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Ausgabe:

1983

Spalte:

680-682

Kategorie:

Dogmen- und Theologiegeschichte

Autor/Hrsg.:

Bucer, Martin

Titel/Untertitel:

Die letzten Strassburger Jahre 1983

Rezensent:

Seebaß, Gottfried

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679

Theologische Literaturzeitung 108. Jahrgang 1983 Nr. 9

680

Der Stoff ist sehr klar gegliedert. Nach dem Begriff des kirchlichen
Dogmas werden Dogma und Bekenntnis, die Geschichte der Dogmengeschichte
sowie Dogma und Dogmenentwicklung gewürdigt. Es folgen
zwei große Hauptteile. In dem einen wird „Die vordogmatische
Epoche" (55-172), in dem anderen „Die ökumenische Epoche (I)"
(173-277) geschildert. Hierbei werden die wichtigsten Streitigkeiten
oder Entwicklungen jeweils in größeren Zusammenhängen erörtert,
also zunächst: der jüdische Glaube; das nachapostolische Zeitalter;
die Apologeten; der häretische Gnostizismus; Judenchristentum,
Marcionitismus, Montanismus; Wahrheitsregel, Schriftkanon, kirchliches
Amt. In der „ökumenischen Epoche (I)" sind es: die antignosti-
schen Väter; die alexandrinische Theologie; Monarchianismus und
Logostheologie; der arianische Streit, die näher behandelt werden.
Der weitgehende Verzicht auf nähere Auseinandersetzungen mag an
vielen Stellen für den Verfasser wie auch für nicht wenige Leser
schmerzlich sein. Auf der anderen Seite ist die Konzentration auf die
wichtigsten Phasen unvermeidlich, wenn das Buch das gesetzte Ziel
erreichen sollte.

Die Darbietung des Stoffes ist durchweg solide und fundiert. Mit
vollem Recht ist Beyschlag gegenüber zahlreichen Hypothesen, wie
sie in Monographien zuweilen notwendig sind, in diesem Lehrbuch
zurückhaltend gewesen. Besonnenheit zeichnet auch das theologische
Urteil aus. Man spürt es dem Buch ab, daß es im Blick auf Leser aus
beiden Konfessionen geschrieben ist. Dabei ist keineswegs auf die
Darlegung profilierter Auffassungen verzichtet worden. Wohl aber
findet man nirgends gegenüber Entwicklungen der anderen Konfession
den Standpunkt der Besserwisserei oder des Aburteilens. Als ein
Beispiel für viele sei daraufhingewiesen, wie sich Beyschlag zu Har-
nacks bekannter These, die Dogmengeschichte stelle die Hellenisie-
rung des Christentums dar, äußert. Beyschlag lehnt diese These als
solche nicht ab, sagt aber, daß Harnack „das innere Ausmaß dieses
Vorganges bei weitem überschätzt" habe (117). Im übrigen warnt er
davor, Harnack dahin zu verstehen, als sei die Geschichte der Dogmen
für ihn lediglich ein Verfallsprozeß; vielmehr müsse man hier im
Sinne Harnacks von einer „Metamorphose" sprechen, die zwar auch
zum Zerfall überlieferter Dogmen, dabei aber zugleich von neuem zu
dem undogmatischen Christentum der Anfänge führe (36). Begrüßenswert
ist auch die knappe Schilderung des Piatonismus (101-106)
im Zusammenhang der Würdigung der Apologeten.

Einige Wünsche oder Korrekturvorschläge für eine hoffentlich bald notwendig
werdende Neuauflage seien genannt. 20: Bei den beiden Tabellen müßte
wohl auch die „Kirche" Erwähnung finden. - 29 Anm. 48: Das Buch von
F. W. Kantzenbach, Evangelium u. Dogma, ist 1959erschienen.-43 Anm. 76:
Die Position vonE. Wolf wird hier m. E. verzeichnet. -49 f: Der BegrifT„illative
sense" sollte bei der ersten Verwendung übersetzt oder erläutert werden, nicht
erst später. - 69: Beyschlag äußert hier, daß das Judentum drei Hauptstücke
gekannt habe, nämlich den Glauben an den einen Gott und Schöpfer, das Gesetz
sowie die eschatologisch-soteriologische Heilserwartung, und daß das Christentum
diesen dreiteiligen Grundriß übernommen und zum Fundament seines
Glaubens gemacht habe. Dies dürfte jedoch eine recht weitgehende Vereinfachung
sein, wobei es auch nicht zureicht, wenn betont wird, daß in der Christenheit
an die Stelle des Gesetzes der personale Mittler getreten sei. Hier müßte
auch in einem Grundriß auf die komplexere Situation sowohl im Judentum als
auch im Christentum hingewiesen werden. - 94 Anm. 100: Die Abkürzung
„JDTh" ist im Abkürzungsverzeichnis nicht aufgelöst. - 103: Nicht verständlich
ist, warum Poseidonios hier zur späten statt zur mittleren Stoa gerechnet
wird. - 129: Kann man wirklich sagen, daß Gnostiker wie Valentin eine
„gewisse Annäherung an den kirchlichen Standpunkt suchten"? Hier sollte
doch auf den sehr komplexen Charakter der Tradition speziell in Alexandrien
hingewiesen werden. - 159: Beyschlag sagt hier, daß Evangelienzitate zuerst bei
Caius und Tertullian im frühen 3. Jahrhundert mit der Formel „es steht geschrieben
" eingeführt werden. Dagegen ist jedoch schon auf Barn 4,14 und
2Clem 2,4f zu verweisen. - 173: Nicht glücklich scheint mir die Formulierung
zu sein, daß die antignostischen Väter ihre Theologie „aus dem Widerstand"
entwickelt hätten; besser wohl: „in Auseinandersetzung mit der christlichen
Gnosis".-Akzentfehler finden sich 74; 102; 103; 108.

Hamburg Bernhard Lohse

Bucer, Martin: Deutsche Schriften. Band 17: Die letzten Straßburger
Jahre 1546-1549. Schriften zur Gemeindereformation und zum
Augsburger Interim [bearbeitet von Werner Bellardi und Marijn de
Kroon] hrsg. von Robert Stupperich. Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus
Gerd Mohn 1981. 648 S. gr. 8* = Martini Buceri opera
omnia, series I, 17. Lw. DM 180,-.

Drei Jahre nach dem 5. erschien 1981 mit dem 17. ein weiterer
Band der Deutschen Schriften Martin Bucers. Er umgreift „die letzten
Straßburger Jahre 1546-1549". Den früheren Bänden entsprechend
ist die Gliederung nach Drucken und Handschriften beibehalten.
Allerdings bringt dieser Band nicht alle in dem genannten Zeitraum
gedruckten Schriften Bucers, sondern nur drei, die alle rechtfertigenden
und apologetischen Charakter tragen: Mit ,Der CXX Psalm' verteidigte
sich Bucer gegen die anonym 1546 von seinem alten Gegner
Anton Engelbrecht herausgebrachte ,Abkonterfeiung Bucers'. Ebenfalls
an die Evangelischen in Bonn wendet sich der ,Sendbrief Martini
Buceri' vom Anfang des Jahres 1547. Dagegen stellt ,Ein summarischer
Vergriff der christlichen Lehre' eine Verteidigung gegen jene
Vorwürfe dar, die in Straßburg gegen die Prediger erhoben wurden, als
sie sich Anfang Juni 1548 (aufS. 111 ist im Titel irrtümlich 1547 angegeben
worden) auch von den Kanzeln massiv gegen das Interim
wandten.

Wie in früheren Bänden, hat man auch in diesem das handschriftliche
Material zu in sich durchgezählten Sachkomplexen zusammengefaßt
, ohne daß allerdings diesmal die chronologische Ordnung gestört
würde: Aus den Jahren 1546/47 stammen die Schriften zur
Kirchenzucht und zur Gemeindereformation, die der Jahre 1548/49
beziehen sich auf die Auseinandersetzungen über das Augsburger
Interim. Die Schriften zur Kirchenreform zeichnen mit ihrer schonungslosen
Kritik-oft beichtspiegelartig den Zehn Geboten folgend-
nicht nur ein realistisches Bild der Straßburger Kirche, sie zeigen
gleichzeitig auch, wie sich Bucer um eine jeweils selbständige, aber
Hand in Hand arbeitende obrigkeitliche Sittenzucht und eine auf
Gemeindeebene basierende Kirchenzucht bemüht, wobei der obrigkeitlich
anzuwendende Zwang allenthalben ausführlich mit dem Hinweis
auf das Alte Testament, die Pflicht der Könige zur rechten Gottesverehrung
und den von Gott angedrohten Strafen motiviert wird.
Unter diesen Texten sindauch diejenigen, in denen Brucer-bis in den
Pietismus hinein wirksam-Ordnungen und Funktion der in verschiedenen
Gemeinden gegründeten christlichen Gemeinschaft' darlegt.
Die sich anschließenden Stücke zum Augsburger Interim zeigen, wie
intensiv er sich nicht nur mit der .Märzformel', sondern auch mit dem
endgültigen Interim befaßt hat. Es ist bewegend, wie Bucer, zunächst
durchaus zur prüfenden Zusammenarbeit bereit, schließlich doch in
zwei großen Gutachten zu einer ganz klaren Absage an das Interim
kommt, gleichwohl aber- die Entlassung vor Augen - noch einen ausführlichen
.Ratschlag' dafür aufsetzt, auch unter dem Interim evangelischen
Glauben und ein ihm entsprechendes Gemeindeleben wenigstens
notdürftig zu erhalten.

Die Auswahl der Dokumente ist insgesamt gelungen. Schwierigkeiten ergeben
sich nach wie vor in der Abgrenzung der .Deutschen Schriften' zur Briefausgabe
und zu den lateinischen Schriften. So enthält auch dieser Band wieder eine
Reihe von Stücken, die man auch zur Korrespondenz rechnen müßte (I, 6.7.9;
II, 1.2.4-7.9.11), und auch lateinische Texte (II, 1.2.4.-7.9) fehlen nicht. Von
der Sache her ist das verständlich - so wird etwa Bucers Stellung zum Interim
auf diese Weise umfassend deutlich - nur hat man sich eigentlich mit der Gliederung
der Ausgabe in drei Abteilungen anders entschieden, und es scheint mir
zu spät, hier noch einmal anders-sachentsprechender-zu verfahren.

Ungut ist nach wie vor die Bezeichnung der einzelnen Stücke. So werden die
Drucke im Inhaltsverzeichnis - obwohl das in Band 4 und 5 schon überwunden
war-wieder mit dem gekürzten Originaltitel angeführt. Eine Art .Rückfall' bedeuten
auch die oft aus den Kanzleivermerken oder dem Incipit gebildeten Titel
der handschriftlichen Quellen. Das hat zwar den Vorteil, daß bisher in der Literatur
verwendete Bezeichnungen wieder erscheinen, dient aber gleichwohl nicht
der Information. Wer vermutet schon hinter der Überschrift „Mehrung gütlicher
gnaden vnd geists" die ausführliche Verteidigungsschrift Bucers für die
.christlichen Gemeinschaften' an die dafür eingesetzte Ratskommission? Zu-