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Ausgabe:

1983

Spalte:

751-752

Kategorie:

Dogmen- und Theologiegeschichte

Titel/Untertitel:

Orthodoxie und Pietismus 1983

Rezensent:

Schicketanz, Peter

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Seite 1

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751

Theologische Literaturzeitung 108. Jahrgang 1983 Nr. 10

752

Greschat, Martin [Hrsg.]: Orthodoxie und Pietismus. Stuttgart-
Berlin-Köln-Mainz: Kohlhammer 1982. 394 S. 22 Abb. gr. 8' =
Gestalten der Kirchengeschichte, 7. Lw. DM 89,-.

Laut Klappentext gibt Martin Greschat ein auf 12 Bände ausgelegtes
„Sammelwerk" heraus. Je zwei Bände sind für die alle Kirche, das
Mittelalter, die Reformationszeit, die neueste Zeit und das Papsttum
geplant. Band 7 liegt für Orthodoxie und Pietismus vor, Band 8 ist der
Aufklärung vorbehalten. „Gestalten" ist weniger anspruchsvoll als
die „religiösen Erzieher" von B. Bess 1917 oder „Große christliche
Persönlichkeiten" von H. von Schubert 1921.

Wo ist der Sitz im Leben für ein so anspruchsvolles Vorhaben? Welchen
Nutzen hat es? Der Rezensent empfindet ein gewisses Unbehagen
: Das Sammelwerk steht zwischen den umfangreichen Darstellungen
der Kirchengeschichte und einem Lexikon. Wenn der Band 7 als
Maßstab für die anderen Bände gilt, dann werden etwa 250-280 Biographien
auf durchschnittlich je 15 Druckseiten geboten. Das ist für
ein in Epochen aufgeteiltes biographisches Lexikon zu wenig. Schon
der kirchliche Mitarbeiter, der in seinem Amtskalender täglich eine
Fülle von Personen vorgestellt bekommt und die Namen in ihrer
Bedeutung erfragen möchte, wird nicht zufriedengestellt. Die Vielfalt
der Kirchengeschichte von den Personen aus aufzuschließen, ist zwar
ein mögliches, aber doch wohl kaum zureichendes Verfahren. - Für
den Wissenschaftler sind die Artikel freilich zu wenig. Strittige Fragen
mußten weitgehend zugunsten der Darstellung ausgeblendet werden.
Die Reihe erhebt nicht den Anspruch, wissenschaftliche Forschung
weiterzutreiben; Anmerkungen fehlen ganz; die Literaturangaben
jeweils am Ende der einzelnen Artikel beschränken sich auf die wichtigsten
Werkausgaben und auf eine Auswahl meist von Literatur des
letzten Jahrzehnts. Ich sehe den Nutzen der Reihe für kirchliche Mitarbeiter
, die keine großen Lexika haben, dabei biographische Themen
in Gemeindegruppen ab und an anbieten. Sie erhalten zuverlässige
Informationen über den gegenwärtig vorliegenden wissenschaftlichen
Forschungsstand. Ob es ausreicht für ein Thema? Ich hege Zweifel.

Martin Greschat meint: „Der Zugang" (gemeint zur Orthodoxie)
„erschließt sich nichtsdestoweniger am leichtesten über Personen"
(9). Er räumt ein, daß das Allgemeine und Strukturelle ebenfalls
gesehen werden muß und sich erst so das Individuelle recht zu erkennen
gibt. „In der Tat: ursprüngliches Denken erschließt sich in den
Biographien." (9) Ich hege meine Zweifel an diesem Satz. Für mich
ergibt sich ursprüngliches Denken aus den primären Quellen. Biographien
sind immer schon Ableitungen, Deutungen. Natürlich kann die
Kirchengeschichte nicht auf Biographien verzichten - schon gar nicht
für das Zeitalter des Pietismus, aber muß ihr Stellenwert nicht sekundär
genannt werden? - Trotz dieser Einwände wird dieser Weg, sich
die Kirchengeschichte zu erschließen, seinen Wert behalten. Die
Gründe sehe ich aber weniger im Bereich der Wissenschaft. Es ist die
psychologisch erklärbare Neugier des Menschen, Glaubens- und
Lebenserfahrungen nicht in der Objektivität allgemeiner Geschichtsdarstellung
, sondern in der Subjektivität einzelner Menschen wie in
einem Spiegel wiederzuentdecken. Die Kirchengeschichte wird
menschlicher, je biographischer sie arbeitet. Von diesem Interesse her
wird ein solches Sammelwerk sinnvoll. Von daher ergibt sich aber
auch eine Frage: Müssen es immer die in der Forschung bedeutenderen
Menschen sein? Gibt es nicht auch eine Unzahl des Merkens-wür-
diger Christen im Schatten der Bekannten? Wer schreibt einmal ein
Sammelwerk über deren Leben?

Welche Personen sind nun in diesem Band bearbeitet? Johann
Arndt (F. Ernest Stoeffler), Jacob Arminius (Gerrit Jan Hoenderdaal),
Johannes Kepler (Jürgen Hübner), Jacob Böhme (Eberhard H. Pältz),
Johann Gerhard (Jörg Baur), Johann Valentin Andreae (Martin
Brecht), Georg Calixt (Inge Mager). Gisbertus Voetius (Aart de
Groot), Johannes Coccejus (Heiner Faulenbach), Paul Gerhardt (Jörg-
Ulrich Fechner), Jean de Labadie (Aart de Groot), Philipp Jakob
Spener (Johannes Wallmann), Johann Wilhelm und Johanna
Eleonore Petersen (Ernst A. Schering), August Hermann Francke

(Klaus Deppermann), Gottfried Arnold (Friedrich Wilhelm Kantzen-
bach), Johann Conrad Dippel (Karl-Ludwig Voss), Valentin Ernst
Löscher (Martin Greschat), Johann Sebastian Bach (Walter Blankenburg
), Johann Albrecht Bengel (Martin Brecht), Gerhard Tersteegen
(Cornelis Pieter van Andel), Nikolaus Ludwig von Zinzendorf (Hans
Schneider), Friedrich Christoph Oetinger (Rainer Piepmeier). 22
Biographien. Neun der genannten Personen sind bereits in der TRE
durch einen Artikel vertreten, wobei fünf Biographien vom gleichen
Autor stammen (Hoenderdaal, Pältz, Faulenbach, Blankenburg und
Brecht). In der TRE sind es 4 bis 9 Druckseiten, dafür aber wesentlich
ausführlichere Literaturangaben. Bei der Auswahl muß man beachten
, daß sie nach Greschat aus dem „Blickwinkel des deutschsprachigen
Protestantismus" (34) erfolgt ist. Frankreich und England und der
Katholizismus bleiben außer Betracht. Nur so ist auch der Titel
„Orthodoxie und Pietismus" zu rechtfertigen. Im Band über die Aufklärung
wird diese Beschränkung sicher aufgehoben werden. Der
Wert des Buches liegt nun sicher darin, daß im Rahmen der Bedingungen
für die einzelnen Artikel jeweils die Fachleute gewonnen worden
sind, die hier zur Zeit das heute Vertretbare darbieten können. Es
überschritte den Rahmen einer Rezension, hier auf Einzelheiten einzugehen
.

Herausgehoben werden muß aber der Einleitungsartikel von Martin
Greschat über Orthodoxie und Pietismus (7-35). Die durch die biographische
Form gegebenen Grenzen werden durch diesen Artikel
etwas eingeschränkt. Der Versuch, die konfessionellen und politischen
Gegebenheiten dieser 200 Jahre zu skizzieren, ist für das Verständnis
der einzelnen Artikel eigentlich unerläßlich. Nur: wie viele
werden ihn wirklich lesen? Die kurze Darstellung des Dreißigjährigen
Krieges (20-24) empfinde ich als sehr gelungen! Hier werden auch
eine Fülle anderer Namen, vor allem der Erbauungsschriftsteller,
wenigstens erwähnt. Präzisismus, Puritanismus, Jansenismus finden
sich. Neues wird man nicht von einer solchen Einleitung erwarten
dürfen.

Ein paar Worte sollen noch zu den beigegebenen Abbildungen
gemacht werden. Für achtzehn der zweiundzwanzig Biographien sind
die meist bekannten Abbildungen gedruckt worden. Sie stammen aus
dem Porträtarchiv Diepenbroick des Westfälischen Landesmuseums
für Kunst- und Kulturgeschichte. Bei Jacob Böhme und Tersteegen
sind statt der Porträts Autographcn wiedergegeben. Bei Johanna
Petersen der Titelkupfer der Schrift: „Die verklärte Offenbarung Jesu
Christi" 1706. Zinzendorf ist nur Randfigur auf einem aus llcrrnhut
stammenden symbolischen Gemälde: „Der Jungfernbund". Es ist gut,
daß diese Bildbeigaben vorhanden sind. Es geht auch um die Physiognomie
. Aber es geht auch um die Handschrift. Bei Bach hat man auf
die Rückseite des Porträts eine Seite der Partitur der Matthäuspassion
gedruckt. Vielleicht sollte man das als Vorbild auch für die andern
Bände nehmen.

In vielen Artikeln (vgl. besonders Schering über das Ehepaar Petersen
) steht eine Fülle von Informationen über andere Zeitgenossen. Es
wäre deshalb doch zu überlegen, ob ein Namenregister angebracht
wäre, evtl. auch ein Sachregister. Freilich müßten sich beide auf relevante
Absätze beziehen.

Potsdam Peter Schicketanz

Stebbins, Sara: Maxima in minimis. Zum Empirie- und Autoritätsverständnis
in der physikotheologischen Literatur der Frühaufklärung
. Frankfurt/M. - Bern-Circncester: 1980. 327 S. m. 7 Abb.
gr. 8* = Mikrokosmos. Beiträge zur Literaturwissenschaft u. Bedeutungsforschung
, 8. Kart. sfr68.-.

Heute sind es ethische Konsequenzen, die auch von Theologen
benannt werden, wenn sie im „Buch der Natur" (34 Anm. 23) lesen.
Vor 250 bis 300 Jahren waren es ästhetische, bestenfalls pädagogische
Konsequenzen, die sich ergaben. Die Physikotheologie, oft in ihrer
Naivität der Naturbetrachtung belächelt und karikiert, „stellt sich die