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Ausgabe:

1983

Spalte:

746-747

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Balch, David L.

Titel/Untertitel:

Let wives be submissive 1983

Rezensent:

Strecker, Georg

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Theologische Literaturzeitung 108. Jahrgang 1983 Nr. 10

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Situation in den Deuteropaulinen und im IPetr sowie schließlich gar
einem Überblick über die weitere Entwicklung bis hin zur konstantinischen
Wende).

Es fragt sich aber, ob mit dieser Kommentierung auch ein entsprechend
vertieftes Verständnis der Aussagen gerade auch des Phile-
monbriefes erreicht wird. Hier möchte ich bei allem Respekt vor der
Leistung des Verfassers doch erhebliche Zweifel anmelden.

Allein schon die allgemein in Mode kommende Anwendung der Kategorien
antiker Rhetorik nun auch auf diesen Brief, wie sie hier unternommen wird,
erweist sich m. E. als wenig Ibrderlich. Sie zeugt zwar von der Belescnheit des
Autors, bringt aber für den Brief nicht entsprechend vertiefte Einsicht, reißt im
Gegenteil zusammengehöriges auseinander. Niemand wird bezweifeln können
oder auch nur wollen, daß Paulus bewußt oder unbewußt von den Gepflogenheiten
der Rhetoren seinerzeit beeinflußt war. zumal deren Theorien ja nur zur
Bewußtheit erhoben, was sich als geschickte Argumentation ohnehin nahelegte.
Fraglich erscheint aber doch, ob Paulus bewußt den vorliegenden Brief einteilte
in Proömium V 4-7, Argumentum V 8-16 (!) und Epilog V 17-22 (!) (S. 7-9),
wobei der jeweils abschließende Begründungssatz V 7.15f (statt irrtümlich 160-
22 nicht zufällig die Zäsur markiere (S. 9, vgl. auch S. 82). Da einerseits der
Brief erst V 17 die eigentliche Bitte ausspricht (es trifft ja nicht zu, daß Paulus
entsprechend den Gepflogenheiten im Epilog seine Bitte V 17 nur „wiederholt
und präzisiert.. . und emotionalisiert" (S. 82), vielmehr spricht er sie hier erst
aus, nachdem V 10 nur gesagt war, daß Paulus in bezug auf Onesimus bitte!)
und diese Bitte durch V 8-16 nur vorbereitet wurde (nachdem auch schon
Danksagung und Fürbitte V 5 f sowie der formal überschießende V 7 im Blick
auf das Hauptanliegen formuliert wurde), und andererseits V 21 auf die vorangehenden
Ausführungen zurückblickt, ist es falsch, vor V 17 zu unterteilen und
die Zäsur nach V 20 zu übergehen. - Darüber hinaus wirkt sich die Anlehnung
der Auslegung an die Regeln der Rhetorik auch noch entstellend auf den Briefinhalt
aus: So heißt es S. 46, bei Avinquim V 12 handele es sich „nicht um bloße
Rücksendung, sondern um eine über einen Schuldiggcwordenen zu treffende
Entscheidung", da das Verb im Papyrus-Griechisch bedeute „eine Prozeßsache
an einen Richter verweisen bzw. einen beklagten Menschen vor die Behörde
oder den Richter senden, einen Verhafteten vorführen". Als Beleg wird
Anm. 41 darauf verwiesen, das Wort habe im Neuen Testament „an allen
anderen Stellen den angegebenen Sinn: Lk 23,7.11.15; Apg 25,21". Ist es schon
bedenklich. Paulus ausgerechnet von Lukas und nur von Lukas her anstatt von
den bei Bauer (Wörterbuch s. v.) angeführten Stellen her zu verstehen, so ist das
Argument auch in sich nicht stimmig: mindestens Lk 23,11.15 ist es nicht im
angenommenen technischen Sinn, sondern einfach als Zurücksendung zu verstehen
, da sonst der Handlungsablauf keinen Sinn ergäbe.

Rätselhaft ist mir, warum Gnilka sich S. 35 IT dagegen ausspricht, in V 5 einen
Chiasmus anzunehmen, der doch bei Paulus häullg vorkommt (vgl. Bl.-Debr.
1477, 2 mit LH.), und Paulus dafür lieber an das Taufbekenntnis erinnern läßt,
obwohl er ihm dann folgerichtig gleichzeitig sprachliche Nachlässigkeit vorwerfen
muß. Daß „die durch einen Chiasmus gewöhnlich beabsichtigte klare
Abgrenzung der Begriffe hier gerade verwischt wird ... [und] kaum ein Hörer
des Briefes in der Lage gewesen [wäre), dies so aufzulösen", wirkt reichlich hergeholt
und ist jedenfalls dann kein stichhaltiges Gegenargument, wenn man
sieht, daß der Chiasmus die Außcnglicder betont und Paulus hier besonders auf
d'e tätige Liebe abheben will.

°ie Neigung, ausführlich rcligionsgcschichtliche Parallelen anzuführen,
•"hn dazu, w dym)öv V 6 als Willen Gottes zu bestimmen (S. 37), während es
V 14 „die in freier Entscheidung von Philemon zu bestimmende und zu verwirklichende
Guttat" (S. 49) sein soll. Ist es aber angebracht, beides in ein und
demselben Brief so sehr auseinanderzureißen, und geht es nicht vielmehr auch
gerade V 6 um die dem Willen Gottes entsprechende Guttat, zu der der Christ
durchaus in der Lage ist (vgl. hierzu Suhl, Der Philemonbrief, Zürich 1981,
* St.)? - Wenn ferner V 11 dahin gedeutet wird, der Apostel lege hier „für seinen
Schützling das Sündenbekenntnis ab" (S. 45), so wird das der Funktion dieser
Aussage im Briefduktus kaum gerecht, wie es denn auch nicht überzeugt.
daß es „eine zu scharfsinnige Beobachtung" sei, „hinter dem Wortspiel
ä'/J>t(rro; - aix/njazoi; eine Andeutung des Christus-Namens sehen zu wollen,
die nur bei itazistischer Aussprache (i) gelesen wie i) möglich wäre" (S. 46); geht
es doch gerade darum, die inzwischen erfolgte Bekehrung des Onesimus als
eigentliches Argument Tür die Aufnahme als Bruder (V 17) ins Spiel zu bringen
(vgl. hierzu Suhl, a. a. O. S. 32)! Angesichts der Gründlichkeit, mit der Gnilka
■m übrigen arbeitet, hätte er zumindest den Nachweis versuchen müssen, daß
der Itazismus zur Zeit des Paulus keine Rolle spielte - was schwerlich gelungen
wärc! Aber auf Fragen des Argumenlalionsduktus wie auch auf das Nebeneinander
von Pochen auf Autorität einerseits und Autoritätsverzicht andererseits

und die Funktion dieser Dialektik geht Gnilka kaum oder doch nur sehr unzureichend
ein.

Beispiele lür recht eigenwillige Auslegung finden sich noch mehrfach (wobei
sich die Übersetzung von mipprioia mit „Freizügigkeit" (S. 39) durch die folgende
Auslegung (S. 41) zum Glück als bloßes Versehen erweist). Hingewiesen
sei nur noch darauf, daß Gnilka ohne jede Begründung annimmt (S. 3), der entflohene
Sklave sei bei Paulus aufgetaucht, als dieser wahrscheinlich noch nicht
im Gefängnis war. Das ist für Gnilka freilich eine notwendige Voraussetzung,
um S. 44f nach einem ausführlichen Überblick über die Idee der geistigen
Elternschaft bei Paulus sagen zu können: „Im Hintergrund von V 10 steht nicht
so sehr das Bild des Vaters als das der Mutter. yevvd(u heißt in bezug auf den
Vater zeugen, in bezug aul die Mutler gebären. . . . Die Fesseln, unter denen
Onesimus geboren wurde, spielen dann auf die Geburtswehen an."

Mißlich ist vor allen Dingen, daß die Fülle der Gelehrsamkeit, die
aus Anlaß dieses Briefes ausgebreitet wird, aber doch nur seinem besseren
Verständnis dienen sollte, die Dynamik der Eigenaussage des
Philcmonbriefes schier erdrückt. Das gilt nun insbesondere auch von
den beiden Exkursen, die nach Auskunft des Vorwortes (S. VII) die
Schwerpunkte anzeigen, die das Interesse der Kommentierung leiteten
, um zu zeigen, daß der Philemonbrief, „obwohl oder gerade weil es
in diesem Schreiben nur um einen einzigen Sklaven gehl.. .. Licht zu
spenden und Weisung zu geben (vermag)". Eben dies leisten die
Exkurse ebensowenig wie der ganze Kommentar; wer sich darüber
informieren will, bleibt auf andere Auslegungen des Philcmonbriefes
angewiesen.

Münster-Amelsbüren Alfred Suhl

Balch. David L.: Let Wives be Submissive. The Domestic Code in
I Peter. Chico. CA: Scholars Press 1981. IX, 196 S. 8* = SBL lvlono-
graph Scries, 26. $ 21 .-.

Der Verfasser dieser Dissertation hat sich die Aufgabe gestellt, Herkunft
und Funktion der „Haustafel" ("household duty code") in 1 Petr
2,11-3,12 zu untersuchen. Seiner Ansicht nach sind die sog. neutesta-
mentlichen Haustafeln (außer IPetr: Kol 3,18-4,1 und Eph 5,21-6,9)
und die verwandten Texte in den Pastoralbriefen (lTim 2,8-15; 5,1 f;
6,1 f; Tit 2,1-10; 3,1) weder aus dem alttestamentlich-jüdischcn
Bereich noch aus der Verkündigung Jesu abzuleiten; auch sind nicht
stoische Einflüsse für ihre Entstehung ausschlaggebend, vielmehr die
platonisch-aristotelische Diskussion über die Verfassung des Gemeinwesens
. Hier ist die „Führung des Haushalts" (nKpi oixovofiia^) ein
feststehender Topos, geprägt durch paarweise Gliederung und
hierarchische Zuordnung. Schon bei Plato findet sich eine Liste von
sieben Beziehungspaaren (Nomoi 690 A-D). In bezug auf die „Polis"
wie auch Für einzelne „Häuser" gilt die ethische Norm, daß es Herrschende
und Beherrschte, Autorität und Unterordnung geben muß.
Eltern haben über ihre Kinder zu bestimmen, Herren über ihre Sklaven
, die Stärkeren über die Schwächeren (S. 24ff). Noch deutlicher ist
dies durch Aristoteles ausgeführt worden. Für den „Gerechtigkeit" das
Grundelement eines Staates ist, der mit der Summe vieler Haushalte
(i£ oixiwv) identifiziert wird (Pol. I 1253b 1-14.37). Die Beziehungen
Herr - Sklave, Mann - Frau, Eltern - Kinder sind danach naturgegebene
Konstanten menschlichen Zusammenlebens, wobei jeweils der
schwächere, unmündige oder weniger rationale dem überlegenen,
rationalen Partner untergeordnet ist und eine Nichtbeachtung dieser
Beziehungen die Zerrüttung des Gemeinwesens zur Folge haben muß
(vgl. S. 36). Durch den Aufweis von Parallcltcxten, wie sie sich bei
Schriftstellern des mittleren Piatonismus, Peripatetikern, Stoikern
und Epikuräern. aber auch im hellenistischen Judentum finden, versucht
der Verfasser darzulegen, daß platonisch-aristotelische Vorstellungen
von dem Zusammenleben in „Stadt" und „Haus" nicht nur
durch philosophische Zirkel tradiert wurden, sondern in hellenistischrömischer
Zeit allgemein bekannt waren und zu einem sozialcthi-
schen Grundkonsens der Gesetzgebung und der Moral der griechisch-
römischen Gesellschaft gehörten (S. 611).