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Ausgabe:

1983

Spalte:

736-738

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Lincoln, Andrew T.

Titel/Untertitel:

Paradise now and not yet 1983

Rezensent:

Schade, Hans-Heinrich

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Theologische Literaturzeitung 108. Jahrgang 1983 Nr.10

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einandersetzung etwa mit einer einseitig christologisch akzentuierten
Betrachtung der paulinischen Theologie die „Gotteslehre" des
Apostels gleichsam als solche darzustellen. Sein besonderes Anliegen
formuliert Vf. vielmehr in der „Introduction" so: "First: how can we
proceed from isolated Statements about God to an assessment of the
place and function of theology within Paul's thinking as a whole? and
second: what was the function of theology in the historical Situation of
Paul and his audience?" (S. 5). Im Unterschied zu einer „dogmatischen
" Annäherungsweise an die paulinische Theologie möchte
Vf. "offer a different approach, studying not the isolated Statements as
dogmatic sayings, but rather as they function within the wider literary
context of Paul's argumentation" (S. 51). Voraussetzung der vorliegenden
Studien ist in diesem Sinne, "that there is a close correspon-
dence between the theological language used and a real Situation in the
Early Church" (S. 6; vgl. S. 8: "the interchange between theological
reflection and Situation as a dialectical relationship"), ihre Grundthese
dementsprechend: "Paul's understanding of God is important
not only as an example of a particular stage within the history of Christian
doctrine, but even more as a reflection of a specific Situation
among a group of Christians" (S. 9). M. Hengeis These, daß Geschichte
und Theologie des Urchristentums insgesamt „Missionsgeschichte
und Missionstheologie" sind (NTS 18, 1971/72, S. 38),
erfährt hier im Blick auf Paulus ihre Bestätigung und zugleich ihre
notwendige Konkretion, sofern nämlich insbesondere im Römerbrief
- aber keineswegs nur hier und keineswegs nur bei Paulus (S. 66:
"New Testament polemics are an interpretation of historical evcnts")
-die konkreten historischen Bedingungen der urchristlichen Mission
theologisch reflektiert werden, eben mit diesen historischen Bedingungen
aber zugleich ein bestimmtes Gottesverständnis - genauer: ein
bestimmtes Verständnis von Gottes Handeln an Welt und Mensch -
zur Debatte steht (vgl. in diesem Sinn bereits S. 9, weiter S. 260 und
bes. S. 283f: "Thus Paul's mission to the non-Jewish world and the
understanding ofGod which legitimized his praxis belong inseparably
together"). Diese Missionssituation ist aber - wie die antithetische
Struktur der Argumentation im Römerbrief (wie auch bereits in Gal)
anzeigt - eine Konfliktsituation, und zwar zwischen „Juden" und
„Griechen" ebenso wie zwischen Judenchristen und Heidenchristen:
"Paul's polemics reveal conflicts within religious and social commu-
nities that are in the process of breaking apart" (S. 69; vgl. in diesem
Sinn bereits S. 13f sowie S. 521T. 99 und bes. S. 229f. 2830). Solcher
Konfliktsituation entspricht die Argumentation des Paulus: er „theo-
logisiert" diesen Konflikt (S. 9) bzw. "Paul used God-language to
intensify conflicts with rival groups" (S. 78), dies nun freilich mit dem
Ziel, "to create a new identy for a Community consisting of Jewish and
non-Jewish Christians" (S. 14; vgl. auch S. 88f.96f. 289). In diesem
Sinn ist die Theologie des Paulus in der Tat eine "Theology in Con-
flict", d. h. Rede von Gott und Gottes Handeln, die als solche - wie
bereits der Überblick über die "formulaic expressions in Romans"
(S. 15 ff), nicht zuletzt aber auch wieder die eindringliche Analyse von
Rom 4,17 am Ende des Buches (bes. S. 233ff) zeigen - durchaus in der
Kontinuität der Rede von Gott im Alten Testament und im Judentum
(und Judenchristentum) steht, eben in der Konfliktsituation jedoch
ihre antithetische, Tür Paulus charakteristische Zuspitzung erhält. Der
christologische Grund paulinischer Rede von Gott ist damit keineswegs
ausgeblendet, sondern erst recht zur Geltung gebracht - denn:
Wird von Paulus jene Konfliktsituation im Lichte der Erfahrung des
Glaubens reflektiert und interpretiert, die für Paulus ebenso wie für
die von ihm begründeten Gemeinden an Gottes Handeln in Kreuz
und Auferweckung Jesu aufgebrochen ist, dann gewinnt genau an
dieser Stelle das christologische Moment seine grundlegende Bedeutung
(vgl. S.99: "Through his own calling Paul became convinced
that God was free to act as he chose and that his acts were expressions
of grace. This conviction was the basis for his polemics against the
Jews. ..", weiter: S. 213IV. 258 IL bes. S. 266 und S. 285).

Die exegetischen Einsichten, die Vf. von seinem Ansatz her für die
Auslegung von Rom 4 speziell wie auch für den Römerbrief insgesamt

im einzelnen gewonnen hat, können an dieser Stelle leider nicht referiert
werden, ebensowenig die Ergebnisse des glänzenden Überblicks
über das Thema der „Verheißung Gottes an Abraham" im Alten
Testament sowie im Judentum (S. 117 ff, schlechterdings überzeugend
hier vor allem der Philon gewidmete Abschnitt, S. 130-164). Nicht
unterlassen sei abschließend jedoch der Hinweis auf die systematischtheologischen
Implikationen des Buches. Sic liegen zumal dann auf
der Hand, wenn Vf. selbst in den "Final remarks" (S. 283-290) - von
der antithetischen Struktur paulinischer Rede von Gott ausgehend -
die Linien bis hin zu Luthers Rede vom „Deus absconditus" und
„Deus revelatus" auszieht (S. 285f) und in diesem Zusammenhang
vermerkt, daß solche Rede von Gott bei Luther wie bei Paulus
weniger "a doctrine about the nature of God" darstellt, "but rather an
interpretation of the world through God" (ebd.), und von da aus endlich
die aus dem Konflikt geborene und ihn zugleich zu überwinden
trachtende Theologie des Paulus in den Kontext gegenwärtiger Frage
nach Gott hineinstellt (S. 288-290). Über allen reichen Ertrag zum
Verständnis paulinischer Theologie hinaus, der in dieser Rezension
nur eben angedeutet werden konnte, geben in diesem Sinne jedenfalls
die Schlußsätze des Buches reichlichen Anlaß sowohl zum Weiterdenken
als auch zu entsprechender Konkretion in der jeweiligen Konfliktsituation
: "In Romans Paul describes God as Standing between
groups, to protect the weak and the powerless. It is from this concrete
Situation that we realize that God cannot be spoken of in existentialist
terms only . . . If God is proclaimed only as the weak one who leaves
the power game of the world to the strong, he has aclually abandoned
the poor and the opressed world. Only an antithetical way of speaking
of God in terms of weakness and strength, grace and wrath, can suffi-
ciently interpret his presence in the world - and thereby interpret the
world as well"(S. 289 f).

Rostock Hans-Friedrich Weiß

Lincoln, Andrew T.: Paradise Now and Not Yet. Studies in the role of
heavenly dimension in Paul's thought with special reference to his
eschatology. Cambridge: Cambridge University Press 1981. XIII,
277 S. 8° = Society for New Testament Studies. Monograph Series,
43.Lw.£ 15.-.

"lf there is no heavenly dimension, then Christ is not risen and your
faith is in vain." (195, in Abwandlung von 1 Kor 15,17) Christliche
Existenz ist auf der einen Seite "heavenly - directed" (1920, auf der
anderen Seite "heavenly life is to be demonstrated through a State of
humiliation and weakness." (194) So das allgemeine Ergebnis der
Arbeit, die als überarbeitete Fassung einer von der University of Cambridge
1975 angenommenen Dissertation nun veröffentlicht vorliegt.
L. erwartet im einführenden Abschnitt seiner Arbeit, daß das paulinische
(pln.) Verständnis der "heavenly dimension" eine bedeutsame
Korrektur sein kann gegenüber diversen Ansätzen gegenwärtiger
Theologie sowie in bezug auf die Zeitsituation überhaupt in der Spannung
zwischen Säkularismus auf der einen und der Suche nach aller
Art von Transzendenzerfahrung auf der anderen Seite, denen er Verkürzung
des biblischen Zeugnisses bescheinigt. (Aus dieser Frontstellung
heraus ist wohl auch der Titel der Arbeit zu verstehen, der übrigens
auf "Paradise Now" in Julian Becks Living Theatre anspielt [2],
hingegen vom pln. Befund her eher überrascht, da das Wort TiapdöeiOOC
bei Paulus nur einmal vorkommt, hier nicht einmal von zentraler
theologischer Bedeutung, und sich von daher als Leitbegriff zur Erforschung
der pln Eschatologie nicht gerade anzubieten scheint.) Die
Arbeit nimmt freilich die Auseinandersetzung mit diesen umfassend
angesprochenen Zeitphänomenen nicht explizit wieder auf (vgl. 169);
sie ist vielmehr im weiteren eine rein exegetische Arbeit und soll auch
als solche gewürdigt werden.

L. beklagt an der gegenwärtigen exegetischen Diskussion, daß die
Interpreten die in den Paulusbriefcn häulig zu findenden Raum-
kategorien zugunsten der Zeitkategorien vernachlässigen. Eschatolo-
gische Sprache dagegen benutzt beide, um eine Wirklichkeit des Heils