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Ausgabe:

1983

Spalte:

47-48

Kategorie:

Dogmen- und Theologiegeschichte

Autor/Hrsg.:

Subilia, Vittorio

Titel/Untertitel:

Il protestantesimo moderno tra Schleiermacher e Barth 1983

Rezensent:

Bianco, Bruno

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Seite 1

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Theologische Literaturzeitung 108. Jahrgang 1983 Nr. 1

48

D. die Visionen in Zusammenhänge der mittelalterlichen Geistesgeschichte
hinein (233-265).

Es ist klar, daß dieses in einer Tabelle konzentrierte Ergebnis aus
einer großen Fülle von Einzelbeobachtungen gewonnen wurde. Das
Register macht das Buch auch zu einem nützlichen Nachschlagewerk.
Das Literaturverzeichnis umfaßt mehr als 400 Titel (267-280), ist
freilich dennoch nicht vollständig: So fehlen 3 Aufsätze von 1965 zu
den Visionen Anskars (TRE III); zur hl. Birgitta von Schweden nennt
D. von der neuen Edition nur Band 1 von L. Hollman (1956), die folgen
den Bände von B. Bergh und S. Eklund fehlen. D. legte ein scharfsinnig
systematisierendes Buch über die Visionen des Mittelalters vor,
an dem die weitere Forschung nicht vorübergehen kann.

Rostock Gert Haendler

Bewertung der Neuzeit bereits erhoben hat; für den, der den Barth-
schen Extremismus nicht teilt, werden die Grenzen der Perspektive
von Subilia und seiner allzu summarischen Schematisierung des
modernen Protestantismus, die sicherlich auch der Gedrängtheit des
Werks zuzuschreiben ist, einsichtig erscheinen. Es wäre allerdings -
auch auf Seiten dessen, der eine andere Vorstellung von der Aufgabe
der Theologie und von der Verkündigung des Wortes hat - nicht richtig
, die mutige Konsequenz des Autors und den provokatorischen
Charakter seines Appells an den solus Christus von Barth zu verkennen
, der jede Theologie und jede Religionsphilosophie, die sich mit
einer allzu flinken Irenik nicht zufrieden geben, zu einer ernsten Gewissensprüfung
zwingt.

Triest Bruno Bianco

Subilia, Vittorio: II protestantesimo moderno tra Schleiermacher e

Barth. Torino: Editrice Claudiana 1981. 141 S. 8'= Sola Scriptura.
Nuovi studi teologici, 8. Kart. L. 5800.

Man möge sich durch den Titel dieses Werks von Subilia, Dozent
an der Waldenser Fakultät für Theologie in Rom und Schriftleiter der
Zeitschrift „Protestantesimo", nicht irreführen lassen: es handelt sich
nicht um einen Überblick über die Geschichte des modernen Protestantismus
von Schleiermacher bis Barth, sondern um eine theologische
Bewertung seiner grundlegenden Struktur im Lichte einer
Alternative - eben der zwischen Schleiermacher und Barth, d. h. zwischen
der anthropozentrischen Ausrichtung des theologischen Liberalismus
und dem theozentrischen Protest des Baseler Denkers. Diesem
Protest (vgl. das Schlußkapitel: „IV. La protesta di Barth", 111-135)
pflichtet der Autor voll bei, wenngleich er einerseits die historischen
Grenzen der Barthschen Theologie und andererseits einige unbestreitbare
Werte des modernen Protestantismus anerkennt („III. Valori e
disvalori del protestantesimo moderno", 101-109): Werte wie „Lebenssinn
, Sinn für das Moderne, kritisches Bewußtsein", die „gemeinsam
ein ausgeprägtes Weltverantwortungsgefühl erzeugen und stimulieren
, das es dem Christentum verwehrt, eine Sekte von Heiligen im
Abseits der Gemeinschaft der Sünder zu sein, das aber aktiv dazu beitragen
will, daß das christliche Ferment - nicht aus einer höheren
paternalistischen Weisheit, sondern in der Gleichheit der Diskussion
-in sie einfließt" (106-107).

Doch das Grundproblem ist ein anderes. Die liberale Theologie
kann und muß angefochten werden, „nicht weil sie frei ist, sondern
weil sie nicht frei genug, nicht radikal frei ist" (108); da sie das Paradoxon
des christlichen Freiheitsbegriffs, wie er von der paulinischen
Dialektik der doppelten Freiheit - Knechtschaft unter dem Gesetz
Gottes und unter dem des Fleisches - dargelegt wird, nicht versteht,
hat sie für die Anpassung des Evangeliums an die Werte des Menschen
optiert. Von daher stammt die Legitimität des Barthschen Protests,
der „alles von der Notwendigkeit ableitet, von der Zentralität des
Menschen auf die Zentralität Gottes überzugehen" (109).

Im Lichte dieser radikalen theologischen Option wird im ersten Kapitel
(„Premesse del protestantesimo moderno", 5-16) die Entstehung
des modernen Protestantismus aus dem Humanismus, dem Antitrini-
tarismus, dem Spiritualismus, der Aufklärung und dem Idealismus
rekonstruiert, werden im zweiten Kapitel („Caratteristiche del protestantesimo
moderno", 17-99) seine Wesenszüge unter Ableitung aus
typischen Figuren analysiert, wie das „religiöse Bewußtsein"
(Schleiermacher), das „sittliche Bewußtsein" (Kant), das „kritische
Bewußtsein" (die historisch-kritische Bibelwissenschaft, Baur), das
„ideale Bewußtsein" (Strauß), das „erweckte Bewußtsein" (Pietismus
und Erweckungsbewegung) und das „soziale Bewußtsein" (die christlich
-sozialen Bewegungen in Europa und in Amerika, bes. in den Vereinigten
Staaten).

Hinsichtlich des Radikalismus von Subilias Standpunkt erübrigt es
sich u. E., an die Einwände zu erinnern, die die Geschichte der Theologie
gegen den Barthschen „Offenbarungspositivismus" und seine

Fritzsche, Hans-Georg: Einar Billing. Die Gottesreichsidee und das
soziale Leben. Mit einer Einführung in E. Billings Leben und
Werk. Berlin: Evang. Verlagsanstalt 1981. 94 S. 8' = Aufsätze und
Vorträge zur Theologie und Religionswissenschaft, 75. Kart.
M 4,20.

Im Vorwort seines Buches sagt Hans-Georg Fritzsche (Humboldt-
Universität, Berlin), daß „man sich seit den letzten Jahren immer stärker
auf Einar Billing besinnt". Jetzt „beginnt man in Billing einen der
Klassiker der schwedischen Theologie zu sehen". Dieses ist keine
Übertreibung.

Die von Billing gestellten Fragen sind immerfort aktuell, jedenfalls
in Schweden und offenbar auch in anderen Ländern (mit wechselnden
Voraussetzungen). Die Fragen berühren sozialethische Verantwortung
und christlicher Glaube, Natur resp. Naturwissenschaft und
Theologie, Bibelauffassung und -deutung, Sinn und Aufgabe der
Kirche, das Verhältnis zwischen Staat und Kirche, Universität und
Kirche. Die Antworten Billings werden jedoch heute in Schweden
(außerhalb der Universitätstheologie) verschieden aufgefaßt und in
der Praxis nicht selten in wesentlichen Punkten umgedeutet und
verengt.

Fritzsche legt den Schwerpunkt auf den sozialethischen Einsatz in
Billings Denken. Billings lebhaftes Interesse für die sozialen Probleme
seiner Zeit dokumentiert sich in den Aufzeichnungen seiner Vorlesungen
Die ethischen Probleme der modernen Arbeiterfrage aus den
Jahren 1908-1909. Er hielt es u. a. für unmöglich, eine ethische Auffassung
der Arbeit aufrecht zu erhalten, wenn die durch die Industrialisierung
hervorgerufenen Probleme nicht gelöst wurden. Viele der
Forderungen der damaligen Arbeiterschaft hielt er für berechtigt.

Als Lehrer im Fach Ethik arbeitete er mit detaillierten statistischen
Untersuchungen über die sozialen Bedingungen der in der Industrie
arbeitenden Bevölkerung. Nach dem ökumenischen Treffen in Stockholm
1925 wurde auf Billings Initiative hin ein internationales sozialethisches
Forschungsinstitut in Genf eingerichtet.

Zu der Frage, ob in Billings sozialem Denken eine von A. Ritsehl inspirierte
Vorstellung vom Reich Gottes eine Rolle spielte, können wir
einen Vortrag Billings in Königsberg von 1927 heranziehen: (Die Gottesreichsidee
und das soziale Leben), wo er Ritschis Begriff vom Reich
Gottes in erster Linie als immanent weltlich definiert. Nach dem entscheidenden
Gedankengang Billings ist aber das Reich Gottes weder
nur immanent weltlich noch nur transzendent-eschatologisch. Seine
Vorstellung ist, einfach ausgedrückt, daß das Reich Gottes im Herannahen
auf dem Weg zum Menschen ist. Dieser Gedanke kennzeichnet
Billings Begriff des Evangeliums und damit auch seine Auffassung der
Kirche. Folglich steht diese Auffassung im Gegensatz nicht nur zu
Ritsehl, sondern auch zu der von J. Weiss u. a. vertretenen futurisch-
transzendenten Eschatologie.

Wenn die Kirche ihren „einzigen Auftrag" erfüllt, das Evangelium
zu bringen, so führt sie damit nach Billing auch eine soziale Aufgabe
aus. Nach seiner Auffassung muß es sich auch zum Schaden auswirken
, wenn Staat und Kirche in Fragen der Volksmoral verschiedene
Standpunkte vertreten.