethe - überhört oder darüber hinweggelesen, daß Jesus in Joh 1,1
,das Wort' genannt wird", nicht als Symbol oder Sinn, sondern als
bestimmtes Wort, als Wort der Schöpfung Gottes, die uns in der
„Gleichursprünglichkeit von ,Sinn' im Doppelsinn des Gegebenen
und des Vernehmbaren" begegnet (S. 146). Entsprechend: „Jesus hat
voll und ganz die Geschöpflichkeit angenommen, er hat in ihrer
Bestimmtheit gelebt und ist so gestorben ... Mit seinem bloßen
Dasein ist alles gesagt, ist er das bestimmte Wort Gottes." So ist auch
das Kreuz nicht als Sinn-Fadenkreuz unserer Wirklichkeit zu verstehen
, sondern als „das in die Welt gesetzte Zeichen der Geschichte
Gottes mit dem Menschen", die „Hoffnung wider alles Erwarten"
(Rom 4,18). „Nicht das durch Jesu Sterben vorgeprägte Leiden gilt es
wiederholt zu erfahren, sondern im Leiden soll erfahren werden, daß
Leben allererst bedeutet: das Entscheidende an sich geschehen lassen.
Darin besteht die Wahrnehmung des .bestimmten Sinnes'" (S. 153).
Der Weg führt so vom Vernehmen (erkennen) über das Angenommenwerden
(anerkennen) zum neuen Urteilen im Glauben (bekennen
) in der Consensus-Gemeinschaft der glaubend Einstimmenden
(was Konsequenzen für die Ekklesiologie und Anthropologie zeitigen
wird). Nicht der Consensus als Kriterium der Wahrheit (etwa bei
J. Habermas), sondern als Einstimmen „in das, was Gott als Einheit
erschafft, im Unterschied zur Übereinstimmung, die durch Gemeinsamkeit
bewirkt wird". „Der Consensus hat es mit dem versöhnenden
Handeln Gottes zu tun, der seine Menschen und seine Welt nicht aus
seiner Hand fallen und nicht von ihm geschieden sein läßt. Nach Sinn
fragen heißt: an diesen Consensus gewiesen und von ihm gehalten
sein."(S. 158)

Die Sinn-Frage als Götzen-Frage (Kap. X): Wird Sinn als Bedeutungsganzheit
erfaßt, dann wird Gott entsprechend vergötzt zum Universalzusammenhang
, zum letzten Sinn. Schöpfung wird dann zum
Zweck, statt Selbstzweck zu bleiben (Gen 1,31); Glaube wird zur umfassenden
Deutung, statt kontingente Wahrnehmung sein zu dürfen;
Sinnhaftigkeit und Faktizität treten auseinander, statt Erfahrung der
„rechten Zeit" aus Gottes Hand sein zu können; Deuten und Handeln
werden zur permanenten Rechtfertigungsstrategie, statt sich allererst
durch Gott erneuern, mit neuem Sinn versehen, von Gott gehalten
sein zu lassen: „An die Stelle der Sinnfrage tritt der Sinn für das verborgene
Werk Gottes" (S. 166). Was heißt dann „Sinn": „Wahrnehmung
aus der Geschöpflichkeit, die von Gott selber auf sein Kommen
ausgerichtet wird" (S. 169).

Abschließend möchte ich kurz einige Eindrücke und Assoziationen
mitteilen (vgl. G. Sauter: „Sinn" und „Wahrheit", EvTh 40, 1980,
S. 93-126): Volle Zustimmung zur Entlarvung bürgerlicher Deu-
tungs- und Verwertungsreligion im Gewand der Sinn-Frage (Rückfrage
: Ist von hier aus der Ansatz der politischen Theologie nicht weiterführend
, wenn dort gerade das „Leiden am Leiden" ausgehalten
wird?); Einverständnis mit der Differenzierung von sinnvollem

Lebensziel und sinnhaften Zielen, die sich wohl auch gegen ein kulturprotestantisches
Verwischen der beiden „Reiche" wendet und gegen
jeglichen neuzeitlichen intellektuellen wie arbeits-aktiven Pelagianis-
mus (in der Anthropologie) und Ebjonitismus (in der Christologie)
und mir deswegen wie das berechtigte Bekämpfen eines umgekehrten
Doketismus vorkommt, nämlich der heutigen Schein-Welt des Menschen
von der wirklichen Welt Gottes als Schöpfung her. (Rückfragen:
Bedeutet diese „Reinigung" der Sinn-Frage als deren Reintegration in
Gottes rechtfertigende Selbstoffenbarung eine Fortsetzung der „Theologie
der Krisis" in sog. positiver Richtung? Dann aber treten die
damals vom Nominalismus bis zum Offenbarungspositivismus
erhobenen Anfragen, wenn auch gewandelt, auch hier wieder auf,
z. B.: Wenn die Rechtfertigung des Glaubens entfallt, läßt sich dann
noch die Wahrheitsfrage stellen? Werden Glaube und „Gottesdienst
im Alltag" nicht beliebig zueinander?) Es kamen mir weitere Assoziationen
, die ich mit Überleben verbinde: Ruf zur Selbstbegrenzung,
Bescheidenheit, Umkehr; Annahme des jeweils Bestimmten, unser
Ort vor Gott, Gemeinschaftsstiftung von Gott her. . . (Rückfrage:
Mag man theologisch-philosophisch das „unvermischt" von Welt
und Gott als Ablehnung „natürlicher Theologie" verdeutlichen können
, so fällt einem im Alltag das „unzertrennt" doch noch viel
schwerer?) Das Verdienst dieses Diskussionsbeitrages liegt vor allem
in seinem Angebot einer sachlichen Alternative, die zur kritischen
Überprüfung bürgerlich-religiös-sinnvollen Lebens fuhren muß.

Rehburg-Loccum Uwe Gerber

Pfeiffer, Helmut: Offenbarung und Offenbarungswahrheit. Eine
Untersuchung zur Verhältnisbestimmung von personal-dialogischer
Offenbarung Gottes und objektiver Satzwahrheit. Trier:
Paulinus-Verlag 1982. 275 S. gr. 8' = Trierer theologische Studien,
40. Kart. DM 45,-.

Wer Genauigkeit der Sprache für ein Indiz der Schärfe des Gedankens
hält, der wird von dieser Untersuchung enttäuscht werden. Hervorgegangen
aus einer Bonner katholischen Habilitationsschrift ist sie
das systematische Gegenstück zu der historisch-exegetischen Studie
des Verfassers ,Gott offenbart sich. Das Reifen und Entstehen des
Offenbarungsverständnisses im ersten und zweiten vatikanischen
Konzil als Anfrage an die Theologie der Gegenwart', Frankfurt-Bern
1982. Stand dort die Erhebung des konziliaren Offenbarungsverständ-
nisses durch Exegese der Konzilstexte im Vordergrund, so geht es hier
darum, das problematische Verhältnis von dialogisch-personalem
Offenbarungsgeschehen und der kirchlichen Rede von Offenbarungswahrheiten
im Licht des exegetischen Befunds systematisch zu reflektieren
. Das geschieht in emphatischem Rückgriff auf thomanisches
Gedankengut, um so „mit Hilfe der ontologisch fundierten Adäquationstheorie
der Wahrheit eine innere Begründung vorzulegen für die
Notwendigkeit objektiver, satzhafter, mitteilbarer Offenbarungswahrheit
, die aus dem OffenbarungsbegrifT nicht zu eliminieren ist, soll
dieser nicht selbst aufgehoben werden" (S. 244).

Im ersten Teil der Untersuchung (Philosophie und Wahrheit) präsentiert
Pfeiffer seine philosophische These: „Zur Wahrheit gehören
Übereinstimmung und letzte Gewißheit". Nach philosophischen
Überlegungen zum Wahrheitsbegriff (Kap. 1), die sich in verschiedener
Hinsicht eng an die von G. Skirbekk herausgegebene Textsammlung
.Wahrheitstheorien. Eine Auswahl aus den Diskussionen
über Wahrheit im 20. Jahrhundert', Frankfurt 1977 anschließen,
werden das biblische Verständnis von Wahrheit (Kap. 2), die thoma-
nische Wahrheitsspekulation (Kap. 3) und das Verhältnis von Personalismus
und objektiver Wahrheit (Kap. 4) bedacht. Dabei wird zu
zeigen versucht, daß unter den diskutierten Wahrheitstheorien nur die
Adäquationstheorie befriedigt, da sie allein umfassend von Wahrheit
zu reden erlaubt; daß es „keinen spezifisch christlichen und biblischen
Wahrheitsbegriff' gibt (S. 116), sondern hier wie im griechischen
Denken der „Begriff des Übereinstimmens, Entsprechens, Ein-