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Ausgabe:

1983

Spalte:

678-679

Kategorie:

Dogmen- und Theologiegeschichte

Autor/Hrsg.:

Beyschlag, Karlmann

Titel/Untertitel:

Gott und Welt 1983

Rezensent:

Lohse, Bernhard

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Theologische Literaturzeitung 108. Jahrgang 1983 Nr. 9

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A. v. Bethmann-Hollwegs Gedanken zu verknüpfen weiß. Leider fehlt
ein in diesem Zusammenhang dringend wünschenswertes Kapitel
über die damals alles beherrschenden Tendenzen der Evangelischen
Kirchenzeitung E. W. Hengstenbergs. Das 8. und 9. Kapitel stellen
„Bekenntnis und Einheit der Kirche in der Unionstheologie" einschließlich
des Gustav-Adolf-Vereins sowie „die Bildung der Evangelischen
Allianz" in Deutschland vor.

Insgesamt wirkt die Arbeit einerseits wie ein wichtiger Durchbruch
zu mehr Klarheit im bisherigen Dickicht innerprotestantischer
Meinungsverschiedenheiten um die Einheit der Kirche im nachhegel-
schen und nachschleiermacherschen Deutschland, das auch von hier
allerdings nicht näher ausgemachten ultramontanen Stößen zu mehr
Einheit gedrängt wurde. Manche Namen, wie Delitzsch, L. A. Petri,
Göschel, Münchmeyer u. a. gewinnen durch sie mehr Plastizität.
Andererseits erscheint die damalige Vielfalt von Gestalten und Entwürfen
kirchlicher Einheit noch nicht erschöpfend genug vorgestellt,
um ein Gesamtbild davon zu ergeben. Der Kirchenbegriff spielte nicht
nur bei der eingangs kurz vorgestellten Norddeutschen Missionsgesellschaft
eine umstrittene, essentielle Rolle, sondern bei fast allen
damals. Friedrich Wilhelms IV. romantische Konzeptionen einschließlich
der Gründung eines Evangelischen Bistums von Jerusalem
und Hengstenbergs Kurs in der E. K. Z. hätten einen gewichtigeren
Platz verdient, wie auch die weiteren Ausblicke über das Jahr 1850
hinaus.

Denn die Frage, wieviel davon in unsere Gegenwart noch herüber
wirkt und wieviel davon wirklich brauchbar ist, bleibt.

Basel Karl Hammer

Brakelmann, Günter: Kirche in Konflikten ihrer Zeit. Sechs Einblicke
. München: Kaiser 1981. 187 S. 8* Kart. DM 24,-.

Verständnis für die sozialen Forderungen des Proletariats gab es
durchaus in der Kirche des 19. Jahrhunderts. Es gab Zugeständnisse
und eigene Konzeptionen für Reformen. Ihnen allen gemeinsam war
aber die Bedingung, daß „die politischen Rahmenbedingungen unangetastet
blieben". (67) In dieser Hinsicht verstand sich die konservative
Trägerschicht des Protestantismus als politischer und weltanschaulicher
Gegner der Arbeiterbewegung. Diese Differenzierung ist
das Resultat der Untersuchungen von Brakelmann im vorliegenden
Band. Die „Prinzipien von 1789" stellen demnach das eigentliche Ziel
der kirchlichen Agitation dar. „Ob Stahl oder Wichern oder Stoecker
oder Professoren und Pfarrer bei ihren geschichtstheologischen Ausdeutungen
der Kriege von 1870/71 und 1914 bis 1918 oder Deutsche
Christen und andere Kirchenmänner 1933 oder Asmussen nach 1945
~ sie alle wissen sich im gottverordneten Kampf gegen die modernen
Politischen Emanzipationsbewegungen und die hinter ihnen stehenden
.Weltanschauungen'. Sie verstehen sich als Anwalt christlich-
'egitimistischer oder christlich-germanischer oder christlich-völkischer
Ordnungsprinzipien gegen liberal-demokratische oder sozialistische
Gestaltungsprinzipien." (100

In sorgfältiger Differenzierung entfaltet der Verfasser unter dieser
Hauptthese zuerst die Positionen von Wicherns Denkschrift und des
Kommunistischen Manifests (19-51). Wenn die Typisierung von
Wiehern und Marx als Samariter Und Jakobiner vermutlich bei hiesigen
Lesern wiederum viele Berührungsängste verstärken wird, könnte
diese Untersuchung doch eine Hilfe darstellen, z. B. 1983 kirchlicher-
seits ohne Apologetik auf Karl Marx anläßlich seines 100. Todes-und
'65. Geburtstages einzugehen.

Dem Verhältnis Kirche - Proletariat sind zwer weitere Untersuchungen
gewidmet, eine im Längsschnitt („Kirche und Arbeiterbewegung
- einige Anmerkungen zur Geschichte ihres Verhältnisses bis
1933", 52-67), die andere im detaillierten Querschnitt („Kirche und
Streik: Evangelische Pfarrer im Konfliktfeld des Ruhrbergarbeiterstreiks
von 1905", 66-91).

„Kirche und Krieg: Der Krieg 1870/71 und die Reichsgründung im
Urteil des Protestantismus" (92-127) belegt die Verflochtenheit der
protestantischen Kirchen in die „politischen Rahmenbedingungen"
anhand repräsentativer Äußerungen von Zeitgenossen.

„Kirche und Judenchristentum: Hans Ehrenberg - ein judenchristliches
Schicksal im ,Dritten Reich'" (128-161) stellt ein bewegendes
Einzelschicksal als theologische und politische Herausforderung für
uns Heutige dar. Dieser Aufsatz und der abschließende über das
Darmstädter Wort von 1947 (162-187) machen deutlich, daß die
Konflikte, die Brakelmann untersucht, nicht dem 19. Jahrhundert
allein zuzuordnen sind, als hätten wir sie bewältigt. Im Gegenteil, es
bleibt die Frage, wie die evangelischen Kirchen heute zu Emanzipationsbestrebungen
stehen, also wie sie Brakelmanns Hauptthese in
den Konflikten ihrer Zeit annehmen und verarbeiten.

Güstrow Jens Langer

Dogmen- und Theologiegeschichte

Beyschlag, Karlmann: Grundriß der Dogmengeschichte. 1: Gott und
Welt. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 1982. XVIII,
284 S. 8* = Grundrisse, 2. Kart. DM 57,-.

Erste Vorüberlegungen für den jetzt erschienenen Grundriß hatte
der Autor vor einem Jahrzehnt angestellt. Dabei war ursprünglich ein
„Repetitorium der Dogmengeschichte" im Umfang von höchstens
300 Druckseiten vorgesehen. Darüber hinaus bestand schon damals
die Absicht, ein Werk abzufassen, das Theologiestudenten und besonders
auch Examenskandidaten der beiden großen Konfessionen dienen
könnte. Im Laufe der Zeit hat sich zwar nicht dieses Ziel geändert;
hingegen erwies sich der notwendige Umfang als zu eng bemessen. So
wurde aus dem anfänglich geplanten „Repetitorium" ein „Grundriß"
mit doppeltem Umfang. Angesichts der Fülle des darzustellenden
Stoffes ist der Raum immer noch knapp. Beyschlag hat die lange Zeit
der Vorbereitung zu wiederholter Überarbeitung genutzt. Dabei hat er
mit Recht auf besondere Verständlichkeit geachtet. Vergleichsweise
finden sich in dem vorliegenden Band wenige Anmerkungen. Lateinische
und griechische Zitate werden stets auch in Übersetzung geboten
. Bei der Schilderung größerer Komplexe sind meist einige hinführende
und zusammenfassende Bemerkungen vorangestellt, um im
vorhinein die nötige Orientierung zu geben. Außerordentlich begrüßenswert
ist es, daß Beyschlag an manchen Stellen eine ausführlichere
Skizze der dogmengeschichtlichen Forschung etwa seit dem ausgehenden
19. Jahrhundert gibt. So wird der Leser hier und da auch in
den Gang der Forschung eingeführt und kann das Gewicht der heute
vertretenen Meinungen besser abschätzen. Wer selbst lange Zeit Lehrveranstaltungen
zur Dogmengeschichte gehalten hat, muß allein von
diesen Gesichtspunkten her sagen, daß Beyschlag einen brauchbaren
Grundriß vorgelegt hat, den man den Studenten gern empfiehlt.

Von besonderer Wichtigkeit ist naturgemäß der Standpunkt, von
dem aus die Dogmengeschichte behandelt werden soll. Dies gilt besonders
im Blick auf den ins Auge gefaßten Leser- und Benutzerkreis.
Nach Beyschlag ist die Dogmengeschichte „die Geschichte von der
Entstehung, Entwicklung und Auswirkung der objektiven, überpersönlichen
kirchlichen Glaubensnormen, sofern .diese in den christlichen
Kirchen anerkannt und gültig sind. In dieser Definition sind
drei Grundmotive enthalten . . ., nämlich a) die Kirchlicrrkeit, b) die
Normativität und c) die Geschichtlichkeit des Dogmas oder entsprechender
Bestimmungen." (1) Dabei arbeitet der Verfasser deutlich
heraus, daß der Begriff „Dogma" von der Kirche ursprünglich nicht in
diesem Sinne verwendet worden ist, sondern erst im Laufe der Zeit
diese Bedeutung erhalten hat; auch wird schon für die spätere alte
Kirche auf Unterschiede zwischen griechischem und lateinischem
Bereich aufmerksam gemacht (90-