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Ausgabe:

1983

Spalte:

687-689

Kategorie:

Systematische Theologie: Allgemeines

Titel/Untertitel:

Offenbarung im jüdischen und christlichen Glaubensverständis 1983

Rezensent:

Fischer, Hermann

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Theologische Literaturzeitung 108. Jahrgang 1983 Nr. 9

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nem Urteil passiert zu haben." (S. 151) Freilich, die Analogie zwischen
Glaube und Liebe hat ihre Grenzen. Der Glaubende will seine
Überzeugung auch von anderen anerkannt wissen. Es gibt durchaus
Unvereinbarkeiten; und'auch Spinoza, dessen Weitherzigkeit W. zum
Exempel nimmt, verfocht die Wahrheit von sieben Dogmen eines universalen
Glaubens. Aber nicht so sehr zielt W. auf die Abstraktion
einer natürlichen Religion ab als darauf, daß jeder seiner ganz besonderen
Religion gewiß werden soll, aber durch Vertiefung seines Verständnisses
, nicht durch Verbreiterung im Verfolg eines Religionsvergleiches
. Die Vertiefung bedeutet „vernünftiger Glaube" (S. 169).
,Weder überheblicher Dogmatismus noch bequemer Relativismus' ist
W.s letztes Wort (S. 169).

Berlin Hans-Georg Fritzsche

Systematische Theologie: Allgemeines

Petuchowski, Jakob J., u. Walter Strolz [Hrsg.]: Offenbarung im jüdischen
und christlichen Glaubensverständnis. Freiburg-Basel-Wien:
Herder 1981. 261 S. 8° = Quaestiones Disputatae, 92. Kart.
DM 48,-.

Der seit einigen Jahren intensiv geführte jüdisch-christliche Dialog
hat mit dem vorliegenden Sammelh^and ein sehr instruktives und
spannend zu lesendes Dokument gezeitigt. Die einzelnen Beiträge
sind entstanden aus Anlaß einer Begegnung, die im Oktober 1980 in
Freiburg i. Br. zwischen ökumenisch interessierten Juden aus Israel
und den USA und christlichen Theologen beider Konfessionen aus
der Bundesrepublik Deutschland und der Schweiz stattgefunden hat.
Eine relativ lockere Gliederung versucht jeweils thematische Schwerpunkte
zu setzen. In einem 1. Teil (11-49) skizzieren ein jüdischer
(S. Talmon, Jerusalem) und ein christlicher Autor (R. Rendtorff,
Heidelberg) „Grundzüge des Offenbarungsverständnisses" in biblischer
Zeit bzw. im alten Israel. Am umfangreichsten ist der 2. Teil
ausgefallen (51-212), der - nach einer grundsätzlichen systematischtheologischen
Klärung der Beziehungen von Ursprung, Überlieferung
und Gegenwart aus christlicher (katholischer) Perspektive (D. Wiederkehr
, Luzern) - den unterschiedlichen Ausprägungen des Verhältnisses
von Offenbarung und Tradition in der jüdischen Religions- und
Geistesgeschichte nachgeht. In durchweg gelehrten Abhandlungen
kommen zur Sprache: die rabbinische Interpretation des Offenbarungsglaubens
(J. J. Petuchowski, Cincinnati/Ohio, USA), die Theorie
von Offenbarung und Prophetie bei Maimonides (B. S. Kogan,
Cincinnati/Ohio, USA), Spinozas offenbarungskritische Anfragen
(P. Eicher, Paderborn), das Offenbarungsproblem im deutschen
Judentum des neunzehnten Jahrhunderts (M. A. Meyer, Cincinnati/
Ohio, USA) und schließlich der „Offenbarungsglaube im Denken von
Franz Rosenzweig" (W. Strolz, Freiburg i. Br.). Den Abschluß bilden
in einem 3. Teil (213-261) zwei Aufsätze, die „Neuere Wandlungsprozesse
im Verständnis der Offenbarung" aus katholischer
(M. Seckler, Tübingen) und evangelischer Sicht (H.-J. Kraus, Göttingen
) thematisieren.

Während in den Arbeiten des mittleren Teils das historische Interesse
dominiert, überwiegt in den beiden Rahmenteilen die grundsätzlich
-systematische Fragestellung. Bezeichnenderweise steht aber hier
die jeweils eigene (konfessionelle) Problematik so sehr im Vordergrund
, daß die Position des jeweils anderen nur von Fall zu Fall in den
Blick kommt, so daß diese vier Beiträge eigentlich mehr den Charakter
von ausführlicheren Statements haben und die Gesprächsintention
lediglich in Ansätzen und Andeutungen erkennen lassen.

S. Talmon erblickt in der relativ „unmethodischen" Denkweise
der einzelnen alttestamentlichen Schriften den Hauptgrund für die
Schwierigkeit, ein einigermaßen konsensfähiges Bild über die
„Grundzüge des Offenbarungsverständnisses in biblischer Zeit" zu
gewinnen. Die Offenbarungen, die im Alten Testament geschildert

werden, verdanken sich Ad-hoc-Anstößen und lassen sich deshalb
auch nicht auf einen einheitlichen Begriff bringen. Im Bewußtsein
dieser Schwierigkeit konzentriert sich der Vf. auf ein, nicht auf das
jüdische Verständnis von Offenbarung (16) und formuliert zusammenfassend
: „Die Offenbarung vermittelt Israel objektive Gesetze, in
Jahwes subjektive Gebote gefaßt. Das offenbarte Gesetz ist das Fundament
des am Sinai offenkundig gemachten Bundes, den Jahwe dort
mit seinem Volk errichtete und der forthin den Weg Israels in der Geschichte
bestimmen und sich in ihr erweisen soll. So entfalten sich
Bund, Gesetz und Offenbarung als Unterkategorien von Geschichte."
(36) Bei aller zugestandenen Variabilität des jüdischen Verständnisses
von Offenbarung läßt sich immerhin eine charakteristische Differenz
zur christlichen Verstehensweise, wie sie sich vor allem in der evangelischen
Theologie herausgebildet hat, festhalten: Die Quellenscheidung
für einzelne biblische (= alttestamentliche) Schriften wird rundheraus
abgelehnt, sie ist „völlig unakzeptabel" (25). Nach Meinung
des Vf. erscheinen in der quellenkritischen Analyse die verschiedenen
Gottesbezeichnungen als „Ausdrücke unterschiedlicher Gottesauffassungen
" und nicht, wie es angemessen wäre, als „Manifestationen des
einzigen und alleinigen Gottes" (26). So dient der theologische
Gedanke von der Einheit und Einzigkeit Gottes als Grund für die problematische
methodische Konsequenz der Ablehnung quellenkritischer
Arbeit an den alttestamentlichen Schriften.

R. Rendtorffs Beitrag über „Offenbarung und Geschichte"
(37^19) dient weitgehend der aus der Begegnung mit dem Judentum
erwachsenen Revision einer Verhältnisbestimmung von „Offenbarung
als Geschichte", die er vor zwanzig Jahren gemeinsam mit
einem theologischen Freundeskreis unter Federführung W. Pannenbergs
zur Diskussion gestellt hatte. Grundgedanke dieses neuen offenbarungstheologischen
Entwurfes war die - vermeintlich aus dem
Alten Testament gewonnene - Vorstellung, daß Jahwes Offenbarung
in seinen geschichtlichen Erweisungen lediglich „provisorischen Charakter
" habe und durch die jeweils nächste Stufe überboten werde, um
in der Auferweckung Jesu von Nazareth als „Vorausereignis des
Endes der Geschichte" seinen unüberbietbaren Höhepunkt zu erreichen
. Diese vor allem von W. Pannenberg formulierte These hat nach
R. Rendtorff aber keinen Anhalt am Alten Testament selbst, sie
erweist sich als dogmatisches Postulat christlicher Theologie. Pannenbergs
programmatischer Satz von der Offenbarung Gottes am Ende
der Geschichte muß geradezu umgekehrt werden: „Der Selbsterweis
des Gottes Israels findet nicht erst am Ende, sondern am Anfang der
Geschichte Israels statt." (47) So dankbar man R. Rendtorff für diese
Klarstellung des exegetischen Sachverhalts und die gleichzeitige kritische
Distanzierung gegenüber den geschichtstheologischen Thesen
Pannenbergs sein darf - seine Selbstkritik hätte in diesem Zusammenhang
ruhig etwas deutlicher ausfallen können, da er maßgeblich an der
Ausarbeitung des Programms von „Offenbarung als Geschichte"
beteiligt war. Und leider wird die S. 40 formulierte Aufgabe, die
christliche Aneignung des Alten Testaments angesichts seiner jüdischen
Auslegung und Anwendung zu begründen und zu rechtfertigen,
noch nicht einmal ansatzweise in Angriff genommen.

Außerordentlich interessant, knapp und durchsichtig informiert M.
Seckler über die „Wandlungen im christlichen Offenbarungsverständnis
" (214-236). Er orientiert sich dafür an der „Dogmatische(n)
Konstitution über die göttliche Offenbarung" (Dei Verbum) des Zweiten
Vatikanischen Konzils vom 18. 11. 1965, weil hierein Verständnis
von Offenbarung seinen Niederschlag gefunden hat, das sich,
von den meisten kaum bemerkt, deutlich von seinen Vorgestalten abhebt
. Die Antike kennt noch keinen allgemeinen Offenbarungsbegriff,
vielmehr entspricht der konkreten und mannigfaltigen Erfahrung des
Göttlichen ein als epiphanisch zu bezeichnendes Offenbarungsdenken
. Im Mittelalter bildet sich dann ein instruktionstheoretisches
Offenbarungsmodell heraus, Offenbarung wird systematisiert zu
einem Geschehen übernatürlicher göttlicher Belehrung. In der Auseinandersetzung
der neuzeitlichen Theologie mit der aufklärerischen
Kritik an solch einem intellektualistisch verengten Modell bahnt sich