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Ausgabe:

1983

Spalte:

756-757

Kategorie:

Dogmen- und Theologiegeschichte

Autor/Hrsg.:

Newman, John Henry

Titel/Untertitel:

A packet of letters 1983

Rezensent:

Haufe, Christoph Michael

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Theologische Literaturzeitung 108. Jahrgang 1983 Nr.10

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Kirche ausgestoßene Döllinger, eine von vornherein Kirchengrenzen
überschreitende Untersuchung. Ob damit freilich nicht eigentlich ein
bißchen zuviel auf dem Programm stand, sei immerhin angefragt.

In insgesamt sieben Schritten entledigte sich der Autor seiner Aufgabe
. In einem ersten Abschnitt (S. 11-21) gibt er Rechenschaft über
„Hermeneutisch-methodologische Fragen", es folgt der schon
genannte Exkurs über „Die heutige Unfehlbarkeitsdebatte"
(S. 22-32), dem sich eine knappe Bestandsaufnahme über „Forschungsstand
und Quellenlage" anschließt (S. 33-41). Erst in den
Kapiteln 4 und 5, dem eigentlichen Hauptteil des Buches, wird die
substantielle Untersuchung geführt. In zwei nahezu gleich ausführlichen
Abschnitten wird zunächst die Position Newmans dargestellt,
unter der Überschrift „Unfehlbarkeit des Papstes als Korollarium zur
Frage nach der wahren Kirche" (S. 42-122), worauf denn sofort die
Döllingers folgt, überschrieben: „Päpstliche Unfehlbarkeit als der
,articulus stantis et cadentis Ecclesiae'" (S. 123-202). Kapitel 6 „Döllinger
und Newman: Die ,nota' der Katholizität" (S. 203-247) versucht
in mehreren Sachschritten einen Vergleich der beiden theologischen
Positionen, während dann der 7. und abschließende Abschnitt
„,. . . ein neuer Papst und ein wiederversammeltes Konzil""
(S. 248-269) die Linien bis in die gegenwärtigen Überlegungen auszieht.
Verzeichnisse der Abkürzungen, von Quellen und Literatur (in ziemlicher
Auswahl) sowie ein Personenregister beschließen den Band.

Ziel der Studie ist also ein schlichter „Vergleich der Auffassungen
und Standpunkte zweier Theologen, die im Umkreis der vatikanischen
Definition von 1870 besonders engagiert waren bzw. im Blickpunkt
standen und von denen der eine, J. J. I. von Döllinger, das
,neue' Dogma verwarf, während es der andere, J. H. Newman, akzeptieren
konnte" (S. 11). Dies allein kann aber freilich kaum ein solches
Unternehmen rechtfertigen, auch nicht, daß beide von Haus aus
Historiker waren und sich auch sonst gewisse Übereinstimmungen in
den Anliegen der beiden finden lassen, oder auch die einfache Tatsache
, daß schon früher einmal eine solche Gegenüberstellung versucht
worden ist. Es ist natürlich eine interessante Beobachtung - und
darin liegt schon ein erstes Ergebnis der Arbeit -, „daß ihre jeweilige
Entwicklung sich beinahe gegenläufig vollzieht. .., daß der alte Döllinger
Positionen des jungen Newman einnimmt, die Newman durch
seine Konversion als unhaltbar aufgegeben und die Döllinger selber in
seiner Frühzeit heftig bekämpft hatte." (S. 16) Wie das aussieht, wird
ausführlich dargestellt. Trotzdem muß aber gefragt werden, was ein
solcher Vergleich eigentlich austrägt, wenn von vornherein deutlich
ist, wie verschieden nicht nur die Ausgangspunkte waren, sondern
auch alle anderen Bedingungen, die für die Gewinnung der endgültigen
Positionen maßgeblich wurden. Und auch das, was Vf. zur eigentlichen
Rechtfer+'gung der Arbeit herausstellt, daß „viele Fragen, die
beide in der Situ tion ihrer Zeit gestellt und z. T. beantwortet haben,
heute wieder neu aufgebrochen oder weder damals noch jetzt offiziell
-lehramtlich gelöst" worden sind (S. 248), bzw. als „die These
dieser Arbeit, daß Newman und Döllinger im Umkreis des vatikanischen
Konzils von 1869/70 und der damit verbundenen Agitation auf
katholische Wahrheiten hingewiesen haben, die damals in Vergessenheit
geraten waren und die erst heute wieder langsam in den Blick
kommen" (S. 250), rechtfertigt sehr wohl die intensive Beschäftigung
mit dem Erbe dieser Männer und unterstreicht die Notwendigkeit, in
sauberer historischer Analyse ihrer Stellungnahmen das bleibend
Aktuelle ihres Anliegens herauszuarbeiten. Ein Vergleich in dem
Sinne kann dem jedoch nicht viel mehr hinzufügen als lediglich
gewisse Tendenzen stärker hervortreten zu lassen. Und das geschieht
hier in der Tat. Dabei wird aber die Gefahr um so größer, den einen
allzusehr im Spiegel des je anderen zu sehen und nicht genügend in
Anschlag zu stellen, in welch eigener, spezifischer Situation jeder mit
seinen Stellungnahmen stand. Die relevanten Schriften Newmans
sind eben doch im Hintergrund, Umfeld und auch Ziel etwas völlig
anderes als Döllingers „Janus" oder die „Quirinusbriefe" vom Konzil
und schon von daher kaum diesen vergleichbar. Und dieser Gefahr
einer letztlich unhistorischen Verkopplung scheint der Autor tatsächlich
nicht ganz entgangen zu sein, z. B. auch da, wo er Döllingers kritischen
Positionen und Warnungen vor und während des L Vatikanischen
Konzils gegenüber allzu schnell und selbstverständlich mit den
endlichen Ergebnissen dieses Konzils (und diese noch dazu in sehr
zurückhaltender Interpretation) operiert. So kann u. E. das Ergebnis
der Arbeit eigentlich nur lauten, daß ein Vergleich der beiden Positionen
im eigentlichen Sinne eben nicht möglich ist.

Im Übrigen - das sei ausdrücklich betont - bietet die Arbeit eine
Fülle von interessanten Einblicken, zumal auch dadurch, daß sich Vf.
nicht auf sein ganz spezielles Thema, die Unfehlbarkeit des Papstes,'
beschränkt, sondern einen weiteren Umkreis von Ansichten, Intentionen
, Wünschen und Einsichten der betreffenden Autoren mit einbezieht
. So wird nicht zuletzt auch deutlich, wie sehr der Weg
Newmans nach seiner Konversion im Grunde ein typischer Konvertitenweg
war, daß er die Erfüllung seines Suchens nur fand auf Kosten
neuer Desideria. Und gerade auch der häufige Brückenschlag zu
gegenwärtigen Problemen und Fragestellungen wirkt ausgesprochen
anregend. Sehr leicht liest sich das Buch freilich auch vom Stil her
nicht, trotz gelegentlicher fast journalistischer Zugaben. Ausgesprochene
Versehen begegnen kaum. Auf S. 245 passierte beim Umbruch
ein Unfall: Die erste Zeile der Seite ist eigentlich die letzte.
Schöneiche Hubert Kirchner

[Newman, John Henry:] A Packet of Letters. A Selection from the
Correspondence of John Henry Newman. Edited with an introduc-
tion'by J. Sugg. Oxford: Clarendon Press 1983. XXV, 230 S. 8°. Lw.
£ 16.-.

Das Buch ist der gelungene Versuch, unter den mehr als 20 000
Briefen Newmans eine Auswahl zu treffen und in 155 Briefen vorzulegen
, die bei aller Beschränkung doch Newmans eigener Meinung
gerecht wird: daß nämlich „eines Menschen Leben in seinen Briefen
liegt" (135, an seine Schwester Jemima). Der Hrsg. folgt bei der Auswahl
zwei Hauptkriterien: erstens die Vielfalt von Newmans beziehungsreicher
Persönlichkeit auf dem differenzierten gesellschaftlichen
Hintergrund des 19. Jh. zu zeigen, zweitens den allgemeinen Charakter
der Interessen des Lesers, für den der Auswahlband gedacht ist, zu
berücksichtigen. Briefe, die eines umfänglichen Kommentars bedurften
, sind nicht aufgenommen. Ein kleiner Anmerkungsteil erläutert
Nötigstes. Hilfreich ist der Index von Newmans Adressaten mit biographischen
Notizen. Er spiegelt die Weite der Newmanschen Korrespondenz
von den bedeutendsten Köpfen in Kirche und Gesellschaft
über Familie und Freunde bis zu den Unbekannten und
Unmündigen. Eine Einführung des Herausgebers gibt Aufschluß über
weitere Prinzipien der Auswahl.

Es ist erstaunlich, wie eindrücklich die reiche Persönlichkeit Newmans
aus diesen Briefen ersteht: de*r Ratgeber zur kirchlichen Zeitlage
etwa zur Zeit des I. Vatikanischen Konzils (88), der Seelsorger aus der
Stille des Oratoriums heraus (126), der gewissenhafte Lehrer von Kindern
(129), der skrupulöse Schriftsteller (42; 172), der heitere Plauderer
(141) und Reiseerzähler voll britischen Humors (17), aber auch
der angefochtene Mensch unter der Last des Alters und der Vereinsamung
in einem fast neunzigjährigen Leben (210), und der tief
erschrockene Mensch gelegentlich der Erfahrung, daß Bewunderer
ihn wie einen Heiligen verehren (84).

Als Grundton aller seiner Briefe klingt hindurch ein tiefer Glaube
an die Güte Gottes und den Charakter der Kirche als Gnadenanstalt,
wobei die Römisch-Katholische Kirche als die Fülle der göttlichen
Gegenwart gefeiert wird (so der Sechsundachtzigjährige in einem klassischen
Text S. 212). Gleichzeitig aber hört Newman nie auf, an der
Zuordnung aller Christen zu dem einen Herrn festzuhalten in einer
die Erkenntnisse des II. Vatikanischen Konzils vorbereitenden Spiritualität
(195). Und ein zweiter Grundton: Newmans Höflichkeit. Sie
kann schneidend sein bei öffentlichen Auseinandersetzungen (192, an
den Herausgeber der „Times"), ist aber in der Regel die suchende und
zuvorkommende Liebenswürdigkeit eines ritterlichen Charakters.