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Ausgabe:

1983

Spalte:

757-758

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Becker, Gerhold

Titel/Untertitel:

Neuzeitliche Subjektivitaet und Religiositaet 1983

Rezensent:

Leuze, Reinhard

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Seite 1

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757

Theologische Literaturzeitung 108. Jahrgang 1983 Nr. 10

758

Zu den vorliegenden umfänglichen Biographien Newmans jüngeren
Datums aus der Feder von Meriol Trevor (2 Bde 1962) und Charles
Stephen Delain (1966 u. 1971) fügt sich diese Auswahl als wertvolle
autobiographische Ergänzung. Nicht nur der vom Hrsg. angesprochene
allgemein interessierte Leser dieses Buches hat Gewinn von
der Lektüre.

Pönitz Christoph Michael Haufe

Philosophie, Religionsphilosophie

Becker, Gerhold: Neuzeitliche Subjektivität und Religiosität. Die

religionsphilosophische Bedeutung von Heraufkunft und Wissen
der Neuzeit im Denken von Ernst Troeltsch. Regensburg: Pustet
1982. XII, 382 S. 8°. Kart. DM 48,-.

Das in der letzten Zeit zunehmende Interesse am Werk Ernst
Troeltschs läßt sich nicht zuletzt an der steigenden Zahl von Monographien
ablesen, die in der jüngsten Vergangenheit über diesen Denker
erschienen sind. Freilich sieht sich dadurch jede neu publizierte
Darstellung vor die Aufgabe gestellt, neue Aspekte in den Schriften
dieses Theologen zur Geltung zu bringen, ja, wenn möglich, sein ganzes
Werk in einem neuen Licht erscheinen zu lassen. Der Verfasser der
angezeigten Monographie ist sich dieser Aufgabe wohl bewußt, und er
versucht, ihr in einer originellen Form gerecht zu werden. Dabei
nimmt er in Übereinstimmung mit markanten Arbeiten der neueren
Troeltsch-Forschung davon Abstand, „Troeltschs Gesamtwerk in
einzelne Denkepochen zu zerlegen und sie von bestimmten geistesgeschichtlichen
Konstellationen mehr oder weniger.abzuleiten" (76),
es geht ihm vielmehr darum, von einem einheitlichen, das ganze Werk
Troeltschs durchwaltenden Grundimpuls auszugehen (vgl. 2) und von
diesem aus die Einheit im Denken Troeltschs verständlich zu machen.
Das Ziel seiner Untersuchung besteht darin, „die in der Troeltsch-
Forschung bislang vernachlässigte neuzeittheoretische Perspektive als
Strukturprinzip nicht nur seiner Religionsphilosophie, sondern seines
Gesamtwerkes zu erweisen" (XI).

Mit dieser Perspektive erreicht der Autor eine zweifache über den
unmittelbaren Bereich des Troeltsch'schen Denkens hinausgehende
Relevanz seiner Ausführungen: Zum einen ist es* möglich, das in
jüngster Zeit häufig erörterte Verhältnis Troeltschs zur dialektischen
Theologie neu zu beleuchten, zum anderen kann die aktuelle Debatte
um die Neuzeit, besonders die von der christlichen Theologie geforderte
Auseinandersetzung mit der Säkularisierungsthese H. Blumenbergs
, aufgenommen und durch Einbeziehung der Überlegungen
Troeltschs weitergeführt werden. Das von G. Becker vorgelegte Werk
bietet Ansätze in beiden Richtungen, aber keine durchgehende Erörterung
beider Themenkomplexe - das wäre im Rahmen einer Dissertation
auch nicht möglich.

Der Widerspruch Barths gegen Troeltsch wird in seiner Problematik
zwar bezeichnet, aber nicht eigentlich begründet. Es wäre sinnvoller
gewesen, wenn Becker diesen Teil nicht an den Anfang seiner
Arbeit, sondern an ihr Ende gestellt hätte. Dann hätte sich zeigen lassen
, daß Barths Kritik die zuvor erhobene Quintessenz des Troeltsch'schen
Denkens nicht trifft, oder daß Barth selbst die von Troeltsch
gestellten Fragen einer Theologie der Neuzeit nicht zu beantworten
vermochte. Die von Becker vorgenommene Vorordnung dieses
Abschnitts hängt allerdings mit einer eigentümlichen hermeneu-
tischen Prämisse des Autors zusammen, die es verschmäht, Interpretationen
Troeltschs am Werk dieses Denkers zu überprüfen, sondern
statt dessen einzelne Interpretationsrichtungen „auf eine mögliche
(allerdings verdeckte) (!) Kompatibilität mit dem vorzuschlagenden
Neuansatz hin untersucht" (I). Wie der Autor bei diesem Verfahren
der Gefahr entgehen will, immer das zu finden, was er zu suchen sich
vornahm, weiß ich nicht, und wir müssen dankbar sein, daß diese

Form der Hermeneutik nur den ersten Teil beherrscht, während die
übrigen Teile immer wieder Beweise für die Überprüfung an den
Quellen erbringen.

Für die neuere Debatte über das Verhältnis von Christentum und
Neuzeit bringen Beckers Bemerkungen zu den einschlägigen Ausführungen
Troeltschs (vgl. besonders 285ff) wertvolle Hinweise. Obwohl
als einer der Väter des Säkularisierungsbegriffs bezeichnet (286
Anm. 6), hat Troeltsch denselben in einem sehr viel enger umgrenzten
Sinn gebraucht als seine Nachfahren, so daß es sich keinesfalls
empfiehlt, die komplexe Frage nach dem Verhältnis von Christentum
und Neuzeit ausschließlich an ihm zu orientieren. So gesehen kann
Troeltsch dazu beitragen, die von Blumenberg evozierten gegensätzlichen
Thesen miteinander zu vermitteln und womöglich in einer
höheren Einheit zu versöhnen.

Beckers Arbeit macht deutlich, wie streng und radikal sich
Troeltschs Denken den Fragen gestellt hat, die eine neuzeitliche
Theologie beantworten muß. Troeltschs Skepsis gegenüber der Möglichkeit
eines theologischen Systems (vgl. 53, 91 ff, 120) wie seine
Bemühungen um eine neue Artikulation des Wahrheitsbegriffs (vgl.
208ff) sind von da aus zu verstehen. So gelingt es dem Verfasser,
Erkenntnisse neu zu akzentuieren, die der bisherigen seriösen
Troeltsch-Forschung freilich auch schon geläufig waren. Denn die
Becker zufolge „bislang vernachlässigte neuzeittheoretische Perspektive
" (XI) ist natürlich allen ernst zu nehmenden Arbeiten gegenwärtig
, die eine Darstellung der Troeltsch'schen Geschichtsphilosophie
versuchen. Es ist gleichwohl verdienstvoll, diesen Sachverhalt
explizit zur Geltung zu bringen und an ihm eine ganze Monographie
zu orientieren. Allerdings hätte Beckers Analyse noch eindringlicher
gestaltet werden können, wenn er versucht hätte, eine genauere
Bestimmung des Begriffs Neuzeit zu geben. Hier kommt er viel zu
rasch auf den Begriff der Subjektivität zu sprechen (vgl. 184), der ja in
der jüngsten Diskussion immer mehr jene Nacht des Absoluten
anzeigt, in der alle Kühe schwarz sind. Troeltsch hat bekanntlich den
Begriff der Individualität bevorzugt, und es wäre eine sehr lohnende
Aufgabe, genauer die Bedeutung dieser Terminologie zu erforschen
und die Gründe zu erhellen, die ihn dazu bewogen haben, dem ihm
gleichfalls zur Verfügung stehenden Begriff der Subjektivität nicht
dasselbe Gewicht beizumessen. Becker stellt sich dieser Aufgabe
nicht, sondern begnügt sich mit dem Vorschlag, statt „des schon zu
Troeltschs Zeiten mißverständlichen Begriffs eines formalen Individualismus
" einen Terminus zu verwenden, „der den gemeinten Sachverhalt
heute wiederzugeben vermag" - dafür biete sich der Begriff der
Subjektivität an. Ich meine, daß diese Vertauschung keine Aktualisierung
, sondern eine Verdeckung der ursprünglichen Intentionen
Troeltschs bewirkt, und sehe darin die fundamentale Schwäche dieser
Untersuchung, die ansonsten in ihrem einheitlichen Duktus und ihren
bemerkenswerten Ergebnissen im einzelnen durchaus geeignet ist, die
Troeltsch-Forschung ein gutes Stück voranzubringen.

Dachau Reinhard Leuze

Scholtz, Gunter: Schleiermachers Musikphilosophie. Göttingen:
Vandenhoeck & Ruprecht 1981. 171 S. gr. V. Kart. DM 34,-.

In der Theologie hat Schleiermacher sich noch immer nicht von
den Schlägen erholt, die ihm von der dialektischen Theologie in den
dreißiger Jahren zugefügt wurden. In der Philosophie ist ihm nie eine
so dominierende Rolle zuerkannt worden wie in der protestantischen
Theologie des 19. Jahrhunderts. Dies beweist die geringe Zahl der
Ausgaben und Auflagen seiner philosophischen Schriften, die fast
durchweg erst postum aufgrund seiner Vorlesungsskizzen und von
Studentennachschriften herausgegeben wurden. Auch ist Schleiermachers
philosophisches Gedankengut bis heute noch keineswegs
aufgearbeitet. Um so verdienstvoller ist es, daß Gunter Scholtz mit
seiner Habilitationsschrift von 1978 (1981 für den Druck überarbeitet
) eine Monographie über ein Teilgebiet seines philoso-