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Ausgabe:

1983

Spalte:

697-699

Kategorie:

Religions- und Kirchensoziologie

Titel/Untertitel:

Wandel der Familie - Zukunft der Familie 1983

Rezensent:

Kiesow, Ernst-Rüdiger

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Theologische Literaturzeitung 108. Jahrgang 1983 Nr. 9

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sehen, daß die Diskussion über die von Mette aufgeworfenen Fragen
weite Kreise zieht. Wünschenswert wäre auch ein stärkerer Austausch
über die Konfessionsgrenzen hinweg, da offenbar die Probleme sehr
ähnlich gesehen werden.

Wiesbaden Wolfgang Lück

Eid, Volker u. Laszlo Vaskovics [Hrsg.]: Wandel der Familie -
Zukunft der Familie. Mainz: Matthias-Grünewald-Verlag 1982.
301 S. 8* = Moraltheologie interdisziplinär. Kart. DM 39,80.

Die insgesamt zwölf Beiträge des Sammelbandes können hier angesichts
ihres Ideen- und Materialreichtums im einzelnen nur knapp
vorgestellt bzw. angezeigt werden.

Der [. Teil: „Erfahrungswissenschaftliche Beiträge" beginnt mit H.
Tyrell (Soziologe, Univ. Bielefeld): „Familie und Religion im Prozeß
der gesellschaftlichen Differenzierung". Seine Hauptthese lautet:
„Die Nichtidentität von Religion und Familie ist nun in sehr ausgeprägter
Form gerade für die christlich-okzidentale Gesellschaftsentwicklung
seit der Spätantike kennzeichnend." (19) Die „kultische
Funktionsarmut der Familie" im altkirchlichen und mittelalterlichen
Christentum wird zwar im Protestantismus dann überwunden, führt
aber zur religiösen Intimisierung und Isolierung der Familie und später
zu ihrer wachsenden Säkularisierung. Die Familie reagiert immer
empfindlicher gegen kirchliche Einwirkung von außen. Trotzdem
habe gerade der neuere Katholizismus die Einwirkung auf Ehe, Sexualität
und Familie zu seinem wichtigsten Anliegen gemacht, damit auf
die Dauer allerdings wenig Erfolg gehabt. „Die gänzliche Entleerung
des Familienlebens von religiösen Bezügen und Praktiken scheint
nunmehr in vollem Gange zu sein; auch im traditionell katholischen
Milieu reißt hier derzeit die Tradition ab." (68) Überdies sei die Institution
Ehe heute überhaupt in Frage gestellt und deshalb auch die
weitere Entwicklung der Familienpastoral nicht vorauszusehen.

In bemerkenswertem Gegensatz zu der recht kritischen und etwas
Pessimistischen Sicht Tyrells steht der Beitrag von H. J. Hei le (Soziologe
, Univ. München) über „Soziokulturelle Bedingtheit der Eheformen
- ihre Bedeutung für die Familientypen". Er beschreibt die kulturgeschichtlichen
Formen der matrilinearen Paarungsehe (in den
Gentilgesellschaften, Rez.), der matrilinearen Elternehe (z. T. noch
■m AT spürbar), der patrilinearen Elternehe (AT, heute z. B. noch in
Japan) und der bilateralen Eltemehe (Anfänge schon im NT). In den
modernen Industriegesellschaften bestehen matristische, patristische
und bilaterale Formen nebeneinander; ihre Synthese wäre, wie der
Autor z. T. recht spekulativ darlegt, der christliche Idealtypus. In elf
Thesen werden die Kennzeichen dieser idealen Ehe- und Familienform
genannt, die allerdings angesichts der gegenwärtigen Realität als
reine Utopie erscheinen muß (vgl. S. 92).

Anschließend behandelt A. Hahn (Soziologe, Univ. Trier) „Die
Definition von Geschlechtsrollcn", wobei er vor allem die gesellschaftlichen
Verhältnisse in der BRD voraussetzt. Instruktiv sind
seine Ausführungen über die „innereheliche Machtverteilung" nach
entsprechenden Erhebungen. - Der Aufsatz von M. Wingen (Sozio-
'°ge, Statist. Landesamt Baden-Württemberg) trägt die Überschrift:
..Auf dem Wege in die kinderlose Gesellschaft? Analysen, Perspek-
tlven, Kurskorrekturen". Er bringt die Sorge um den andauernden
Geburtenrückgang zum Ausdruck, der in der BRD bis zur Jahrtausendwende
einen Bevölkerungsschwund von etwa 6 Millionen zur
Fo,ge haben könne. Monokausale Erklärungen dafür werden abge-
'ehnt; zu den vielfältigen Wirkungsfaktoren gehören u. a. Wohlstand,
Frauenemanzipation, Wohnverhältnisse, Präventivmittel, vor allem
aber schwer faßbare subjektive und sozialpsychologische Verhaltens-
anderungen in der generativen Bereitschaft. Angesichts der bedenk-
'■chen Konsequenzen für die Zukunft der Wirtschaft und der Alters-
versorgung wäre außer familienpolitischen Kurskorrekturen daher
auch ein erheblicher Einstellungswandel im persönlichen Bereich erforderlich
(„Elternschaft eine Chance der Persönlichkeitsentwicklung
", 133).

Das Thema von N. A. Wetzel (Therapeut in Princeton/USA)
heißt: „Familienberatung - Familientherapie. Zur Neuorientierung
in der Psychotherapie". Als eine neue Form kontextbezogener Psychotherapie
zielt Familientherapie darauf ab, „allen Beteiligten zu ermöglichen
, Konflikte offen auszutragen, phasengerechte Differenzierungsschritte
gemeinsam auszuhandeln, klare und durchlässige Grenzen
untereinander zu schaffen, bestehende Ausbeutungsverhältnisse
zugunsten partnerschaftlicher Beziehungen abzubauen und auf eine
Versöhnung der unterschiedlichen Interessen hinzuarbeiten" (148).

G.Cyprian (Soziologin, Univ. Bamberg) berichtet sehr aufschlußreich
und sorgsam abwägend über „Alternativformen zu Ehe und
Familie". Sie nennt die Motivationen für Wohngemeinschaften (u. a.
bessere Chancen für Selbstverwirklichung, kollektive Kindererziehung
, Sensibilisierung der Partnerbeziehungen). Dann werden die
strukturellen Besonderheiten der alternativen Lebensform erörtert
(u. a. Abhängigkeit vom immer neu zu gewinnenden Gruppenkonsens
, schwierige Balance zwischen Innen- und Außenkontakten der
Gruppe) sowie einige Lösungsmöglichkeiten für wesentliche Alltagsprobleme
. Zur Sexualität wird hervorgehoben, daß zumeist ein faktisches
Gruppeninzestverbot besteht und zusätzliche Partner allenfalls
außerhalb gesucht werden. Verzicht auf Privateigentum
wird in den Wohngemeinschaften kaum praktiziert, häufig aber
gemeinsamer Finanzausgleich. Insgesamt stellt die Autorin dieser
Alternative zur traditionellen Ehe- und Familienstruktur eine vorwiegend
positive Prognose.

Der II. Teil: „Theologische Beiträge" fällt mit 104 Seiten Umfang
um etwa ein Drittel kürzer aus als der I. Teil des Bandes. Zunächst
äußert sich der Mitherausgeber V. Eid (Moraltheologe, Univ.
Bamberg) über „Elemente einer theologisch-ethischen Lehre über die
Familie", dann folgen die Beiträge „Familienethos: Leitbilder und
Problemlösungen für eine ethisch orientierte Erwachsenenbildung"
von D. Mieth (Moraltheologe, Univ. Tübingen), „Aspekte moralischer
und christlicher Sozialisation in der Familie" von M.
Fomm (Religionspädagoge, Univ. Bamberg), „Familie, Familiengruppe
und kirchliche Gemeinde. Fakten, Trends und Perspektiven"
von J. Lange (Pastoraltheologe und Soziologe, Bundesakademie f.
Sozialarbeit Wien) und „Die Familie als Kirche im Kleinen" von N.
Mette (Pastoraltheologe, Univ. Münster). - Nur einige sehr
pauschale, dem Rez. wichtige Feststellungen zu diesen Beiträgen sind
hier noch möglich:

1. Es ist beachtlich, wie kritisch die Autoren mit den zumeist
deduktiv-normativen Stellungnahmen ihrer Kirche umgehen, in
denen als „Dauerthemen" Ehesakrament, Ehescheidung und Geburtenregelung
vor den Problemen der Familie rangieren.

2. Die Frage nach dem Schicksal der prinzipiell exkommunizierten
Geschiedenen und Wiederverheirateten wird im Blick auf das Sakrament
der Buße und der Eucharistie energisch vorgebracht.

3. Tendenzen zur Bildung von Großfamilien und Familiengruppen
finden wohlwollende Beachtung.

4. Die heutige Situation der Kleinfamilie und ihrer abnehmenden
religiösen Sozialisationsfähigkeit wird illusionslos dargestellt.

5. Stark hervorgehoben wird die Notwendigkeit, der Familienarbeit
in der Gemeinde bzw. Pfarrei einen hohen Stellenwert beizumessen
: „Die Zukunft der Gemeinde hängt von den Familien ab!"
(250)

6. „Die Familien sind dabei nicht nur Adressaten des kirchlichen
Dienstes, sondern ebenso seine Träger." (280)'-„Sie selbst sind
Gemeinde im Kleinen." (255) „Die Familie besitzt deshalb theologische
Qualität, weil ihre Funktion, den Glauben .hautnah'... zu
praktizieren und weiterzugeben, auch in der Kirche ohne Alternative
ist." (199)

Der abschließende III. Teil des Buches (285-300) „Ausgewählte
Literatur zum Thema Familie", von K. Silgoner bearbeitet (Moraltheologe
, Univ. Bamberg), bietet nicht nur thematisch zusammenge-