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Ausgabe:

1983

Spalte:

741-744

Kategorie:

Neues Testament

Titel/Untertitel:

Paulus in den neutestamentlichen Spätschriften 1983

Rezensent:

Lindemann, Andreas

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Theologische Literaturzeitung 108. Jahrgang 1983 Nr.10

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N.s Auslegung von 1 QH 3 berührt sich eng mit meiner eigenen, die ich in:
Anthropologischer Dualismus in den Hodayoth?, NTS 18, 1971/72,268-284,
vorgelegt habe. Ich habe dort sehr ausfuhrlich 3,19-23 exegesiert. Die Parallelen
zwischen seiner und meiner Interpretation beziehen sich in der Hauptsache
auf die in 1 QH vorfindliche Grundintention. Aber selbst die von N. an
H.-W. Kuhn geäußerte Kritik bei grundsätzlicher Anerkennung seiner Position
findet sich ähnlich bei mir. Anscheinend hat er den Aufsatz in NTS
übersehen.

Die kritischen Bemerkungen sollen nicht den Wert dieser hervorragenden
Studie mindern, sondern den Autor, der zur Zeit der Niederschrift
dieser Rezension Wissenschaftlicher Assistent an der Ruhr-
Universität Bochum ist, zu weiterer Beschäftigung mit der Materie
ermutigen.

Göttingen Hans Hübner

' H. Hübner, Das Gesetz bei Paulus, Ein Beitrag zum Werden der pauli-
nischen Theologie (FRLANT 119), Göttingen31982.

2 U.Wilckens, Der Brief an die Römer (EKK VI/2), Neukirchen 1980,
185.

Kertelge, Karl [Hrsg.]: Paulus in den neutestamentlichen Spätschriften
. Zur Paulusrezeption im Neuen Testament. Freiburg-Basel-
Wien: Herder 1981. 234 S. 8° = Quaestiones Disputatae, 89. Kart.
DM 44,-.

Die in der neutestamentlichen und patristischen Forschung seit
einigen Jahren wieder intensiv in Gang gekommene Diskussion um
das Thema „Frühkatholizismus" ist über weite Strecken bestimmt
von der Frage nach dem Paulusverständnis in der ältesten Kirche, insbesondere
in den unter dem Namen des Heidenapostels verfaßten
Pseudonymen Briefen und in der Apg. Der hier zu besprechende Band
gibt in sieben Aufsätzen, die auf Vorträge einer Tagung deutschsprachiger
katholischer Neutestamentier 1979 zurückgehen, einen
Einblick in den Stand der Forschung und zeigt neue Ansätze zu
Problemlösungen. Durch ausführliche Literaturangaben jeweils am
Schluß der Aufsätze ist das Buch auch für weiterführende Arbeiten
sehr hilfreich. Alle Autoren sind jeweils zu ihrem Thema bereits in
der Forschung hervorgetreten. Deshalb braucht die Frage der „Echtheit
" von Kol, Eph, 2Thess und Past nicht nochmals für sich erörtert
zu werden, sondern die Darstellung kann jeweils von der Annahme
der Pseudonymität her erfolgen. K. Kertelge spricht denn auch in
seiner Einführung (S. 7-10) vom „Deuteropaulinismus", der den Versuch
gewagt habe, das apostolische und theologische „Potential" des
Paulus „auch über seinen Tod hinaus für die Kirche in der Zeit zu
erhalten" (S. 9).

A. Sand fragt in seinem sehr knappen Überblick zur „Überlieferung
und Sammlung der Paulusbriefe" (S. 11-24) nach den Motiven,
den hinter der Sammlung stehenden „Autoritäten" und nach dem
Schicksal der ursprünglich angesprochenen Gemeinden. Er verweist
auf das Gewicht der zahlreichen Mitarbeiter des Paulus, die nach dessen
Tod sowohl die paulinischen Briefe gesammelt als auch neue hinzugefügt
hätten (S. 19). Im 2. Jh. verliere aber „nicht nur der Paulinismus
, sondern auch die nachpaulinische Tradition ... fast völlig an
Bedeutung" (S, 20); als wesentlicher Beleg wird das Werk des Papias
von Hierapolis angeführt (S. 21), das m. E. aber die Beweislast für die
genannte These nicht zu tragen vermag.1 Die Paulusbriefe, so die
These Sands, konnten gesammelt und endlich kanonisiert werden,
weil seit der Mitte des 2. Jh. die Betonung des Gemeinsamen in der
Kirche wichtiger geworden sei als der Aufweis der theologischen Differenzen
(S. 23).

H. M erklei n stellt eingehend die Rezeption paulinischer Theologie
in Kol und Eph dar (S. 25-69), ausgehend von der Frage, welche
Funktion die Gestalt des Apostels selbst in diesem Rezeptionsprozeß
hat. Merkleins - m. E. zutreffende - These lautet, daß für die beiden
ältesten Deuteropaulincn Paulus selbst zum Inhalt der Verkündigung
geworden sei, was u. a. an Kol 1,24 gezeigt wird; von hier aus habe

sich das besondere Amtsverständnis vor allem des Eph entwickelt.
Das auffallendste Merkmal der theologischen Paulusrezeption sieht
Merklein im Wegfall des eschatologischen Vorbehalts und in den daraus
resultierenden ekklesiologischen Konsequenzen: Paulus könnte
„die Kirche nie als Heilsort verstehen, die Ekklesiologie bleibt vielmehr
eine Funktion der Rechtfertigungslehre" (S. 42); in Kol und Eph
dagegen sind die Christen bereits Gerettete, und „die Kirche wird zu
einem himmlischen Anwesen, zum himmlischen Raum des Heiles"
(S. 47). Nun erhalte der Begriff „Leib Christi" soteriologische Funktion
, während er bei Paulus allein in paränetischen Kontexten
begegne (S. 490- Anhand von Kol 1,15-20; Eph 2,11-22 zeigt Merklein
, wie die Verfasser der beiden Briefe durch die Einfügung von Aussagen
der Kreuzestheologie bestimmte Vorlagen „paulinisch" zu deuten
vermochten.

G. Lohfink will (S. 70-121) zeigen, daß in den Past einige schon
bei Paulus eindeutig vorhandene Tendenzen lediglich erheblich ausgebaut
worden seien. So finde sich die Betonung des Apostolats als
Amt und die Tendenz zur Exklusivität seines Amts schon bei Paulus
selbst, ebenso der Gedanke, daß der Apostel Vorbild sei für die
Gemeinden (Past seien geschrieben aus dem „Geist" von Phil 4,9,
ohne daß dabei mit einer literarischen Verbindung zu rechnen sei;
S. 84 f)- Das Leiden als Form des Zeugnisses für das wahre Evangelium
sei schon für Paulus ein entscheidender Topos, den die Past lediglich
verstärkt hätten, worin auch ein Gegengewicht gegen die Überbetonung
des Amtlichen und Institutionellen zu sehen sei (so mit Blick auf
2Tim; S. 92 f). Sehr ausführlich sucht Lohfink seine These zu begründen
, daß der Traditionsgedanke der Past (Evangelium als SiöaaxaXia)
seine genuinen Wurzeln schon bei Paulus habe, für den das Evangelium
SiSaxri sei (S. 93-105 unter Verweis auf Rom 6,17; 16,17; IKor
15,1-5). Für die ethischen Weisungen gilt nach Lohfink, daß die
„Selbstverständlichkeit", mit der sie in den Past vorgetragen würden,
„wohl unerklärlich [sei] ohne das sichere Wissen, daß schon Paulus
selbst genau im Sinne der drei Briefe verbindliche apostolische Weisungen
erteilt hat" (S. 108); die Differenz liege im Grunde nur darin,
daß Paulus so oft wie nur möglich versucht habe, autoritative Eingriffe
zu vermeiden (S. 113). Zuletzt verweist Lohfink auf den Topos der
„Parusie" des Apostels, der in den Past lediglich systematisch ausgebaut
worden sei: IKor 4,16f enthalte „wirklich die Konzeption der
Past in nuce" (S. 117). Sicherlich habe der Verfasser der Past eine
Selektion in der Paulusüberlieferung vorgenommen; er habe dabei
aber Entscheidendes neu zur Sprache gebracht.

G. Trummers Beitrag zur „Ortung" der Paulustradition in den
Past (S. 122-145) geht auf eine spontane Stellungnahme zu Lohfinks
Referat zurück (S. 122 A 1), bringt aber m. E. ganz wesentliche Einsichten
. Trümmer vertritt mit sehr guten Gründen die These, Past (die
er als „Tritopaulinen" bezeichnet; S. 133) seien von ihrem Verfasser
entworfen alsein das (bzw. ein) Corpus Paulinum (Rom, 1.2Kor, Phil,
Phlm; S. 1300 voraussetzendes eigenes Corpus, das von Anfang an als
Einheit gedacht gewesen sei: Kirchenordnung (lTim, Tit) und
Paulustestament (2Tim) seien bewußt ineinander verschränkt worden
. Die Adressierung an Einzelpersonen (bei gleichzeitiger Nennung
weiter geographischer Räume) habe gerade einen überindividuellen
Anspruch der Past ermöglicht (S. 1280- 2Tim habe als „Testament"
das Ziel, eine weitere pseudepigraphische Briefproduktion unmöglich
zu machen - Trümmer spricht hier von einer „totalen Pseudepi-
graphie" (S. 129). Past seien zu Anfang des 2. Jh. in einem Klima breiter
Paulusverehrung entstanden, möglicherweise im Raum der Ägäis
(gegen die übliche Rom-Hypothese spreche der exklusive Paulinismus
; S. 134). Es sei falsch, Paulus und Past gegeneinander auszuspielen
- vielmehr müßten sich beide, wie alle Theologie, „daran messen
lassen, ob und wie sie den ursprünglichen Ansatz des Heiles und seiner
Konsequenzen weitervermitteln können" (S. 144).

W. Tri 11 ing behandelt knapp (S. 146-156) 2Thess in seiner literarischen
Abhängigkeit von IThess. Die persönlichen Abschnitte
(IThess 2,1-3,10) seien ausgespart, da der Autor „offenbar keine
konkreten Kenntnisse der Gemeinde in Thessalonich zu seiner Zeit